Abiy Ahmed in der Klemme

Äthiopien Aus dem Krieg um die Provinz Tigray ist ein regionaler Konflikt geworden, bei dem Sudan und Eritrea kräftig mitmischen
Ausgabe 28/2021

Vor kurzem noch als Heilsbringer bejubelt, 2019 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, heute als Kriegstreiber verschrien: Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed. Er war als Reformer im April 2018 angetreten, er hatte den Mut, mit dem Erzfeind, der abtrünnigen Provinz Eritrea, von Staat zu Staat Frieden zu schließen. Und das nach Jahrzehnten zermürbender Waffengänge. Für Eritrea ein wohlfeiler Ausgleich, denn Abiy Ahmed verzichtete darauf, den Hafen von Assab am Roten Meer zurückzuverlangen. Dabei war der Zugang zum Meer zentrales Kriegsziel Äthiopiens im Kampf um Eritrea gewesen.

Der Friedensschluss war wichtig, da ansonsten weder ausländische Hilfsgelder noch Investitionen geflossen wären. Regionalmächte wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zeigten sich zufrieden. Die USA setzten auf Abiy Ahmed und seine Regierung. Der vermochte es tatsächlich, jahrelange innere Unruhen einzudämmen, an denen seine Vorgänger gescheitert waren. Ahmed kam zugute, dass er Vorsitzender der Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker (EPRDF) war, einer Allianz, die 1991 beim Sturz der marxistisch-leninistischen Militärregierung an die Macht gekommen war. Die EPRDF repräsentierte vorrangig ethnische Gemeinschaften und gehorchte erst in zweiter Linie programmatischen Ideen. Ähnlich verhielt es sich mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die gut 30 Jahre lang die Politik im Lande dominiert hatte, obwohl die Tigrer nur eine Minderheit von etwa sechs Millionen unter den 112 Millionen Einwohnern Äthiopiens darstellten. Die TPLF verfügte über einflussreiche Positionen im äthiopischen Staat, dazu über viele Managerposten in der Wirtschaft und die meisten Offiziersstellen in der Armee. Da sich damit auch eine ethnische Vetternwirtschaft durchsetzte, war es kein Wunder, dass sich die Tigrer überall verhasst machten. Als Regierungschef versuchte Abiy Ahmed das Land auch dadurch zu modernisieren, dass er die Tigrer in Wirtschaft und Gesellschaft entmachtete. Das machte ihn bei vielen populär, außer bei den Eliten in Tigray. Er galt als Hoffnungsträger, der für internationale Anerkennung sorgte, Kapital ins Land holte, Großprojekte auf den Weg brachte, wie die neue Metro in Addis Abeba oder den Großen Staudamm am Blauen Nil.

Selbstmord auf Raten

Im August 2020 sollten Parlaments- und Regionalwahlen stattfinden, diese wurden aber wegen der Corona-Pandemie und offener logistischer Probleme zweimal verschoben. Die TPLF veranstaltete daraufhin im September 2020 eine eigene Abstimmung in ihrem Homeland Tigray, die sie erwartungsgemäß gewann. Doch erklärte Addis Abeba das Votum für illegal. Kurz darauf attackierte die TPLF Stützpunkte der äthiopischen Armee in der Provinz und übernahm dort lagernde schwere Waffen. Prompt schlugen die Angegriffenen mit aller Macht zurück, die Bundesarmee marschierte in Tigray ein und überrannte rasch die wichtigsten Städte. Beide Seiten hatten sich auf diesen Konflikt lange vorbereitet, er musste kommen. Nur wer an welchem Tag den ersten Schuss abfeuern würde, war ungewiss.

Seither herrscht Bürgerkrieg in Tigray, den die äthiopische Armee mit aller Brutalität führt, unterstützt durch Milizen aus der Nachbarprovinz Amhara und Truppen aus Eritrea. Keine asymmetrische Konfrontation, denn alle Beteiligten haben jahrzehntelange Erfahrungen im Guerillakampf. Beide Seiten verfügen über Artillerie und Raketenwerfer, wissen sie zu gebrauchen und sind militärisch ähnlich organisiert. Ende Juni nun hat die Konfliktpartei Addis Abeba einseitig eine Waffenruhe verkündet und sich aus der Provinzhauptstadt Mekele zurückgezogen. Die TPLF verwirft diese Feuerpause und setzt nach der Rückeroberung von Mekele ihren Vormarsch fort. Im Gegenzug bombardiert die äthiopische Luftwaffe wieder Dörfer und Städte in Tigray. Auch die Eritreer, die offiziell abgezogen sind, und die amharischen Milizen mischen weiter mit.

Trotz der Lage im Norden wollte sich die Regierung nicht dabei stören lassen, am 21. Juni Parlaments- und Regionalwahlen abzuhalten, bei denen Abiy Ahmeds Wohlfahrtspartei mit klarer Mehrheit gewann und nun auf 421 von 436 Abgeordneten im Parlament, dem Shengo, zählen kann, das Plazet für eine zweite Amtszeit. Offenbar hat sich Abiys Partei in weiten Teilen des Landes als politische Kraft etabliert – außer in Tigray. Mitwählen konnten die Tigrer so wenig wie die Bürger in weiteren 54 Wahlbezirken, in denen die Abstimmung laut Wahlkommission jedoch nachgeholt werden soll. Nach diesem Vertrauensbeweis dürfte es nicht lange dauern, bis Premier Abiy Ahmed weitere Reformprojekte ins Werk setzt. Seine bisherige Regierung bestand zur Hälfte aus Ministerinnen, was im nächsten Kabinett kaum anders sein dürfte. Von Haus aus Informatiker und Politologe, setzt der Regierungschef auf einen gestärkten Bundesstaat, er tut dies gemäß der äthiopischen Verfassung von 1995, die eine „ethnische Föderation“ vorsieht. Abiys Renommee als Friedensstifter ist ruiniert, doch kann er damit leben, solange es gelingt, einen Zerfall des Vielvölkerstaats mit mehr als 80 Ethnien und 70 offiziellen Sprachen aufzuhalten.

Konfliktregion

Südsudan Zwar gibt es seit Juni 2018 eine weitere Waffenruhe zwischen den Konfliktparteien um den ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar und Staatschef Salva Kiir. Doch der ist brüchig, weil die ethnischen Spannungen zwischen dem Volk der Nuer und dem der Dinka weiter Bestand haben. Derzeit sind 5.500 UN-Blauhelme im Einsatz, um die Feuerpause in dem erst seit 2011 unabhängigen, völlig verarmten Staat zu überwachen.

Eritrea Von der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit unter Staatschef Isayas Afewerki geführt, ist der Einparteienstaat kein Hort der Unschuldigen. Seine Truppen haben beim jüngsten Konflikt in der äthiopischen Provinz Tigray massiv zugunsten der Regierungsarmee eingegriffen. Offiziell sollte die eigene Grenze geschützt werden. Äthiopiens Premier Ahmed hat das erst eingestanden, als die Verbände Ende März teilweise den Rückzug antraten.

Ob das gelingt, wird nicht zuletzt der Krieg im Norden entscheiden. Diese Prognose gilt auch deshalb, weil jenseits der Grenze zum Sudan das Fashaga-Dreieck liegt, 250 Quadratkilometer fruchtbares Land, um das beide Länder streiten. Dorthin sind in den vergangenen Monaten annähernd 100.000 Tigrer geflohen, die, wie eine Viertelmillion Hilfsbedürftige in anderen Gebieten, laut UNO vom Hunger bedroht sind. Und es werden täglich mehr. Abiy Ahmed steckt in der Klemme: Aufgeben kann er Tigray nicht. Eine Provinzregierung, die mit schwer bewaffneten Einheiten gegen seine Streitkräfte vorgeht, kann er nicht dulden. Teile der eigenen Bevölkerung mit Hilfe ausländischer Kombattanten zusammenzuschießen, das wäre der politische Selbstmord auf Raten. Seine ausländischen Geldgeber und Investoren verschrecken – das kann er sich erst recht nicht leisten.

Auch wenn Abiy Ahmed umgehend Frieden schließen wollte – die TPLF würde sich verweigern, ebenso der eritreische Diktator Isayas Afewerki, dem der Krieg gegen die Erzfeinde aus Tigray gerade recht kommt. Zudem wollen die amharischen Milizen die Gelegenheit nutzen, sich Land zurückzuholen, das unter TPLF-Herrschaft Tigray zugeschlagen wurde. Der Sudan schließlich ist eifrig dabei, sich im Grenzstreit um Fashaga Faustpfänder zu sichern. Als willkommenes Druckmittel gegen Äthiopien dienen kaum verhüllte Hilfsdienste für die TPLF. Deren Militärchefs halten sich zuweilen in Khartum auf, um ein Ausweichen über die Grenze ebenso auszuhandeln wie den Waffen- und Munitionsnachschub. Der Sudan dementiert Meldungen darüber nicht.

Vor allem aber bietet der Streit um Äthiopiens wichtigstes Großprojekt, den Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD), einen Grund für weitere Waffengänge in der Region. Der Damm ist noch nicht fertig, aber eine 650 Kilometer lange Trasse wurde bereits in Betrieb genommen, um Strom ins Landesinnere zu leiten. Den schlimmsten Alptraum des Abiy Ahmed kann man sich leicht vorstellen: Die TPLF nimmt dieses Prestigeprojekt ins Visier, womöglich unter klammheimlicher Mithilfe des Sudan. Und mit welcher Reaktion Ägyptens?

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