Abschalten

Verrohung durch Fernsehkonsum Franz Xaver Kroetz´ Uraufführung dokumentiert mit "Tänzerinnen" und "Drücker" einen Selbstversuch

Weil Franz Xaver Kroetz sich zwei Jahre lang auf Teneriffa dem Fernsehen ergeben hat, hat er mächtig Wut bekommen. Die gerann ihm zu einem mehrteiligen TV-Massaker, dessen Einakter Tänzerinnen und Drücker - hier zusammengefasst - er im Marstall des Bayerischen Staatsschauspiels in eigener Regie vors konsternierte Uraufführungspublikum ausspie. Das aber mit Verve. Zweieinhalb Stunden lang.

Zunächst frontal die kraftprotzende Drücker-Kolonne. Zu ihren Füßen laufen vier Apparate heiß. Badelatschen-Proll Marcus Calvin, Pumps-Fetischist Robert Joseph Bartl, Anzug-Schlaks Christian Lerch und Jogginghosen-Spießer Peter Albers beten das Kabel-1-Programm. Sie hängen an der Röhre wie an der Nabelschnur. Tag und Nacht, ohne abzuschalten. Einzig untröstlich, weil von dort keiner zurück schaut. Von "Rundschau ich liebe dich" pendelt die Laune zum gekränkten "Scheißhaufen verrecke!" Der Litanei der totalen, unterschiedlosen Affirmation folgt die der fluchschnaubenden Verwünschungen. Fernbedienungsfixer beim Fernseheintopf-Schlagen: Alles eins, alles Scheiß. Nur, ohne Glotze "finde ich nicht statt." Sie zappen weiter. Andächtig. Durch Show und Talk, zu Fußball, Papst und Politik-Blabla.

Argumentativ schlüssig ist das nicht, denn die Massen- ist ja tatsächlich eine Selbsthypnose. Und auf wen wird hier eigentlich gezeigt? Die blöde Fernsehlandschaft? Den pervertierten Dauerschauer, vereinsamt und arbeitslos? Die Verhältnisse - beliebte Gegner altlinker Volksdichtkunst? Vielleicht, wenn der wüste Groll verraucht ist, könnte Kroetz das noch nachreflektieren.

Aber die Oberfläche hat er getroffen. Wie der gemeine Sesselfurzer seine verwahrlosten Alltagsverrichtungen mit stierem Blick auf die Flimmerkiste ausrichtet, sieht realistisch genug aus. Fressen, saufen, Zehenpulen und unablässig Taschenbillard. Dazwischen ein zustimmendes Grunzen, ein angewidertes Grinsen. Gefolgt von schmieriger Ekstase, als über Satellit jene Tina kommt, deren sämtliche Körperöffnungen in extenso besprochen werden, wie auch die ihnen in Hardcore-Kreisen nachgesagten Lieblingsverwendungsmöglichkeiten. Was für eine Gaudi. Doch halt, hat nicht der Dichter auch eine TV-Vergangenheit (als Klatschreporter sogar)? Am Ende ist bei aller cholerischer Medienkritik ein Quäntchen süffiger Selbsthass am Werk. Seien wir ehrlich, Baby Schimmerlos: zum Fernsehen gezwungen wird niemand.

Immerhin, was die Medienwirkungsforschung bis heute nicht belegt hat, Kroetz ist es gelungen. Der Kurzschluss von Reiz und Reaktion. Tumb-geil sitzt das dressierte Quartett ins Möbel gedrückt, bis der Souffleur "Wählen!" brüllt. Da reißt sie´s hoch und manisch bekreuzeln sie Fußboden und Pobacken. "Wegtreten!" tönt das Kommando, und die mündigen Bürger sinken zurück in die reine Rezeption. Zufriedene Junkies.

Ganz anders Eva Schuckhardt, Jennifer Minetti und Sibylle Canonica. Die drei halbbekleideten Greisinnen fristen als selbstbezichtigte "Silikonscheißhaufen" ihr abgetakeltes Dasein in Auflehnung. Wenig bewegt allerdings, denn während der Regisseur im ersten Teil ein rhythmisches Klischeeballett vor wahrhaft spritzenden Einfällen bersten lässt, isoliert er ausgerechnet die Tänzerinnen in berührungslosen Selbstgesprächen. Gegen die Verlassenheit, die Undankbarkeit der Welt, die Pflegekräfte und die Schwerkraft und gegen Fliege. In ihren Altenheimeinzelzellen, fest eingeklemmt zwischen Plastik-Tablett und (Roll-)Stuhllehne, heben sie den Blick zu unsichtbaren Bildschirmen. Halten ihnen den gebrechlichen Rest ihrer Träume entgegen. Fordern Menschenwürde ein, und sei´s in Gestalt von anständigem Essen. Schwelgen in Reminiszenzen. Jimmy Dean in Giganten, das waren noch Zeiten! Minetti strahlt. Das Fleisch war jung und ließ sich gut verkaufen - Schuckhardt denkt pragmatisch. Jetzt drückt sie, die Ex-Porno-Diva Murksi, nur noch ihren (echten) Mops. Auch die winzigen Füßchen der Sekretärin Anita wurden einst allgemein bewundert. Und heute? Fertigbrei. Canonicas Zorn wächst ins Explosive. Pampig wie das ekle Mahl droht sie mit dem ganz großen Abgang. Dass man ihr Zimmer "drei Tage an niemanden abgeben" könnte. Blut und Exkremente, Marsch!

Die Damen spielen mit Inbrunst (wie ihre Kollegen auch). Ihr Mut ist anerkennenswert. Aber sie haben den szenisch undankbaren Teil des Abends. Das bittere Ende kommt. Mit ihm der Autor, der mäßigen Applaus mit eindeutigem Fingerzeig quittiert. Manieren wie im Fernsehen.


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