Zunächst wurde die Regierung Merkel in Paris anerkannt und bewundert, doch war es damit bald vorbei. Die deutsche Kanzlerin als „Schutzherrin der Flüchtlinge“ wollte Premier Manuel Valls nicht feiern und reagierte auf die neuerlichen Grenzkontrollen mit dem Hinweis, „Betroffenheit darf nicht der einzige Leitfaden politischen Handelns sein“. Bald schon bündelte sich die Kritik zum Vorwurf, die deutsche Politik betreibe das Geschäft des Front National (FN), der ja ebenfalls Grenzkontrollen fordere.
Als dann der deutsche Innenminister Thomas de Maizière noch mit dem Plan kokettierte, Staaten, die sich dem Kurs der Berliner Flüchtlingspolitik widersetzten, den EU-Geld-hahn zuzudrehen, war das Ende der Fahnenstange und Gemütlichkeit erreicht. Quer durch die französischen Parteien sieht man heute das Flüchtlingsproblem nicht als humanitäre Herausforderung, sondern als zusätzliche Last zur hohen Arbeitslosigkeit im eigenen Land, zur angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt und zum trostlosen Zustand im Gesundheits- und Bildungswesen – zu den Defiziten des Sozialsystems überhaupt. Die anfängliche Euphorie angesichts der deutschen Flüchtlingspolitik ist verflogen. Soweit überhaupt noch von Flüchtlingen die Rede ist in den französischen Medi-en, geht es um das für souveräne Staaten inakzeptable Berliner „Diktat“. Die Zeitungen Le monde und Libération ziehen in ihren Kommentaren eine Parallele zur Griechenland-Krise: Damals waren die Griechen das Opfer des Diktats von Wolfgang Schäuble und Angela Merkel, jetzt seien es jene Länder der Europäischen Union, die wenige oder gar keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, also Länder wie Estland, Lettland, Polen, Ungarn oder die Slowakei.
In ganz Frankreich weigern sich Bürgermeister des Front National, aber inzwischen auch der Sozialisten wie der Konservativen, in ihren Städten Flüchtlinge unterzubringen. Sie befürchten ein Ansteigen der ohnehin starken sozialen Spannungen und des Gefälles zwischen Armen und Wohlhabenden. Die protestierenden Bürgermeister setzten sich ebenso dem Verdacht aus, dem Front National zuzuarbeiten wie einige Intellektuelle, die vor den sozialen Verwerfungen warnten, die dem Land drohen, sollten die Flüchtlingszahlen noch weiter ansteigen.
Auch Regierungsmitglieder wie Innenminister Bernard Cazeneuve argumentierten in diese Richtung. Die Bürgermeister bewegen sich mit ihrer harten Haltung also durchaus im Windschatten der Regierung und auch des Präsidenten. Denn François Hollande steht unter dem Druck, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, wenn er 2017 einigermaßen aussichtsreich wieder kandidieren will.
Hollande beschäftigt sich indes momentan lieber mit einem Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg durch Luftschläge gegen den Islamischen Staat als mit allem anderen. Der mediale Lärm um eine solche Intervention kontrastiert mit der Stille in der Flüchtlingsfrage, obwohl doch bisher noch jede Intervention in Bürgerkriege vor allem ein ganz sicheres Resultat zeitigte: Die Zahl der Menschen, die dadurch zur Flucht gezwungen werden, steigt weiter.
In Paris setzt man nicht auf die Aufnahme von Flüchtlingen, sondern auf deren Abschreckung. Das bekamen die in Süditalien Gestrandeten schon vor einem halben Jahr zu spüren, als sie zur französischen Grenze wollten. Sie wurden am Übergang Ventimiglia mit Polizeigewalt gestoppt.
Kommentare 9
prima eigentlich, oder? ... wenn alle rechtskonservativ sind, die keine Flüchtlinge wollen, dann sind ja jetzt endlich alle rechtskonservativ und einer "Meinung". Und ob man die Betroffenen "Fremden" nun bei ihnen zuhause oder erst an der und der Grenze mit Gewalt eindeckt ... auch egal, oder?
..."Interessant dass sich hier nicht iDog gemeldet hat, der ja auch in Frankroisch lebt, hat er die Diskussion satt?
So, jetzt auf Stummschaltung"...
ja - man kann nicht auf jeder Hochzeit tanzen ... und ich war noch mit der Dichotomie bechäftigt .. und zweimal das gleiche synchron ? die Franzosen Regierung ist komplett überfordert und man sieht es ihr an. An der Basis wird von allen Minderheiten versucht den "citoyen" als ideologischen Kampfbegriff der restaurativen Revolution zu vereinnahmen, aber bitte als Pseudoresistance hierarchisch geführter Konsumenten ... gaga.
Ich denke , das ganze Eu Ding fliegt uns demnächst um die Ohren. Dann wird es spannend...
Nein, diese ignoranten Franzosen, nichts anderes als Flüchtlingsabschreckung und militärische Luftschläge im Kopf. Während die deutsche Großpolitik sich vor Willkommensgesten gegenüber syrischen und irakischen Flüchtlinge fast überschlägt, findet derjenige, der in diesen Tagen nach Paris reist, sich in einer anderen Welt wieder: Schwer bewaffnete Gendarmen bewachen alle öffentlichen Gebäude und jüdischen Einrichtungen – die Langzeitfolgen des Attentats auf Charlie Hebdo sind hier der Alltag.
Frankreich ist weiterhin und aktuell erst recht im „Krieg gegen den Terror.“ Die linksbiberale Libération fordert einen „Plan B“ für Syrien, um den Vormarsch des IS zu stoppen und Assad zu stürzen. „Wir müssen schnell handeln“, warnt der Leitartikel. Und Le Monde führt ein großes Interview mit Verteidigungsminister Le Drian, der im Falle Syriens von Frankreichs „Recht auf Selbstverteidigung“ spricht.
Gleichzeitig beuten die Frontisten um Le Pen jedes Nachgeben von Präsident Hollande in Brüssel und Berlin gnadenlos aus. Selbst sein Einlenken bei der geplanten Flüchtlingsquote wird ihm als Schwäche ausgelegt.
Da kommen die guten Ratschläge des östlichen Nachbarns gerade recht, der vor lauter Wirtschaftskraft und Moralin kaum noch laufen kann. Für die große soziale und moralische Krise, in der die Grand Nation steckt, kann er doch nichts, oder?
Muss natürlich "La Grande Nation" heißen, eine Formulierung, die in Frankreich allerdings kaum einer kennt. Franzosen sagen "la nation" oder "la republique" - und so ist es von mir auch gemeint.
@Heinthüer:"La Grande Nation" kenne ich von Charles de Gaulle.
Die Franzosen sagen "la nation" oder "la republique". Deutsche sagen "Deutschland". Ein Unterschied, oder?
@Exilant. Ja, sehe es auch so: ein großer Unterschied immer noch. Und nun fordert man in diesem "Deutschland" eine europäische Solidarität ein, die man mit einem schnöden Desinteresse an der verzwickten Lage des wichtigsten EU-Partners verbindet. Die Fünfte Republik definiert sich nicht nur längst seit einigen Jahrzehnten als Einwanderungsland und handelt - bei allen Problemen der sozialen Apartheid - auch danach, man hat aktuell einfach andere Sorgen. In Paris diskutiert man nicht nur über die Kriegsflüchtlinge selbst, sondern auch über den Krieg und den IS-Terror, dem sie entfliehen.
Wenn es in dem Ursprungskommentar von Rudolf Walther heißt "Hollande beschäftigt sich indes momentan lieber mit einem Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg durch Luftschläge gegen den Islamischen Staat als mit allem anderen" - so empört mich diese alte deutsche Ignoranz. Wie bitte sonst, wenn nicht durch militärische Intervention der Westmächte, soll denn der IS militärisch geschlagen und Syrien von seiner Herrschaft befreit werden?
@Heinthüer: Der IS soll militärisch geschlagen werden?
Was ist mit den vielen Zivilisten? Das schafft neuen Terrorismus. Wie ist der IS entstanden.
Nein, verhandeln mit Assad. Und Putin mit einbeziehen.
Es ist kein Wunder, dass die syrische Exilopposition von Gesprächen mit Assad, die faktisch auf eine Legitimierung hinausliefen, nichts hält. Auch die Regierung in Paris hält übrigens nichts von einer Rehabilitierung Assads und steht der Gesprächsinitiative Merkels und damit auch Putins Plänen sehr skeptisch gegenüber. Worüber auch soll mit dem Diktator gesprochen werden? Über eine Mäßigung seines Vorgehens gegen die Zivilbevölkerung? Über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Terrormilizen?
Nun hat Frankreich die Terrormiliz "Islamischer Staat" erstmals auch in Syrien bombardiert. "Wir werden jedes Mal zuschlagen, wenn unsere nationale Sicherheit auf dem Spiel steht", teilte die französische Regierung dazu mit. Gleichzeitig mahnte das Präsidialamt "eine umfassende Lösung" der Krise an.
Die Luftangriffe gegen den IS in Syrien begründet Hollande damit, dass immer mehr Menschen vor dem IS in Syrien fliehen und man die syrische Bevölkerung vor der Gewalt der Islamisten ebenso schützen müsse wie vor "den mörderischen Bombenangriffen von Baschar al-Assad".