Eigentlich wollte ich den Samstagabend nicht vor der Glotze zubringen, doch es kam anders, weil ich den Wetterbericht sehen und wissen wollte, ob eine neue Eiszeit bevorsteht. Auf allen Kanälen blies der dritte Engel der Apokalypse die Posaune »und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel und fiel auf den dritten Teil der Wasserströme...«, wie es in der Offenbarung des Johannes in Neuen Testament heißt. Über dem Fluss »Dreifaltigkeit«, dem dritten der vier großen Ströme (Colorado, Brazos, Sabine, Trinity) des Bundesstaates Texas verglühte die Raumfähre Columbia beim Eintritt in die Erdatmosphäre und mit ihr sieben Astronauten der NASA. Was während der live auf CNN zu verfolgenden Katastrophe geschah, liest sich selbst für einen ungläubigen Thomas wie eine biblische Vorsehung: »Und als das Lamm das siebte Siegel auftat, entstand eine Stille im Himmel etwa eine halbe Stunde lang« (Johannes 8, Vers 1). Man muss kein kabbalistischer Zahlenmystiker sein, um sich der Symbolik des Unglücks bewusst zu sein. In rund 61 Kilometern Höhe brach die Raumfähre auseinander. Sechs minus Eins gleich Fünf. In der antiken Welt war die Fünf eine Unglückszahl, weil die Sintflut fünf Monate währte wie der Zyklus von Heuschreckenplagen. Die Ereignisse sind viel bedeutender als die Menschen ahnen (F. Guizot), da im Fernsehen jedes denkbare Ereignis zur Gewissheit wird durch seine mediale Manifestation. »Wird der Unfall dargestellt«, sagt Paul Virilio, »so ist er gleichbedeutend mit der Darstellung des Unwahrscheinlichen, Ungewohnten und dennoch Unvermeidbaren«.
War dieser zweite fatale Unfall in der Epoche der Space-Shuttle-Flüge vermeidbar? Gibt es einen Zusammenhang mit Ariel Sharons Wiederwahl vor anderthalb Wochen? Durch CNN erfuhren wir, dass Ilan Ramon, Oberst der israelischen Luftwaffe und 1981 am umstrittenen Bombardement des irakisches Atomreaktors beteiligt, im israelischen Staatsfernsehen aus dem Orbit Gebete für den alten und neuen Premier abhielt. Zu diesem Zweck führte er die persönliche Bibel eines Kindes aus Auschwitz mit sich und las daraus am Sabbath vor.
Die technischen und finanziellen Probleme der NASA mit der Columbia-Mission waren seit Sommer 2001 bekannt. Dann plötzlich, fast auf den Tag genau 17 Jahre nach der Challenger-Katastrophe, hob die Raumfähre ab und prompt kam es im Steigflug zu einem Zwischenfall. Teile des Keramikschildes lösten sich und durchschlugen eine Tragfläche. Während der 16-tägigen Erdumrundung, bei der die Astronauten Fische, Schnecken, Würmer und Ratten für wissenschaftliche Experimente mitführten, verlief laut NASA-Bulletin »alles normal«. Was verwundert, denn es muss allen Beteiligten klar gewesen sein, dass sie ein Problem hatten. Eine Reparatur des Hitzeschildes im All war unmöglich und damit ein routinierter Rückflug.
Im Raumfahrtzentrum Houston schien, wie man im Fernsehen verfolgen konnte, das Bodenpersonal wenig angespannt, als der kritische Eintritt in die Erdatmosphäre erfolgte. Nach dem Abbruch des Funkkontaktes und alarmierender Computersignale zeigte sich keine Hektik, nur lähmende Apathie. Es wurde keine Rettungsaktion eingeleitet, weil die einst geforderte Shuttle-Arche aus Spargründen der US-Regierung Entwurf blieb. Amateure filmten das Ende der Columbia und glaubten wohl an eine UFO-Erscheinung.
Vielleicht habe ich mehr gesehen als gezeigt wurde. Das hat mit meinem Misstrauen gegen Nachrichten zu tun und dem Glauben an die Deformation realer Bilder durch Off-Kommentare. Als Kinder spielten wir Blinde Kuh - ich sehe was, was du nicht siehst. Durch apokalyptische Hollywood-Filme und TV-Serien wie Akte X wurde man (bewusst?) sensibilisiert für phantastische Sichtweisen auf die zunehmend irrationale Politik der US-Regierung. Paul Virilio, der rationale Vordenker medialer Machtkomplotte, weiß auch dafür Rat. »Gegen alles, was bei einer Nachricht den Anschein von Wahrscheinlichkeit erweckt, ist Argwohn geboten. Wir sollten immer zunächst das glauben, was unglaublich zu sein scheint.« Was aber soll man denken, wenn CNN erst einblendet, dass Columbia über dem Ort Palestine (Palästina) nahe Dallas zerbrach, es später aber unterschlägt. Wenn George Bush in seiner Traueransprache sagt: »Wir müssen die technischen Ursachen der Katastrophe untersuchen und die spirituellen Zusammenhänge.« Wie bitte? Ist der Präsident jetzt unter die Esoteriker gegangen?
Wer noch glaubt, dass der 1942 von dem österreichischen Ingenieur Eugen Sänger für die Zerstörung New Yorks erfundene und 1975 von Wernher von Braun gebaute Raumgleiter nur der zivilen Eroberung des Weltalls dient, für den ist im Himmel Jahrmarkt. Der Space Shuttle ist nichts weiter als eine modifizierte V2, und die diente bekanntlich nicht dem Weltfrieden.
Für die technikgläubigen, erfolgssüchtigen Amerikaner ist der Verlust der Columbia kurz vor der Erstürmung Iraks ein böses Omen. Glauben doch viele, dass Gott ein guter Yankee ist und das Böse bestraft. Orthodoxen Juden muss der fatale Höhenflug eines Luftwaffenpiloten wie eine Rache Jahwes vorkommen. Lehnen sie doch den Staat Israel und den Militärdienst ab. Für den irdischen Wahlkampf Sharons gaben die Rabbiner freilich ihren Segen. Der fünfte(!) Sabbath des jüdischen Jahres hat gezeigt, das nationale Selbstgefälligkeit und religiöses Sendungsbewusstsein Eltern sind, deren Kinder auf dem Altar des Fortschritts geopfert werden. Ohne Häme, aber auch ohne falsche Betroffenheit sah ich mir das Abendprogramm bis zum bitteren Ende der RTL-Show Superstar an und war froh, dass Deutschland heuer TV-Helden wie dem wunderbaren, wehr- und weltraum-untauglichen Sängerknaben Daniel applaudiert.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.