Ach Schadzii, du bist so tolliii!

Oberflächenpflege Das soziale Leben findet im Netz statt. Wie Jugendliche sich auf der Online-Plattform SchülerVZ inszenieren. Eine Feldforschung

MySpace, Facebook oder Xing heißen die Pausenhöfe, Marktplätze und Firmenflure unserer Zeit. Oder SchuelerVZ, StudiVZ, MeinVZ: soziale Netzwerke im Internet. Die VZ-Portale des Holtzbrinck-Verlags gehören zu den Seiten, die in Deutschland am häufigsten angeklickt werden. Und die nicht selten als Problem wahrgenommen wurden wegen ihrer undurchsichtigen Werbestrategien und eines laxen Umgangs mit dem Datenschutz. Darüber hinaus vollzieht sich dort ein Wandel der Formen menschlichen Zusammenlebens.

Nie zuvor haben Schüler ihr Leben so offen präsentiert und medial zelebriert wie Jugendliche von heute. Sie bilden ihr Leben online ab, am liebsten bei SchuelerVZ.net. Expressiv und ironisch, selbstverliebt und kreativ präsentieren sich die Jugendlichen auf diesen Seiten. Dort vernetzen sie sich, verbringen Stunden im Internet auf der Suche nach neuen und alten Freunden, durchstöbern virtuelle Fotoalben und polieren ihr Image mit Hilfe von Profilen, die an analoge Poesiealben erinnern. Wer heute keinen Computer hat, droht zum Außenseiter zu werden.

Der Ableger der im Oktober 2005 gegründeten und später an den Holtzbrinck-Verlag verkauften Plattform StudiVZ.net hat sich innerhalb eines Jahres zu einer der meistbesuchten deutschsprachigen Websites entwickelt. Seit Februar 2007 wurden über 4,6 Millionen Profile erstellt. Deren Nutzer klicken die Seite im Schnitt 38mal pro Monat an. SchülerVZ-Mitglieder besuchen die Online-Gemeinschaft also täglich, in der Regel wird sich direkt nach der Schule eingeloggt.

Auf ihrem persönlichen Profil können Jugendliche ihre Lieblingsfilme, ihre Lieblingssprüche oder ihre politische Einstellung und ihren Beziehungsstatus angeben. Sie können Nachrichten verschicken, Pinnwandeinträge schreiben und ganze Urlaubsfotoalben hochladen. Auch Freunde kann man hier finden, Freundschaften müssen jedoch zunächst virtuell beantragt werden. Schließlich haben die Nutzer die Wahl zwischen mehr als einer halben Million Gruppen, wie beispielsweise der "Jogginghosen"-Gruppe oder der "Ich-singe-immer-unter-der-Dusche"-Gruppe. Oder sie gründen gleich selber eine neue.

Öffentlicher oder privater Raum?

SchuelerVZ ist nicht öffentlich zugänglich. Anmelden kann sich jeder, der von einem SchuelerVZ-Nutzer eine Einladung per E-Mail erhalten hat - egal ob Schüler oder nicht. Jeder Nutzer kann bestimmen, für wen die Angaben in seinem Profil sichtbar sein sollen. Jedoch handelt es sich bei den persönlichen Angaben nur scheinbar um geschützte Daten, denn SchülerVZ dient auch als Werbeplattform. Anfang 2008 mussten alle Nutzer des Schwester-Portals StudiVZ einer "Datenschutz-Erklärung" zustimmen, die - ganz weit unten - auch die Zustimmung zur Verwendung der eigenen Profildaten zu Werbezwecken vorsah. In Zukunft sollen die Nutzer beider Portale auf Basis ihrer individuellen Angaben und ihres Klickverhaltens personalisierte Werbeangebote bekommen. Targeting nennt sich das verräterisch, Studenten und Schüler werden zu Zielscheiben der Werbeindustrie.

Aber nicht nur dadurch erregt SchuelerVZ Aufmerksamkeit: Im August 2007 erstattete ein Vater eine Anzeige gegen das Portal, nachdem pornografische und rassistische Inhalte auf der Seite aufgetaucht und so seiner 13-jährigen Tochter zugänglich gewesen waren. Zwar wurden die Inhalte schnell gelöscht, doch nutzen noch immer rechte Gruppen das Portal für ihre Propaganda, Fotos von Massakern werden veröffentlicht, Sexbilder kursieren. Zudem nutzt die Bild-Zeitung das Portal, um persönliches Bild- und Informationsmaterial zu erhalten, wie im letzten Jahr nach dem tragischen Tod eines Mädchens beim Skilaufen.

Neues Verständnis von Freundschaft

Auffallend an den Profilen bei SchuelerVZ sind die hohen Freundeszahlen der einzelnen Nutzer. So sind mehr als 300 Freunde keine Seltenheit und selbst an der eigenen Schule haben viele Jugendliche oft über 100 Freunde. Befreundet sein heißt dabei zunächst nur, dass man einen virtuellen Freundschaftsantrag angenommen hat. Damit etabliert sich in Online-Communities wie SchuelerVZ anscheinend ein neuer, weiterer Freundschaftsbegriff, der sowohl enge Vertraute als auch ein Netz an Bekannten umfasst. Viele Freunde zu haben, gilt als cool. Da alle Freunde auf dem eigenen Profil angezeigt werden, entwickelt sich schnell ein virtueller Wettlauf um möglichst viele Kontakte. Lange Freundeslisten sollen dabei eine performative Wirkung erzeugen - sie sollen helfen, jene Beliebtheit zu erreichen, die zunächst nur suggeriert wird. Im alltäglichen Umgang wird unter den Freundschaften relativ genau unterschieden. Während zum Geburtstag jeder seinen Glückwunsch auf der Pinnwand hinterlassen darf oder auch sollte, zeigt sich auf den persönlichen Fotos, mit wem man wirklich Zeit verbringt. So erzählte eine SchülerVZ-Nutzerin mit insgesamt rund 280 Freunden, dass von 100 Freunden etwa 20 "gute Freunde" und 50 "normale Freunde" seien, während die restlichen 30 eher "Bekannte" wären.

Trotz dieser Differenzierung und dem latenten Zwang, sich als beliebt und kontaktfreudig zu präsentieren, beeindrucken die hohen Freundeszahlen dennoch. Die Zeiten, in denen sich eher in kleinen Kreisen ausgetauscht wurde, scheinen im Zeitalter der digitalen Vernetzung passé. Mit der Ausweitung sozialer Netzwerke im Internet ändert sich die Erfahrungswelt der Jugendlichen dramatisch. Wartete man früher neugierig auf die Erzählungen weniger Bezugspersonen oder schaute heimlich beim großen Bruder zu, um seinen persönlichen Horizont zu erweitern, verbreiten sich heute alle Mode-, Musik- oder Freizeitstile im Eiltempo durch SchuelerVZ.

Über Freundeslisten und weitere Angaben auf den Profilen lassen sich verschiedene Formen von Mobilität nachvollziehen. Untersucht man die Angaben genauer und markiert die Schulen und Kontakte auf einem Stadtplan, zeigt sich, dass der Bewegungsspielraum der Jugendlichen stark vom Wohn- und Schulort sowie der Verkehrsanbindung abhängig ist.

Aus Berlin-Mitte etwa streckt man die Fühler eher in verschiedene Richtungen aus, am Stadtrand orientiert man sich eher in die nahe Umgebung als in weit entfernte Gebiete der Stadt. Auffallend ist zudem der relativ geringe Kontakt von Gymnasiasten zu Real- oder Hauptschülern, wobei letztere bei SchuelerVZ ohnehin schwach vertreten sind. Soziale Schranken entfalten auch in der virtuellen Welt ihre Wirkung. Doch nicht nur Gymnasiasten bleiben meistens unter sich, auch Ost- und Westberliner Schüler stehen bei SchuelerVZ nicht übermäßig stark in Kontakt miteinander. Einzelbeobachtungen lassen die Vermutung zu, dass Jugendliche, die im Ostteil der Stadt zur Schule gehen, sich eher in den Westen orientieren als andersrum.

Was Jugendliche sich zu sagen haben

Hartnäckig hält sich das Gerücht, durch die neuen Medien verringere sich die Kommunikationsfähigkeit der Heranwachsenden, die deshalb zunehmend sozial isoliert seien. Nicht so im SchuelerVZ-Kosmos. Hier wird fantasievoll geflirtet, entschlossen geliebt, erbittert gestritten und originell intrigiert - und jeder kann dabei zusehen. "Ach Schadzii, du bist so tolliii! Danke für alles. Du kannst auch imma kommen, wenn was is, das ist kla na!!! Ach Schadzyy lieb uh. Kuss Honey", schreibt eine SchuelerVZ-Nutzerin auf die öffentliche Pinnwand ihres Freundes, was prompt eine ebenso leidenschaftliche Botschaft von dessen Ex-Freundin provoziert.

Manche der Nachrichten lassen sich für Außenstehende kaum noch entziffern, denn mit dem neuen Medium ändern sich nicht nur die Inhalte der Kommunikation, sondern auch die Sprache. Anglizismen, Abkürzungen und so genannte Emoticons wie Smileys und andere Zeichensymbole sind für die jugendliche Netzsprache charakteristisch. So steht die Anrede Eaabf für "einzige allerallerbeste Freundin", die Abkürzung lol für "laughing out loudly", während "@>-`--" eine Rose symbolisiert. Es entwickelt sich ein Netzjargon, der von den Jugendlichen auch im Alltag verwendet wird. Häufig ist der Umgang mit Sprache virtuos und überaus komplex - wenn auch nicht immer im Sinne der gültigen Rechtschreibregeln.

Emotional und direkt ist die Kommunikation vor allem auf den Pinnwänden. Dort finden sich Liebesbotschaften, aber auch so manche Obszönitäten, es wird "geknutscht" aber auch "angekackt" oder "gepimmelt". Die visuellen Darstellungsformen sind mittlerweile so vielfältig, dass man schon von einem neuen Genre der Pinnwand-Kunst sprechen kann. Als gleichermaßen populär und gefürchtet gilt inzwischen besonders der "Gay-Truck", der an Profile verschickt wird, die besonders "schwul" zu sein scheinen (siehe Abbildung).

Als Profis der Distinktion und Selbstinszenierung präsentieren sich die Jugendlichen bei Schueler-VZ in ihrer Bildsprache. Insgesamt haben die Nutzer des Portals bereits über 24 Millionen Bilder ins Netz gestellt und so Millionen von Menschen zugänglich gemacht, vom privaten Schlafzimmerbild bis zum Saufgelage vom Wochenende. Partys, Urlaub, Freunde und Selbstporträts sind die beliebtesten Motive einer Jugendgeneration, die wie keine zuvor auf Bildern präsent ist und damit handelt. Dabei sind die Posen der Mädchen deutlich bunter und verspielter als die der Jungen. Mädchen lachen mehr, verkleiden sich öfter und haben eine größere Spannbreite körperlichen Ausdrucksvermögens. Jungs zeigen dagegen auf den Bildern eher spärliche Gesten und starre Mienen, zudem verbreiten sie - vor allem die zahlreichen "Gangster-Rapper" - deutlich aggressivere Botschaften.

Individueller Umgang mit digitalen Medien

Jugendliche nutzen SchuelerVZ auf sehr unterschiedliche Weise. So finden sich neben kunstvoll gestalteten Profilen fast leere, kaum benutzte Seiten. Wenn Schüler zu Hause am Computer sitzen, surfen sie in der Regel nicht nur bei SchuelerVZ, sondern machen viele andere Dinge parallel: Sie hören Musik, arbeiten an ihren Hausaufgaben oder kommunizieren gleichzeitig in Chats oder per SMS. Zwischen Medienwelt und Realität wird kaum noch unterschieden, vielmehr ist der Computer aufgrund seiner Multifunktionalität einer fester Bestandteil im Lebensalltag der Jugendlichen.

Besonders Jungs nutzen SchuelerVZ zum Flirten. Schließlich bieten Fotos und Profilangaben anscheinend perfekte Möglichkeiten der Partnerwahl. SchuelerVZ dient der ersten und unverfänglichen Form der Kontaktaufnahme. Eine Nutzerin beschreibt das so: "Bevor der das annimmt, guckt er sich natürlich erst einmal die Seite an und schaut, ob er das Foto toll findet. So lernt man sich schon mal kennen. Dann nimmt er an, dann redet man, dann geht man zum Chatten über, danach zum Telefonieren und vom Telefonieren geht man dann zu Treffen über. Und dann, ja also ..."

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