Eine Station hinter dem Münchner Hauptbahnhof liegt, eingebettet ins Sperrengeschoss der U-Bahn-Haltestelle Königsplatz, der sogenannte Kunstbau am Lenbachhaus. Oben auf dem Platz steht mit dem Lenbachhaus eine der schönsten Künstlervillen der Stadt, die Werke von Kandinsky, Münter oder Macke beherbergt. Unten im Kellerfortsatz widmet sich das Haus vorwiegend der zeitgenössischen Kunst. Hier finden Sammelausstellungen junger Münchner Künstler statt, es stellten aber auch schon Gerhard Richter, Erwin Wurm oder Maria Lassnig aus.
So erfolgreich die Schauen sind, so unbeliebt ist der Kunstbau als Raum: ein lichtarmer Schlauch, in dem es immer etwas zu laut und zu kalt ist. „Es ist hier schon ein bisschen wie in einer Autobahnunterführung“
rung“, sagt auch Michaela Melián, als sie durch ihre Ausstellung führt. Die Außergewöhnlichkeit dieser Künstlerin, die als Komponistin, Musikerin, Zeichnerin, Raumkünstlerin und Autorin arbeitet, und das eigentlich immer gleichzeitig, zeigt sich nun auch daran, dass sie in der Autobahnunterführung eine Welt aus Musik, Bild und Licht entstehen lassen hat, aus der man sich kaum wieder losreißen kann.Online und per TelefonAllein ihr Werdegang: Michaela Melián, geboren 1956, studierte in München am Richard-Strauss-Konservatorium Cello und Malerei an der Akademie für Bildende Künste. Sie ist Gründungsmitglied und Sängerin und Bassistin der Band Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.) und produziert regelmäßig Hörspielfassungen ihrer Installationen für den Bayerischen Rundfunk. In den 90ern begann ihr Aufstieg als gestaltende Künstlerin, früh wurden die Frage nach Geschlechterrollen und die Anders-Bearbeitung der nationalsozialistischen Geschichte ihre großen Themen.Als die Stadt München 2008 einen Künstlerwettbewerb zur Gestaltung eines Holocaust-Denkmals ausschrieb, erhielt Michaela Melián den Zuschlag für die multimediale Arbeit Memory Loops: Für 300 Adressen in der Stadt trug sie Beobachtungen und Erinnerungen von Zeitzeugen zusammen und speicherte diese als Audiodateien in Wort und Musik, die man online oder per Telefon von einem Server abrufen kann. So wird das gesamte Stadtgebiet förmlich mit einem Netz der Erinnerungen überzogen, und die Menschen in der Geschichte werden erfahrbarer als bei einem Monument. Die zunächst hoch umstrittene Arbeit – ein online abrufbares Denkmal fanden viele Kritiker irgendwie frivol – ist mittlerweile mehrfach ausgezeichnet worden. Spätestens mit ihr hat sich Michaela Melián als eine der wichtigsten Künstlerinnen der Stadt etabliert.Placeholder image-1Umso erstaunlicher ist es, dass ihr das Lenbachhaus erst jetzt eine Soloausstellung widmet. Die neue Installation Electric Ladyland funktioniert auch wie eine Art Portal, von dem aus man die Melián-Welt erkunden kann, insgesamt acht Arbeiten, die, jede für sich, theoriegesättigt, politisch relevant und zugleich immer auch sehr schön zu betrachten oder erlauschen sind. Die Videoarbeit Föhrenwald etwa, die historische Erschließung einer Siedlung, in der Zwangsarbeiter und Displaced Persons untergebracht waren und die heute ein nahtlos integriertes Wohngebiet eines Münchner Vororts ist. Oder Lunarpark, eine simples, aber effektives Spektakel aus Licht und Glas und Geselligkeit.Im Zentrum des titelgebenden Electric Ladyland steht die Figur der Olympia, die automatische Frau, die in Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen zur Unterhaltung von Männern ausgestellt wird. Olympia ist eine perfekt geformte, wunderschöne Puppe, die genau ein Lied („Die Vögel im Käfig“) singen, genau einen Tanz tanzen (den Walzer) und genau einen Satz sagen kann („Ach, ach, ach.“).Placeholder image-2„Die Geschichte des Automaten ist ja auch die Geschichte des männlichen Begehrens, Frauen und ihre Reproduktion zu kontrollieren“, sagt Michaela Melián. Wie in so vielen ihrer Arbeiten steigt sie tief in die (Bild-)Geschichte ihres Sujets ein. Die Obsessionen des 17. Jahrhunderts bringt sie mit Science-Fiction-Filmen der 60er zusammen. Die Wände im Kunstbau sind bespannt mit einer immensen Zeichnung auf Stoff: Es sind DNA-Doppelhelixen zu sehen, Laboratorien, Prothesenmodelle aus dem 17. Jahrhundert, weibliche Androiden und andere Automaten. Von der Decke baumelt ein Gespinst aus Glühbirnen, im Raum erklingt Meliáns neuste Komposition – allerdings in viele Soundbündel aufgeteilt, die an unterschiedlichen Punkten im Raum unterschiedlich erklingen: Mal ist da eine isolierte Geige, mal eine Gruppe Bläser. Nur Meliáns betörend melancholischer Gesang – „Ach, ach“ – erklingt überall.Erst indem man den Raum durchschreitet oder sich einen Punkt darin aussucht, macht man sich sein Gesamthörstück daraus. „Ich möchte gern auf lineare Erzählungen verzichten, die machen alles immer zu einfach“, sagt Michaela Melián. „Bei mir soll sich jeder zum Ganzen in Position bringen.“ Ein hoher Anspruch, den die Gesamtkunstwerkerin da an ihr Publikum stellt. Aber einer, dem gerecht zu werden sich lohnt.Placeholder infobox-1