An der Schlei scheint die Zeit stehen geblieben. Das war schon vor der Coronapandemie so. Wer die Metropole Hamburg hinter sich lässt und immer weiter nach Norden fährt, überquert irgendwann den Nord-Ostsee-Kanal. Spätestens dann wird das Fortkommen langsamer. Weil ausgebaute Straßen fehlen, beginnt die Entschleunigung bereits mit der Anreise zu dem 40 Kilometer langen Ostseefjord zwischen Maasholm und Schleswig. Die Region ist dünn besiedelt, Dörfer mit Fachwerkhäusern wechseln sich mit stattlichen Bauernhöfen ab. Immer wieder taucht zwischen den sanft hügeligen Feldern und Wäldchen die glitzernde Schlei auf. Die Gegend hat etwas Idyllisches. Das findet auch Jan Otto, der nahe Kappeln ein Haus mit Ferienwohnungen betreibt.
Noch vor wen
ch vor wenigen Wochen war im Landkreis Schleswig-Flensburg die Sieben-Tage-Inzidenz nah an der 100er-Schwelle. Dann gingen die Zahlen zurück, am Montag lag sie bei 38,3. Der Landkreis hat mit dem benachbarten Kreis Nordfriesland bundesweit den niedrigsten Wert. Es scheint fast so, als sei auch bei der Virusausbreitung an der Schlei die Zeit stehen geblieben. Oder beginnt hier im Gegenteil vielleicht eine neue Zeit? Zusammen mit dem nahen Ostseebad Eckernförde wurde die Region von der Kieler Landesregierung ausgewählt für ein Modellprojekt.Seit diesem Montag dürfen wieder Urlaubsgäste anreisen und in Hotels, Ferienwohnungen und auf Campingplätzen und in den Sportboothäfen übernachten. Vorausgesetzt, sie bringen einen tagesaktuellen negativen Coronatest mit und lassen sich alle drei Tage testen. „Wir hoffen, dass sich die Leute an die Regeln halten“, sagt Vermieter Jan Otto und schaut auf den Steg vor seinem Haus, an dem einsam ein kleines Motorboot liegt. Die letzten Tage hat der 36-Jährige zusammen mit seinem Team alles vorbereitet, hat gecheckt, welche Auflagen erfüllt werden müssen. Von den 22 Wohnungen sind 21 gebucht. Vier Wochen lang soll das Projekt dauern. Auch drei andere Ferienregionen wurden ausgewählt. Doch weil in Büsum und an der Lübecker Bucht die Inzidenzzahlen stiegen, verzögert sich dort der Start. Auch der Kreis Nordfriesland will noch warten.Wolfgang Buschmann unterstützt das Modellprojekt. Buschmann ist Landrat und weiß, dass gerade die Region entlang des 40 Kilometer lange Ostseefjords strukturschwach und dünn besiedelt ist. Doch gerade dies entpuppe sich im Moment als eher vorteilhaft, sagt Buschmann. Sorge darum, dass Feriengäste aus anderen Regionen das Virus an die Schlei bringen könnten, macht sich der parteilose Landrat nicht. Mehr Sorge bereitet Buschmann, dass mit dem Ende der Osterferien nun wieder die Schulen geöffnet sind.Auch Wolfgang Schäfing hat sich darüber viele Gedanken gemacht. Er ist Schulleiter der Nordlicht-Grundschule in Süderbrarup, jene 4.000-Einwohner-Stadt nördlich der Schlei, deren Name durch den ersten Werner-Film Kultstatus bekam. Mit dem Ende der Ferien hat das Bildungsministerium in Kiel verpflichtende Corona-Tests für alle Schüler*innen und Lehrkräfte eingeführt. Die Schlei ist eine Idylle – da widerspricht auch Schäfing nicht, der aus der Region kommt. Gleichzeitig gelte Süderbrarup als sozialer Brennpunkt. „Das glaubt man ja immer nicht“, sagt er. In der Gegend gebe es viele Heimeinrichtungen. Und viele alleinerziehende Eltern und Familien, die unter psychischen Belastungen litten.Marketing: Kein Corona hierSchäfing ist ein ruhiger Typ, der viel Wärme ausstrahlt. 400 Kinder besuchen die Grundschule. Während der Lockdown-Phasen durften nicht nur die Kinder von Eltern mit systemrelevanten Berufen herkommen. Sondern auch jene Kinder aus Familien, in denen es „etwas kritisch läuft“, wie Schäfing sagt. Manchen Kindern sei es dadurch sogar besser gegangen als davor, weil der Unterricht in kleinen Gruppen mit besserer Betreuung stattfand. Was er davon hält, dass die Region nun wieder aufmacht für den Tourismus? Schäfing hat sich noch kein abschließendes Urteil gebildet.Seit vielen Jahren hat die Schlei einen prominenten Werbeträger, die TV-Serie Der Landarzt wurde hier gedreht. Auch Jan Otto verweist auf der Homepage für seine Ferienunterkunft auf die Fernsehproduktion. Wahrscheinlich müsste sich der TV-Landarzt in diesen Tagen mit ganz ähnlichen Themen beschäftigen wie die echten Ärztinnen und Ärzte der Region, glaubt er. Manche Menschen hier auf dem Land glaubten offenbar immer noch, dass Schutzmaßnahmen nicht nötig seien. „Weil die Gefahr nicht präsent ist“, sagt Otto.Die örtliche Tourismusagentur dagegen hat längst neue Vermarktungswege gefunden. Sie wirbt inzwischen auf ihrer Seite nicht mehr nur mit dem Landarzt. Sondern auch mit der Pandemie. Der neue Schlei-Slogan lautet: „Urlaub abseits der Hotspots“.Placeholder authorbio-1