FREITAG: Glaubt man letzten Umfragen, dann könnte sich die Schill-Partei am 21. April über die Fünf-Prozent-Hürde schwingen - warum gibt es nach den fast 13 Prozent für die DVU 1998 weiter genügend Anhaltiner, die es mit einer Protestpartei versuchen wollen?
EVERVARD HOLTMANN: Es gibt dieses Protestpotenzial in allen neuen und in Teilen der alten Bundesländer. Im Osten ist es Ausdruck von Spätwirkungen der industriellen Transformationskrise, deren Ausläufer immer noch spürbar sind, aber natürlich auch einer noch nicht ganz gefestigten demokratischen Kultur. Da steckt auch die Unsicherheit dahinter, ökonomische Schwierigkeiten politisch einzuordnen - also die Frage, ob man sie zu einem Versagen des politischen System erklären soll.
Nun zielt die Schill-Partei mit ihrer Sicherheits- und Gerechtigkeitsapologetik mehr auf ältere Wähler - die DVU seinerzeit mehr auf jüngere.
Sicher, die bei Schill in der Endphase des Wahlkampfes - entgegen ursprünglicher Ankündigung - wieder in den Vordergrund gestellten Themen Sicherheit, Ordnung und Ausländerpolitik sind auf die Älteren gemünzt. Ich denke aber, insgesamt zielt die Kampagne darauf, vom ursprünglichen Potenzial der DVU, das sich inzwischen von dieser rechtsextremen Partei nahezu völlig angewandt hat, soviel wie möglich zu gewinnen. Daher gibt es bei den Wahlkampfparolen der Rechtsstaatlichen Offensive auch Schnittstellen mit denen der DVU von 1998.
Wird sich bei diesen Wahlen die anhaltende Abwanderung der 25- bis 35-Jährigen stärker bemerkbar machen als bei den Abstimmungen von 1994 und 1998?
Auswirkungen auf das Wahlverhalten, vor allem die Wahlatmosphäre, sind derzeit schwer messbar. Was man sagen kann: Die überdurchschnittliche Fluktuation gerade der besser Gebildeten und höher Qualifizierten hemmt den unbedingt nötigen Prozess, eine liberale und tolerante Bürgerkultur in Sachsen-Anhalt herauszubilden.
Auch ein Grund dafür, dass die Stetigkeit des Wählers Ost noch wie vor in seiner Unstetigkeit besteht?
Die Wähler in Ostdeutschland sind wirklich vergleichsweise volatil, also in ihrem Wahlverhalten unberechenbar. Das hat damit zu tun, dass Parteibindungen oder -identifikationen, die ja allgemein zurückgehen, in den neuen Ländern seit 1990 auf einem geringeren Niveau als in Westdeutschland ausgeprägt wurden. Andererseits ist die Beweglichkeit der Wähler auch in den alten Bundesländern größer geworden. Schill in Hamburg, sein überraschender, fast aus dem Stand errungener Wahlerfolg hat es gezeigt.
Das Tolerierungsmodell wird nach dem erklärten Willen seiner Akteure beendet. Was bleibt davon an gesamtdeutscher Botschaft?
So wie es bisher in Sachsen-Anhalt praktiziert wurde, war dieses Modell in dem Sinne grundsätzlich positiv, weil damit eine Integration der PDS, die zunächst einmal im demokratischen System Deutschlands noch nicht gänzlich angekommen war, vorangetrieben werden konnte. Zur Bilanz dieser Tolerierung jedoch gehört ebenso, dass der Koordinationsaufwand zwischen den Beteiligten viel höher war, als er in einer formellen Koalition gewesen wäre. Es gab einerseits eine regierende Partei, andererseits einen nicht verantwortlichen Juniorpartner - das führte zu Schwierigkeiten und verwischte Verantwortungsstrukturen der Beteiligten. Von einem Modellcharakter kann daher kaum gesprochen werden, diese Tolerierung war singulär in Deutschland und sie wird auch ein einmaliges Ereignis bleiben.
Mit anderen Worten, es ist gut, wenn die Tolerierung jetzt beendet wird?
Das ist zumindest das übereinstimmende Urteil der Beteiligten. Die Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb dieses Bündnisses scheinen ausgereizt.
Folgt auf die Tolerierung nun die Große Koalition zwischen SPD und CDU?
Auf alle Fälle ist nicht auszuschließen, dass es am 21. April recht eng wird. Das heißt, es könnte für eine rot-rote Koalition gerade so reichen - es könnte auch Hamburger Verhältnisse geben, sprich: eine Allianz zwischen CDU, FDP und Schill-Partei auf einem knappen Mandatssockel. Die Unwägbarkeiten sind beachtlich, die Fehlerquote liegt ja bei Umfragen in der Größenordnung zwischen 1,5 und drei Prozent. Wenn man in Betracht zieht, dass in Sachsen-Anhalt fast die Hälfte der Wähler angibt, noch unschlüssig zu sein, dann ist das eine Aufforderung, mit Spekulationen über Koalitionsvarianten behutsam umzugehen.
Was passiert, wenn die PDS am 21. April vor der SPD liegt und es von den Mandaten her für rot-rot reichen sollte?
Die Signale aus der SPD - von Reinhard Höppner selbst - sind in diesem Punkt eindeutig: Die SPD steht dann als Juniorpartner nicht zur Verfügung. Das würde umgekehrt bedeuten, sollte es eine entsprechende Bereitschaft der CDU geben, dass dann eine rot-schwarze, eher wohl eine schwarz-rote Koalition wahrscheinlich sein dürfte.
Das Gespräch führte Lutz Herden.
Everhard Holtmann ist Professor für Vergleichende Politik an der Martin-Luther-Universität Halle. Er hat zuletzt eine Studie über die parlamentarische Tätigkeit der DVU in der Legislaturperiode von 1998 bis 2002 vorgelegt.
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