In den Monaten vor dem Krieg hatte die zersplitterte irakische Exil-Opposition - nach massiver Intervention Washingtons - versucht, interne Gegensätze zu überwinden. Sechs Gruppierungen wurden dabei in das amerikanisch intendierte "Zukunft für Irak"-Projekt einbezogen: Der Iraqi National Congress (INC) unter Ahmad Chalabi, die Kurdistan Democratic Party (KDP) von Masoud Barazani, die Patriotic Union of Kurdistan (PUK) unter Jalal Talabani, das Constitutional Monarchy Movement (CMM) von Sharif Ali Ibn-Hussein, der Iraqi National Accord (INA) von Ayad Allawi und das Supreme Council for the Islamic Revolution in Iraq (SCIRI) unter Vorsitz von Mohamad Baqir Al-Hakim. Gewissermaßen als Plattform diente ein durch den schiitischen Akademiker Kenan Makiye (Direktor des Iraq Research and Documentation Project an der Universität Harvard) verfasstes Papier (es trug den Titel Transition to Democracy), das Ende 2002 dem Kongress der irakischen Opposition in London vorgestellt wurde. Die auf dieser Konferenz anwesenden Parteien hatten zugleich ein 65-köpfiges Follow-Up-Komitee nach ethnisch-konfessionellem Proporz gewählt: 18,4 Prozent der Mandate für die Kurden, 50,7 für schiitische und 18,7 für sunnitische Araber - 7,6 für die Turkomanen und 4,6 für Christen.
Das Makiye-Papier jedenfalls kam dem Verlangen der kurdischen Parteien nach einem föderalen System weit entgegen und definierte den Irak nicht länger als arabischen Staat - trotz der Risiken eines ethnisch bestimmten Föderalismus, denn eine Abgrenzung zwischen den als "kurdisch" und "arabisch" zu klassifizierenden Gebieten dürfte höchst umstritten sein.
Ein kurdischer Premier?
Im Unterschied zu allen anderen Oppositionsparteien sind die Kurdistan Democratic Party (KDP) und Patriotic Union of Kurdistan (PUK) seit Jahren kontinuierlich im Irak präsent und verfügen über ein eigenes Militärpotenzial. Wichtiger noch, beide Parteien wurden durch die 1992 in den befreiten kurdischen Gebieten abgehaltenen Wahlen legitimiert und haben eine zivile Verwaltung aufgebaut, die Schätzungen zufolge etwa 200.000 Angestellte beschäftigt. Kritikern zufolge wurde dieser embryonale Staat im Staat wesentlich über tribale Loyalitäten und nach klientelistischen Prinzipien strukturiert. Auch wenn die Differenzen zwischen PUK und KDP nach wie vor erheblich sind, besteht kein Zweifel, dass sie unter allen Parteien des Irak heute die größte Legitimation besitzen. Beide repräsentieren zusammen vier bis fünf Millionen Kurden und damit 20 Prozent der irakischen Bevölkerung - die Basis, um eine Föderation mit einer autonomen Kurden-Region und eine klar kodifizierte Teilhabe an der Macht in Bagdad zu verlangen. Der von PUK und KDP verabschiedete Entwurf einer neuen Verfassung sieht denn auch vor, dass entweder das Amt des Präsidenten oder des Premiers von einem Kurden besetzt wird.
Sollten sie mit diesen Optionen scheitern, behalten sich die Kurden das Recht auf Selbstbestimmung vor, obwohl die USA bislang klar zu verstehen geben, dass sie eine Separation vom irakischen Staat nicht akzeptieren würden. Weitere Konfliktpunkte sind die Rückkehr von möglicherweise mehreren hunderttausend kurdischen Flüchtlingen, die während der Arabisierungskampagnen des Baath-Regimes vertrieben wurden, wie auch der künftige Lebensort der an ihrer Stelle angesiedelten arabischen Iraker. Nicht einmal der Ansatz einer Lösung ist bisher in Sicht.
Ahmad Chalabi - Rumsfelds Favorit
Der Irakische Nationalkongress (INC) wurde 1992 als Dachorganisation aller irakischen Oppositionsparteien begründet. Bereits Mitte der neunziger Jahren führten jedoch politische Differenzen und ein gescheiterter Aufstandsversuch zum Rückzug der meisten Mitgliedsparteien. Heute repräsentiert der INC vorzugsweise seinen Vorsitzenden Ahmad Chalabi, Nachkomme einer in der Zeit der Monarchie prominenten schiitischen Familie. Chalabi ist es gelungen besonders innerhalb des Pentagon an Einfluss zu gewinnen; die Verabschiedung des Iraq Liberation Act 1998 ist wesentlich seiner Lobbyarbeit zu danken.
Als schwere Hypothek belastet Chalabi nach wie vor der Skandal um die von ihm gegründete jordanische Petra-Bank, deren Kollaps 1989 dazu führte, dass er in Amman in Abwesenheit wegen Veruntreuung zu 22 Jahren Haft verurteilt wurde. Eine Untersuchung der amerikanischen Auditing-Firma Arthur Andersen sprach von 200 Millionen Dollar, die teilweise in mit Chalabi liierte Firmen flossen (Unregelmäßigkeiten werden ihm gleichfalls in Verbindung mit US-Hilfsgeldern für den INC vorgeworfen). Seitdem hatte das State Department Chalabi gegenüber eine höchst reservierte Haltung bezogen, konnte sich damit aber nicht gegen das Pentagon durchsetzen.
Die Lobby der Sunniten
Chalabi bleibt als säkularer, pro-westlicher Schiit zur Leitfigur der irakischen Nachkriegsordnung auserkoren, die von der amerikanischen Besatzungsmacht an ihrer Fähigkeit gemessen werden dürfte, die schiitische Bevölkerung gegen Einflüsse aus Iran zu immunisieren. Eine Regierung Chalabi wird sich auch einer konzilianten Haltung gegenüber Israel befleißigen - dafür bürgen nicht zuletzt einflussreiche Förderer wie Richard Perle und Douglas Feith, die beide einst entscheidend die Außenpolitik des Likud-Premiers Benjamin Netanyahu in Israel formuliert haben.
Das State Department und das brititsche Foreign Office setzen dagegen mehr auf das sunnitische Lager. Die dabei bevorzugten Gruppierungen sind der Iraqi National Accord, geführt vom ehemaligen Geheimdienstler Ayad Allawi, und die Irakischen Freien Offiziere, geführt von General Najib Al-Salih. Das seit dem Sturz des Baath-Regimes ausgebrochene Chaos deutet allerdings darauf hin, dass diese Gruppe eine solche Funktion entweder nicht übernehmen kann oder von der US-Besatzungsmacht auf Distanz gehalten wird. - Als potentieller Vertreter der sunnitisch-arabischen Iraker und Kandidat des State Department wird schließlich der seit 1969 im Exil lebende Ex-Außenminister Adnan Pachachi genannt. Ein Exponent der alten irakischen Oligarchie, der die Interessen der Bevölkerung gegenüber den Ansprüchen der bisherigen Exil-Parteien betont und seine Wahl in das Spitzenkomitee der Opposition Ende Februar als "undemokratischen Vorgang" zurückgewiesen hat - eine mögliche Integrationsfigur für die urbane, sunnitische Mittelklasse.
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