Abschied

Kommentar Arbeitszeit der Ärzte

Nichts wird so sein wie bisher: Der europäische Gerichtshof hat am 9. September in seinem Urteil zum Fall eines Kieler Klinikarztes Bereitschaftsdienst zu Arbeitszeit erklärt. Bei dieser Entscheidung geht es in erster Linie nicht ums Geld, sondern um Zeit: ärztlicher Bereitschaftsdienst wurde bisher nur zu rund 50 Prozent als Arbeitszeit gerechnet, gilt er jetzt als volle Arbeit, kollidiert er mit dem Arbeitszeitgesetz, das heißt, in Zukunft werden Bereitschaftsdienste von 24, 30 oder 36 Stunden Dauer nicht mehr möglich sein. Was für andere Arbeitnehmer schon lange gilt, wird also auch für die "Götter in Weiß" endlich rechtens sein.

Warum soll es für Ärzte und Ärztinnen auch besondere Regeln geben? Weil sie unersetzbar sind? Weil ein Arzt per se nicht im proletarisch anmutenden Schichtdienst arbeiten kann? Wird die medizinische Versorgung der Patienten leidend, weil nur der übernächtigte diensthabende Arzt gut behandeln kann, aber nicht der Kollege oder die Kollegin, die ausgeruht am Nachmittag zum Spätdienst kommt?

Jetzt muss also delegiert werden. Und wer delegiert, muss auch ausbilden. Kliniken, in denen nur der Chefarzt und zwei, drei Auserwählte an der Macht des Wissens und der Entscheidungsgewalt beteiligt sind, gehören der Vergangenheit an. Die Hierarchien werden flacher. Und damit könnte tatsächlich auch die Qualität der ärztlichen Leistungen steigen. Jetzt ist also Flexibilität gefordert und von den Ärzten der Abschied vom Mythos der Unersetzbarkeit.

Mit der nun notwendigen Umsetzung dieses Urteils in den realen Berufsalltag wird die ärztliche Tätigkeit möglicherweise auch wieder an Attraktivität gewinnen. Und das ist dringend notwendig, da die in den Kliniken tätigen MedizinerInnen immer älter werden, der Nachwuchs wegzubrechen droht. Dennoch werden viele Ärzte das Urteil nur widerwillig schlucken, denn die Abschaffung der Bereitschaftsdienste bedeutet unter Umständen finanzielle Einbußen. Ob Ärztinnen und Ärzte in Zukunft für die vielfältigen Anforderungen des Berufes und die große Verantwortung angemessen honoriert werden, bleibt abzuwarten. Für eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau kann, ja, muss man auch eine entsprechende Bezahlung verlangen. Dafür sind die Zeiten jedoch denkbar schlecht.

Aber vergessen wir nicht: Deutschland hat eine hohe Ärztedichte und ein in Teilen ausuferndes Versorgungssystem. Humane Arbeitsbedingungen für Ärzte sind möglich. Es ist durchaus denkbar, dass Leistungen der stationären Versorgung sinnvoll und ohne Nachteil für die Bevölkerung "abgespeckt" werden. Für eine schlanke aber sinnvolle Versorgung mit kluger Arbeitsverteilung würden die vorhanden ärztlichen Stellen ausreichen. Nur erscheint das unter den derzeitigen Bedingungen von Gesundheitspolitik wie eine Utopie. Bleibt doch alles so wie bisher?

Barbara Hoffmann ist Anästhesistin und arbeitet im klinischen Bereich.

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