Fußball Früher gab es Schlägereien in den Fankurven. Heute findet die Gewalt außerhalb der Stadien statt. Die Kuttenträger sind friedlicher, nun prügeln sich "Hooltras"
Sie wirken wie ein Relikt aus einer längst verschollenen Zeit, und doch gibt es sie noch in den Fußballstadien: die "Kuttenträger", einst auf Krawall-gebürstete Hardcore-Fans. Zu den gefährlichsten ihrer Gattung zählten in den frühen Achtzigern Die Löwen, gefürchteter Fanclub des Hamburger SV. Heute sind die berüchtigten Schläger von damals zahmer geworden. “Es gibt keinen Ärger, solange man uns nicht angreift“, lautet nun ihr Mantra. Das war nicht immer so. Bundesweite Aufmerksamkeit bekamen die Löwen, weil Mitglieder ihrer Gruppe angeklagt waren, am Tod des Bremer Fans Adrian Maleika 1982 mitverantwortlich gewesen zu sein. Bei einer Schlägerei wurde Maleika von einem Mauerstein tödlich am Kopf getroffe
lich am Kopf getroffen. Der folgende Prozess konnte das Geschehen nicht aufklären, der Täter wurde nie identifiziert.Auch während der vier Spiele zwischen dem HSV und Werder Bremen dieser Tage (DFB-Pokal, Uefa-Cup-Hin- und Rückspiel, Liga) gab es Scharmützel zwischen den Fans. Hamburger griffen mit Eisenstangen und Steinen Bremer Fanbusse an, es gab aber nur Leichtverletzte. Die Löwen waren diesmal nicht dabei. Heute sind es nicht mehr die "Kuttenträger", die Stadionschläger heißen nun “Hooltras“ – eine Mischung aus Hooligans und Ultras.Und noch etwas hat sich verändert: In den Achtzigern gab es Schlägereien in den Stadionkurven. Heute beobachtet Helmut Spahn, Sicherheitsbeauftragter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) "eine Zunahme gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Fans und der Polizei außerhalb der Stadien". Da die Sicherheit in den Stadien durch Ordner, Polizei und Kameras gut organisiert ist, verlagern sich die Konflikte auf Bahnhöfe und andere Anreisewege.Im Stadion ist vor allem das Zünden bengalischer Feuer auf den Rängen ein Problem, das immer wieder für Auseinandersetzungen sorgt. Die Härte der Sanktionierungen bis hin zu Gerichstprozessen werden hier äußerst konträr diskutiert. “Die Hauptprobleme in den Stadien drehen sich um Pyrotechnik“, bestätigt Spahn. Von den 40 Strafdelikten, die der DFB bis Anfang März 2009 in den oberen vier Ligen gezählt hat, waren hingegen lediglich zwei Gewalttaten dabei.Neben der territorialen Verdrängung der Gewalt ist es auch ein neuer Phänotyp, der heute als “Problemfan“ gilt. Wo früher reine Kraftmeierei und Knast-Tattoos als Insignien dienten, sieht der Krawallbruder von heute eher unscheinbar aus. Es hat sich das Wort “Ultras“ herauskristallisiert, ein aus Italien übernommener Begriff, der per se erst einmal einen bunten und lauten Auftritt meint, mit Gewalt nicht zwingend etwas zu tun hat.DFB-Beauftragter Spahn: "Die Masse der Ultras ist völlig friedlich." Es gebe aber auch Gewaltbereite. “Da sind viele 14- bis 16-Jährige dabei. Sie haben vor allem die Polizei als Feindbild."Philipp Markhardt ist Mitglied der Chosen Few, einer 300 Mitglieder zählenden Ultra-Gruppe des HSV. Er distanziert sich von Gewalt, sagt aber, dass es dennoch oft Konflikte zwischen Fans auf der einen Seite und Vereinen, Verbänden sowie vor allem Ordnungshütern auf der anderen gebe. “Wo fängt Fanatismus an, wo hört er auf?“, fragt er.Gleichzeitig ist Markhardt Sprecher der Initiative “Pro Fans“, einem Bündnis, das sich um sämtliche Fan-Themen kümmert. Da geht es um die Zerstückelung des Spieltages, verhängte Stadionverbote, die grassierende Kommerzialisierung oder polizeiliche Willkür. Und Problemfans will man bei "Pro Fans" vor dem Abrutschen bewahren. Markhardt: “Wenn ein Jugendlicher Verfehlungen begeht und man ihn aus der Bezugsgruppe reißt, geht er zu anderen Fans mit Stadionverbot.“ Das sind dann meist richtige Schläger. "Wir bewegen uns hier in einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Beschränkung“, sagt Spahn.Aufklärung statt VerboteAuch Sven Brux, Organisationsleiter des HSV-Stadtrivalen FC St. Pauli, hält die Be- und Verurteilung von Fanaktionen nicht immer für einfach. “Was für die einen gesittet ist, ist für die anderen Sodom und Gomorrha“, sagt Brux, der viele Jahre auch Fanbeauftragter der “Braun-Weißen“ war. Er plädiert eher für die lange Leine als für hartes Durchgreifen. Solange, fügt er hinzu, nicht klar Gesetze übertreten werden. So gab es Richtlinien seitens der Polizei, kaum mehr Gegenstände im Stadion zu erlauben. Vor allem die beliebten Doppelhalter für Fahnen könnten als Zündwerk oder Schlaginstrumente dienen. Brux und seine Mitstreiter klärten die Fans auf. Das war 2007, seitdem wurden die Doppelhalter am Millerntor nur noch friedlich eingesetzt.Der Selbstreinigungsprozess hat in der Fankultur Tradition. So hat beim HSV der 50.000 Mitglieder zählende "Supporters Club“ einen immensen, befriedigenden Einfluss auf das Geschehen. Zu Beginn der Neunziger lag der HSV nicht nur sportlich danieder, auch eine Einbindung der Fans gab es praktisch nicht. “Es gab keine Regelung der Fanszene“, erinnert sich Supporter-Gründungsmitglied Dirk Mansen.Die Fan-Vertreter waren dann so schlau und gliederten sich als Abteilung in den Verein ein. “Wir wollten intern überzeugen, das System nutzen“, berichtet Mansen. Es ging zunächst um die Organisation von Auswärtsfahrten und Veranstaltungen jeglicher Art. Höhepunkt der Kooperation war schließlich der Stadionneubau, der in Zusammenarbeit zwischen den “Supporters“ und dem Verein gestaltet worden ist.Der HSV ist auch ein Musterbeispiel dafür, dass Neonazis kaum mehr Platz in der modernen Stadionkultur finden. Noch bis tief in die Neunziger infiltrierte der braune Mob das Geschehen auf den Rängen. Das nahm in dem Maße ab, in dem die “Supporters“ an Einfluss gewannen.In den Neunzigern tauchten dafür aber die gewaltbereiten “Hools“ in den Stadien auf. Im Grunde waren sie es, die die Kuttenträger als Rädelsführer ablösten. Sie zeichneten sich durch eher unscheinbare Kleidung aus, waren kulturell, politisch und sozial eine sehr heterogene Masse, die sich durch perfide Männerrituale definierte. Vor allem durch das brutale Hauen untereinander, häufig außerhalb der Stadien, auf abgelegenen Industriebrachen oder Parkplätzen.Auch dieser "Fantyp" ist aber mittlerweile wieder von der Bildfläche verschwunden. Fan-Experte Brux fasst es so zusammen: “Seit acht Jahren sind die Ultras bestimmend.“ Übersichtlicher ist die Lage dadurch allerdings nicht geworden. Die Organisationsstruktur haben sich entscheidend verändert.“Die Ultras lehnen hierarchische Strukturen ab“, sagt Brux. “Die wissen deshalb manchmal selber nicht, was an ihren Rändern passiert.“
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