Abschrecken statt aufnehmen

Frankreich In Paris sträubt man sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Man befürchtet ein Ansteigen der ohnehin starken sozialen Spannungen
Ausgabe 39/2015
Frankreich geht auch mit Polizeigewalt gegen Flüchtlinge vor
Frankreich geht auch mit Polizeigewalt gegen Flüchtlinge vor

Bild: Phillippe Huguen/AFP

Zunächst wurde die Regierung Merkel in Paris anerkannt und bewundert, doch war es damit bald vorbei. Die deutsche Kanzlerin als „Schutzherrin der Flüchtlinge“ wollte Premier Manuel Valls nicht feiern und reagierte auf die neuerlichen Grenzkontrollen mit dem Hinweis, „Betroffenheit darf nicht der einzige Leitfaden politischen Handelns sein“. Bald schon bündelte sich die Kritik zum Vorwurf, die deutsche Politik betreibe das Geschäft des Front National (FN), der ja ebenfalls Grenzkontrollen fordere.

Als dann der deutsche Innenminister Thomas de Maizière noch mit dem Plan kokettierte, Staaten, die sich dem Kurs der Berliner Flüchtlingspolitik widersetzten, den EU-Geld-hahn zuzudrehen, war das Ende der Fahnenstange und Gemütlichkeit erreicht. Quer durch die französischen Parteien sieht man heute das Flüchtlingsproblem nicht als humanitäre Herausforderung, sondern als zusätzliche Last zur hohen Arbeitslosigkeit im eigenen Land, zur angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt und zum trostlosen Zustand im Gesundheits- und Bildungswesen – zu den Defiziten des Sozialsystems überhaupt. Die anfängliche Euphorie angesichts der deutschen Flüchtlingspolitik ist verflogen. Soweit überhaupt noch von Flüchtlingen die Rede ist in den französischen Medi-en, geht es um das für souveräne Staaten inakzeptable Berliner „Diktat“. Die Zeitungen Le monde und Libération ziehen in ihren Kommentaren eine Parallele zur Griechenland-Krise: Damals waren die Griechen das Opfer des Diktats von Wolfgang Schäuble und Angela Merkel, jetzt seien es jene Länder der Europäischen Union, die wenige oder gar keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, also Länder wie Estland, Lettland, Polen, Ungarn oder die Slowakei.

In ganz Frankreich weigern sich Bürgermeister des Front National, aber inzwischen auch der Sozialisten wie der Konservativen, in ihren Städten Flüchtlinge unterzubringen. Sie befürchten ein Ansteigen der ohnehin starken sozialen Spannungen und des Gefälles zwischen Armen und Wohlhabenden. Die protestierenden Bürgermeister setzten sich ebenso dem Verdacht aus, dem Front National zuzuarbeiten wie einige Intellektuelle, die vor den sozialen Verwerfungen warnten, die dem Land drohen, sollten die Flüchtlingszahlen noch weiter ansteigen.

Auch Regierungsmitglieder wie Innenminister Bernard Cazeneuve argumentierten in diese Richtung. Die Bürgermeister bewegen sich mit ihrer harten Haltung also durchaus im Windschatten der Regierung und auch des Präsidenten. Denn François Hollande steht unter dem Druck, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, wenn er 2017 einigermaßen aussichtsreich wieder kandidieren will.

Hollande beschäftigt sich indes momentan lieber mit einem Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg durch Luftschläge gegen den Islamischen Staat als mit allem anderen. Der mediale Lärm um eine solche Intervention kontrastiert mit der Stille in der Flüchtlingsfrage, obwohl doch bisher noch jede Intervention in Bürgerkriege vor allem ein ganz sicheres Resultat zeitigte: Die Zahl der Menschen, die dadurch zur Flucht gezwungen werden, steigt weiter.

In Paris setzt man nicht auf die Aufnahme von Flüchtlingen, sondern auf deren Abschreckung. Das bekamen die in Süditalien Gestrandeten schon vor einem halben Jahr zu spüren, als sie zur französischen Grenze wollten. Sie wurden am Übergang Ventimiglia mit Polizeigewalt gestoppt.

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