Vier Jahre lang regierte in Spanien der Partido Popular (PP) mit knappem Vorsprung vor den Sozialisten des Partido Socialista Obrero (PSOE) dank der bürgerlichen Nationalisten aus Katalonien, dem Baskenland und der Kanaren. Ausgezeichnet haben sich die politischen Enkel Francos während dieser Zeit nur auf den Feldern Korruption, Vetternwirtschaft und einer reaktionären Restauration in den Bereichen Justiz und Kultur. Günstige Wirtschaftsdaten, die von vielen Kommentatoren zum Erfolgsschlüssel ausgerufen wurden, kamen in erster Linie durch den von Europas großen Konjukturlokomotiven erzeugten Sog zustande. Wenn breiter Wohlstand herrscht in Deutschland und Frankreich, England und Holland, so zieht das stets steigende Beschäftigung im Tourismus-Land Spanien nach sich. Die eigenen Industriestrukturen blieben marode wie eh und je.
Die Bilanz der Regierung erklärt somit nicht die am 12. März eingefahrene absolute Mehrheit, die noch dazu unter einem Partei- und Regierungschef namens José María Aznar errungen wurde, der auf nüchterne Beobachter wirkt wie ein durch eine Verkettung von Absurditäten an die Spitze des Landes gelangter Scherzartikel für Leute mit schlechtem Geschmack. Zu konstatieren gibt es mithin nicht einen Triumph der Rechten, sondern ein Desaster der Linken. Regionalwahlen beweisen das immer wieder: In Spanien existiert eine konstante soziale Mehrheit der Linken. Doch innerhalb dieses Potenzials befindet sich ein nicht geringer, gewissermaßen schlafender Anteil, der stets erst geweckt werden muss. Das ist in diesem Fall dem erst kurz vor dem Wahltag weithin schlampig und halbherzig formierten Linksbündnis von PSOE und Izquierda Unida (IU; eine Allianz der KP mit ein paar winzigen Linksgruppen) völlig misslungen. Davon kündet die Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent, die noch einmal um sieben Prozent geringer war als 1996. Nur der Rechten gelang es, ihr Reservoir auszuschöpfen. Sie agierte dabei im Sinne eines weltweit zu beobachtenden Phänomens, das die deutsche Regisseurin Andrea Breth in anderem Zusammenhang auf die Formel brachte: "Der Stolz auf eine gewisse Verblödung und Ignoranz nimmt offenbar zu." Die "PePe's" fischten mit besonderem Erfolg im großen Teich der unpolitischen Jungwähler, denen sie sich als eine Art Marke ohne Vergangenheitsballast präsentierten - losgelöst von ihrer Herkunft aus der Franco-Diktatur, die in der Darstellung des Partido Popular ebenso wie in der Wahrnehmung vieler Nachgeborener ja eigentlich gar nicht wirklich stattgefunden hat.
Ermöglicht hat diesen Dreh allerdings erst die Linke, indem sie seit Beginn der neuen Demokratie Ende der siebziger Jahre eine Aufarbeitung des Franco-Faschismus unterließ: Die PSOE unter dem 1996 abgewählten Felipe González aus opportunistischer Anbiederei an die sogenannte Mitte und aus Angst, in diesem Segment jemanden zu verschrecken. Die IU unter Julio Anguita - er zog sich aus gesundheitlichen Gründen erst vor kurzem als Spitzenkandidat zurück - wiederum, weil sie eine Art Sozialfaschismus-Theorie verfocht. Ihr Hauptfeind war bis vor kurzem nicht die Rechte, sondern die Sozialdemokratie. Anguita war sich lange Zeit in seinem weltfremden Maximalismus für keine noch so niederträchtige Parallelaktion mit dem PP zu schade, um den PSOE in die Zange zu nehmen. Der wiederum versuchte, diesen Zangenbewegungen so lange nach rechts hin auszuweichen, bis sich viele liberal gesinnte Wähler die Frage zu stellen begannen, warum sie statt PSOE nicht gleich die Rechte wählen sollten. Und damit die Sozialisten für die während ihrer Regierungszeit verbrochenen Korruptionsdelikte abzustrafen, die der Partei im übrigen größtenteils von rechten Trittbrettfahrern aufgehalst worden waren.
Das führte zur Wahlniederlage von 1996 - seither verharrte die Linke nahezu bewegungslos, während sich die Rechte an der Macht umsichtig einzugraben wusste. Nach dem gnadenlos geführten linken Bruderkrieg der vergangenen Jahre war außerdem die Kluft zwischen der Basis von PSOE und IU zu tief, um nun plötzlich mobilisierende Begeisterung über die erst durch die Ablösung von González und Anguita möglich gewordene Linksallianz aufkommen zu lassen. Zudem überwog der Eindruck, dass die neuen Spitzenmänner - Joaquin Almunia vom PSOE und Paco Frutos von der IU - noch keine hinreichende Erneuerung repräsentieren.
Über beide lässt sich sagen: Eine ehrliche Haut, aber allenfalls ein erstklassiger zweiter Mann, der nur als kleinster gemeinsamer Nenner nach oben gelangen konnte. Die aus der zweiten Reihe agierenden Strippenzieher der alten Seilschaften von González und Anguita blieben in beiden Parteien fest im Sattel, obwohl sie an der Basis kein Mensch mehr sehen will. Wie groß die Kluft zwischen Apparat und Fußvolk ist, zeigte sich bei der PSOE, als in internen Urwahlen der eigenständige José Borrell gegen Joaquin Almunía - den erklärten Kandidaten von Gonzalez Co. - zum Listenführer erkoren wurde. Doch der Apparat intrigierte binnen weniger Monate den Rückzug von Borrell herbei.
Almunía ist noch in der Wahlnacht als PSOE-Generalsekretär zurückgetreten. Das ist ehrenhaft und notwenig - aber nicht ausreichend. Es wird - das Gleiche gilt für die IU - die gesamte Führungsriege den Hut nehmen müssen, wenn die Mehrheit des linken Wählerpotenzials - also die Mehrheit der Spanier - den Eindruck gewinnen soll, man könne endlich für ein neues Linksbündnis stimmen. Und nicht bloß für die alten Apparate mit ausgewechselten Aushängeschildern. In diesem Sinne kann das Desaster von Sonntag eine historische Chance für Spaniens Linke sein.
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