Abwracker Mühlfenzl

Rundfunk Rudolf Mühlfenzl ist der neue Rundfunkbeauftragte für die Sendeanstalten der früheren DDR – und lässt erst mal reihenweise Journalisten rausschmeißen
Ausgabe 45/2015

Am 4. November 1989 unterbrach das damalige DDR-Fernsehen spontan sein Programm, um die Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz live zu übertragen. Ein Jahr darauf meldet ein ARD-Nachrichtensprecher, dass sich diesmal an gleicher Stelle 5.000 Menschen versammelt hätten. Die Polizei spricht von 35.000, der Veranstalter von 50.000 Teilnehmern. Auch Zählen will gelernt sein. Wenn es um die eigene Rechnung geht, sind ARD und ZDF weniger zurückhaltend. Können sie doch beinahe sicher davon ausgehen, bereits ab Dezember auf den Adlershofer TV-Kanälen zu senden. In ihrem Rücken wissen sie Rudolf Mühlfenzl, der aus einer dubiosen Wahl als Rundfunkbeauftragter für die Sendeanstalten der früheren DDR hervorgegangen ist.

Ich muss gestehen, dass ich diese exotische konservative Zierpalme aus den politischen Diskussionsrunden der siebziger Jahre nie ernst nehmen konnte und lediglich sein Talent bewunderte, grienend die Watschen der Kollegen einzustecken. Vielleicht hat Sonderminister Krause, der sich in diesem Fall leider gar nicht als der von SPD-Vize Wolfgang Thierse vermutete Kropf erwies, den in der Versenkung verschwundenen einstigen Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks heimlich bewundert. Sonst hätte er Mühlfenzl wohl kaum den subalternen Beamten der fünf neuen Bundesländer in einer derartigen Weise untergejubelt. Lediglich Berlins Oberbürgermeister Schwierzina will diese kalte Einsetzung des Medienfunktionärs in Karlsruhe anfechten. Die Chancen sind gleich Null. Indes spielt Mühlfenzl Streichorchester und lässt reihenweise Journalisten rausschmeißen.

„Ich habe aus meiner Parteinähe nie einen Hehl gemacht“, sagte er kürzlich im Interview. Solche Sätze haben in Adlershof Tradition und finden dort vielleicht bei dem einen oder anderen Verständnis. Sind 500.000 Demonstranten dafür vor einem Jahr auf die Straße gegangen? Es darf bezweifelt werden. Ich kann mich an kein Plakat „Weg mit Egon Krenzel, wir wollen den Mühlfenzl“ erinnern. Sollte Heiner Müllers bitterer Satz stimmen, dass als erstes die Kultur der Kolonialisierten verschwindet?

Dieser Text erschien am 9. November 1990 in der ersten Ausgabe des Freitag

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