Langsam werden die Europäer nervös. Sie haben auch allen Grund dazu. Wer sich bei George Bushs Rede "Zur Lage der Nation" vielleicht noch mit dem Argument beruhigt hatte, die "Achse des Bösen" sei eine rhetorische Sturmbö, mit der das amerikanische Feuer des Patriotismus am Lodern gehalten werden soll, weiß es nach der Münchner Sicherheitskonferenz besser. Dort sprachen geistige Väter des neuen amerikanischen Unilateralismus so unverblümt Klartext, dass den Verbündeten - oder "Verbündeten"? - eigentlich Hören und Sehen vergangen sein müsse. Richard Perle, zum Beispiel, ließ die Versammlung wissen: Wenn Amerika vor der Wahl steht zwischen der eigenen Verteidigung und einer langen Liste von Freunden, wird es sich immer für
2;r die Verteidigung entscheiden. Oder Pentagon-Vize Paul Wolfowitz, der unmissverständlich klar machte, dass Washington die "bösen Achsenmächte" militärisch angreifen werde, wenn man dies für richtig halte. Ganz oben auf der Liste: Irak.Nun ist die Sicherheitskonferenz kein Beschlussorgan, sondern ein Forum, auf dem Klartext geredet werden soll. So gesehen, darf man froh sein, dass es diese jährlichen Treffen der sicherheitspolitischen Eliten gibt. Protest - nicht gegen die Veranstaltung selbst, wohl aber gegen die dort vorgestellten Ideen und Konzepte - gehört dazu. Es ist nur recht und billig, dem offenen Wort der einen ein ebenso deutliches entgegen zu halten. Im Saal, aber auch davor. Das ist gute demokratische Sitte. Wer diesen Protest unter fadenscheinigen Sicherheitsgründen im Keim erstickt und gleichzeitig vorgibt, demokratische Werte in allen Ecken der Welt mit Gewalt verteidigen zu müssen, macht sich im hohen Maße unglaubwürdig.Fragwürdig blieb auch, warum eigentlich nur Amerikaner und - in Maßen - Russen ihr Recht auf Klartext wahr nahmen. Von einem selbstbewussten europäischen Auftreten war jedenfalls wenig zu merken. Zwar hat der deutsche Verteidigungsminister darauf hingewiesen, dass Terror seine Ursachen auch in Armut, Elend und Unterdrückung hat. Ansonsten aber stand man zerknirscht da und ließ sich von den Amerikanern wegen mangelnder militärischer Bündnisfähigkeit an den Pranger stellen oder geißelte sich am besten gleich selbst ob der angeblich viel zu geringen Verteidigungsausgaben. Nicht die amerikanische Überlegenheit, sondern die militärische Rückständigkeit Europas sei das eigentliche Problem bei der weltweiten Terroristenjagd- hieß es fast unisono in München.Wenn obendrein dann auch noch der Bundeskanzler "Beruhigungspillen" verteilt und nach seinen Gesprächen in Washington verkündet, es lägen keine Angriffspläne gegen Irak auf dem Präsidentenschreibtisch im Oval Office, dann möchte man den Mann fragen, ob er auch in der Schublade nachgesehen hat. Oder mit Horst Teltschik, einst außenpolitischer Chefberater von Helmut Kohl, fragen, warum denn bitte schön die deutschen Spürpanzer länger in Kuwait bleiben sollen?Die Bundesregierung will ganz offensichtlich keine öffentliche Debatte, so lange noch Zeit dafür ist. Man wartet den Sachzwang geradezu herbei, um dann, wenn es soweit ist, erneut keine Alternative zur "uneingeschränkten Solidarität" zu haben. Solch eine "Politik" ist mehr als fahrlässig und weder im deutschen, noch im europäischen Interesse. Das gilt im Falle Iraks, aber auch für den Nahen Osten - beides Regionen, die unmittelbar vor der europäischen Haustür liegen.Wenn die Bush-Administration auf ihrer dogmatischen Schwarz-Weiß-Doktrin im Anti-Terror-Feldzug beharrt und dabei sogar die NATO zur Disposition stellt - nicht expressis verbis, aber de facto - dann erübrigt es sich für die Europäer, "uneingeschränkt solidarisch" zu sein. Nicht aus Trotz, sondern einfach deshalb, weil diese Solidarität nicht gefragt zu sein scheint. Washington verlangt Gehorsam. Der aber ist in keinem Vertrag festgeschrieben und darf daher sehr wohl verweigert werden. An den transatlantischen Kräfteverhältnissen wird sich deshalb nichts ändern. Und wenn die USA Irak angreifen wollten, werden sie dies tun - mit oder ohne europäische Schützenhilfe.Ganz so ohnmächtig, wie die Militärs das aus ihrer Sicht richtig darstellen, ist Europa jedoch nicht. Sicherheit ist mehr als Kriegsfähigkeit. Deshalb spielt es schon eine Rolle, ob das politische Gewicht Europas in die amerikanische Wagschale fällt oder auf der anderen Seite zum Tragen kommt. Yassir Arafat zum Beispiel scheint nicht nur von der Sharon-Regierung, sondern inzwischen auch von der Bush-Administration völlig abgeschrieben zu sein. Ob der Palästinenserchef nun Kompromissbereitschaft signalisiert, wie jüngst in einem Aufsatz für die New York Times, spielt für die oberste Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten, Condoleezza Rice, "keine Rolle". Soviel dumme Ignoranz war in Washington zuletzt unter Ronald Reagan an der Macht.Doch es melden sich auch andere, besonnenere Stimmen jenseits des Atlantik. Der demokratische US-Senator Joseph Lieberman ließ in München kein gutes Haar am neuen amerikanischen Unilateralismus. Und wenn die Herald Tribune am Tag nach der Bush-Rede an prominenter Stelle in drei Artikeln die "Achse des Bösen" zerpflücken lässt, ist dies ebenso wenig ein Zufall wie Arafats Aufsatz in der New York Times und acht Seiten Report über die Lage der Palästinenser.Was heißt das praktisch? Wenig, weil George W. Bush zu Hause auf einer beeindruckender Welle öffentlicher Zustimmung reitet. So lange die anhält, wird die Arroganz der Macht in Washington weiter gefährliche Urstände feiern. Den Europäern bleibt da nur deutlich zu machen, dass sie diesen Kurs nicht mittragen. Und damit dies nicht behauptet bleibt, muss die europäische Außen- und Sicherheitspolitik endlich aus dem Dark Room elitärer Zirkel in das Licht einer breiten öffentlichen Debatte geholt werden. Anders kann sich eine Achse der Vernunft nicht bilden.