In dieser Woche gipfelt es wieder in Brüssel – und diesmal wird es gruselig: Die europäische Bankenaufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) – von den Mitgliedsländern beschlossen, vom EU-Parlament bestätigt – wird abgesegnet und beginnt mit einer Invasion der Buchprüfer. Die sollen nach Wackelkandidaten unter Europas Großbanken fahnden. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie einige Leichen in deren Kellern ausgraben. Noch immer ist die Bankenkrise nicht überstanden, weiterhin stecken in den Bilanzen zahlreicher Finanzinstitute faule Kredite und abenteuerlich bewertete Schrottpapiere.
Etwa 130 der größten Geldhäuser Europas, darunter 24 Großbanken in Deutschland, werden gründlich üb
ch überprüft, bevor sie ab Herbst 2014 unter die Aufsicht der EZB fallen. Die weitaus meisten Banken in der EU, über 6.000 an der Zahl, darunter die deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, haben nichts zu fürchten. Sie bleiben unter der Bankenaufsicht ihrer Heimatländer.Die EZB hält dagegenYves Mersch, im EZB-Direktorium zuständig für das anstehende Prüfverfahren, hat bereits avisiert, Europas Leitbank wolle diesmal mit harten Bandagen spielen. Das heißt, von den Schwergewichten der Geldindustrie, die auf den Finanzmärkten engagiert sind, wird künftig eine höhere Kernkapitalquote im Verhältnis zu ihren nach Risiko gewichteten Aktiva verlangt – plus „Aufschlag“. Der könnte ein Prozent betragen, aber auch bei 2,5 Prozent liegen, wie es die Basel-III-Kriterien für systemrelevante Banken fordern, die nicht pleitegehen dürfen. Also robbt man sich wieder an die vor zwei Jahren bereits verkündete Quote von neun Prozent aller Aktiva heran, wohl wissend, dass auch dies im Krisenfall nicht viel helfen wird. Man denke an den Absturz von Lehman Brothers und andere Bankrotte.Im Vorfeld des jetzigen EU-Gipfels in Brüssel ist über die höheren Quoten heftig gestritten worden. Als die Bankenverbände mauern wollten, hielt die EZB dagegen: Dem Lobby-Druck einiger Häuser werde man garantiert nicht nachgeben, schallte es aus Frankfurt. Dabei ist die Angst der Banker vor den Prüfern der EZB nicht unberechtigt. Gerade hat die Bundesbank vorgerechnet, dass allein die sieben größten Banken im eigenen Land über 43 Milliarden Euro zusätzliches Kapital brauchen werden, um den höheren Quoten zu genügen. Noch größer ist die Angst vor Löchern in den Bilanzen, die zu stopfen sein werden. Fragt sich nur, von wem?Modell HaftungskaskadeDie Stäbe von EZB-Präsident Mario Draghi schwärmen aus, um die Regierungen in Euroland unter Druck zu setzen. Mit der Bilanzprüfung und dem folgenden Stresstest vor dem Start der EU-Bankenaufsicht sollen mögliche Sanierungskosten bei den Heimatländern abgeladen werden. In der Übergangsperiode zum kontinentalen Kontrollregime darf der Rettungsfonds ESM nur ausnahmsweise einspringen. Die Konsequenz – was an Altlasten aus der Finanzkrise 2008/09 anfällt, müssen die EU-Staaten allein tragen. Es gilt das Prinzip, „gemeinsame Haftung nur bei gemeinsamer Aufsicht“ (und gemeinsamer Regulierung). Einen gemeinsamen Fonds für die Sanierung und Abwicklung maroder Banken braucht die Bankenunion unbedingt. Nur wird es Jahre dauern, bis dieser Nottopf mit den nötigen Beiträgen der beteiligten Institute gefüllt sein wird.Es dürfe stets nur europäische Lösungen geben, so Mario Draghi mit Nachdruck, bevor die EZB mit der Bankenaufsicht auch die Verantwortung für die Bankenunion übernimmt. Die dazu fälligen Entscheidungen hätte er am liebsten unter Dach und Fach, bevor 2014 ein neues EU-Parlament gewählt wird, das möglicherweise von rechts- und linkspopulistischen Anti-Europa-Eiferern bevölkert ist.Wohin mit den Leichen im Keller?Was geschieht, wenn die Leichen im Keller der EU-Großbanken zu zahlreich sind, als dass sie mit ein paar Krediten am Kapitalmarkt entsorgt werden könnten, wie die Optimisten insistieren? Wie kann man im Fall der Fälle insolvente Banken abwickeln, statt sie mit Milliardenspritzen künstlich zu retten? Das ist das heißeste Eisen der gegenwärtigen Debatte. Ebenso die Frage: Wer soll das Unabwendbare einer Insolvenz dekretieren? Die EZB, die nationale Bankenaufsicht, eine zusätzliche Abwicklungsbehörde (eine Treuhand 2.0) oder die EU-Kommission? Wenn das geklärt ist, wer soll dann die Zeche zahlen? Die Regierung Merkel möchte die Entscheidung über deutsche Player in deutscher Hand behalten. Dann wird der deutsche Staat allerdings über einen eigenen Bankenabwicklungsfonds auch Kosten zu tragen haben. Angesichts der internationalen Verflechtungen und weltweiten Geschäfte der infrage kommenden Unternehmen eine reichlich deplatzierte Vorstellung, typisch Merkel eben.Eigentlich ist die Philosophie der Bankenunion eine andere. Sie lautet: Es wird mit dem bisherigen Automatismus der Finanzkrise gebrochen, sodass marode Banken nicht mehr allein auf Staatskosten und mit Staatshilfen gerettet werden. Stattdessen gilt das Modell Haftungskaskade. Demnach sind zuerst die Eigentümer oder Aktionäre einer Bank gebeten, dann die Gläubiger, schließlich die Einleger. Erst wenn das nicht reicht, dürfen der Staat beziehungsweise die EU mit Rettungsfonds wie dem ESM einspringen.Sollte dieses Muster Geltungskraft erlangen, dann muss dazu eine europäische Einlagensicherung zustande kommen, also eine vereinheitlichte und organisierte Solidarhaftung des europäischen Kreditsektors. Für die Schwächsten in diesem Spiel: die Bankkunden, Sparer, Kontoinhaber, die Kleinanleger. Traditionell war die Einlagensicherung eine Domäne der Banken, eine Form der Solidarhaftung des Gewerbes. Das Format ist längst zu klein, europäische Lösungen müssen her.