Abschied der Fotografie von ihrem Zeitalter

Medientagebuch Das Ende von Kodachrome 64 markiert den zwangsläufigen Abschluss einer Epoche. Die Fotographie ist längst eine andere

Die Information war persönlich und bitter: Per Brief unterrichtete der Fotohersteller Kodak Ende vergangenen Jahres seine Stammkundschaft, dass der Kodachrome 64 vom Markt genommen werde. Hamsterkäufe nutzen wenig, weil ab 23. November 2010 auch der Entwicklungsdienst eingestellt wird. Anders als beim verbreiteten Ektachrome-Prozess E-6 hatte Kodak das komplexe Kodachrome-Entwicklungsverfahren K-14 nie lizenziert.

Was das Unternehmen doch jetzt, da es selbst kein wirtschaftliches Interesse mehr hat, eigentlich nachholen könnte. Da böte sich eine lohnende Aufgabe für all die unabhängigen Fotolabore, die seit Erfindung der Digitalfotografie über Umsatzeinbußen klagen. (Sie könnten die Ausfälle durch Qualitätsarbeit wettmachen, liefern aber Abzüge voller Flecken, zerkratzte oder sogar eingerissene Negative, schlecht fixierte Positive, die nach wenigen Wochen bereits ausbleichen. Wer so arbeitet, hat sich seinen Bankrott redlich verdient.)

Der Kodachrome – Super-8-Filmer kennen ihn als Kodachrome 40 – dürfte der einzige Umkehrfilm gewesen sein, der je in einem Popsong besungen wurde. Paul Simon textete in den frühen Siebzigern: „I got a Nikon camera/I love to take a photograph/So mama don’t take my Kodachrome away“. Weil man beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, damals noch sehr empfindlich war in Sachen Schleichwerbung, wurde der schmissige Titel trotz Hitparadenplatzierung von diversen ARD-Hörfunksendern boykottiert. Gut, dass es schon Radio Luxemburg gab.

Stärken im pastellenen Spektrum

Paul Simon hatte sein Filmmaterial gut gewählt. Das Kodachrome-System basiert auf einer dreifachen Beschichtung des Materials, das im Labor mehrere Dutzend Bäder durchläuft. Diesem aufwändigen Verfahren verdankt sich die besondere, ­äußerst beständige Farbgebung. Mit dem unvergleichlich feinkörnigen, bereits vom Markt verschwundenen Koda­chrome 25 und dem höher empfindlichen Kodachrome 64 konnte man bei Tageslicht Ergebnisse wie mit keinem anderen Film erzielen. Der Kodachrome zeigte seine Stärken insbesondere im pastellenen Spektrum. Eben diese Eigenschaft liegt quer zur heutigen Mode der blendend grellen Farbgebung, die von der Digitalfotografie geprägt wird und eine Entsprechung findet in der kindergeburtstagsbunten „Lichtkunst“, die viele unserer Innenstädte verkitscht.

Verursacht auch durch den Verlust der Körnigkeit des herkömmlichen Filmmaterials, entstand eine gleichförmige Hochglanzästhetik. Und das gleich en masse: Da in der Digitalfotografie keine Kosten mehr für Materialien anfallen, wird allseits wahllos drauflos geknipst. In dieser Flut verliert das einzelne Bild an Wert und Wertschätzung. Die Folge: eine lichtbildnerische Umweltverschmutzung sondergleichen. In einem Internet-Forum wagte ein Autor die These, mit der Abschaffung des Kodachrome verliere die Fotografie endgültig ihren künstlerischen Rang.

Das scheint ein wenig hoch gegriffen. Allerdings verändert sich der Charakter der fotografischen Kunst. Die besteht künftig nicht mehr darin, im richtigen Moment mit dem richtigen Filmmaterial, dem richtigen Objektiv und dem richtigen Filter den Auslöser zu drücken – ein Vorgang, der einen ­realen, unwiederbringlichen Augenblick festhält. Die neue Fotografie wird von der Nachbesserung am Computer beherrscht.

Automatisch erscheint das Bild nicht mehr als dokumentierender Ausschnitt der Realität, sondern als Produkt kunsthandwerklicher Tätigkeit, der man gewiss Kreativität zuschreiben kann. Aber die Aura des Authentischen, die fotografischen Meisterwerken eigen ist und uns in Erstaunen versetzt, ist im Zeitalter der technischen Manipulierbarkeit perdü. Harald Keller


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