Achtsamkeit ist doof? Ist mir grad egal

Die Helikoptermutter Unsere Kolumnistin sucht nach einer spirituellen Praxis. Trotz Adornos warnendem Zeigefinger
Ausgabe 12/2019
Hören Sie etwas?
Hören Sie etwas?

Foto: Imago/Westend61

W issen Sie, ich suchte in den letzten Jahren immer wieder nach einer – wie soll man es nennen – „spirituellen Praxis“. Zuletzt passiert es mir öfter, dass ich in einem wiederkehrenden Traum auf ein Meer schaue, den Wellen nachlausche, aber nie etwas höre. Nichts. Dann blicke ich auf meine Füße im Sand, vielmehr starre ich, ich sehe meinen ökologischen Fußabdruck, Schuhgröße 48, was nicht nur für Frauenfüße riesig ist.

Ich habe eine Freundin, die wirklich nur noch im Traum am Meer sitzt, erfüllt von der Weite des Horizonts. Manchmal, wenn sie rastlos ist, geht sie in ein Schweigekloster, das mit dem Zug zu erreichen ist. L. hat die spirituelle Praxis des Yoga nicht nur in ihren Lifestyle optimal implementiert. Es ist ernster – L. würde sich ohne regelmäßiges Yoga verlaufen. Yoga hilft ihr, kürzere und freundlich ausgeschilderte Pfade zurück zu finden, wenn das passiert.

Zuweilen finde ich es bedauerlich, dass meine katholische Sozialisation mir spirituell gesehen nichts gebracht hat. Eher noch das Gegenteil bewirkte. Ich fürchte, das Konzept Gottesfurcht war immer schon nichts für mich, ich wollte nie nach der katholischen Fasson erdulden müssen. Erstrebenswert ist aber die Engelsgeduld. Da wäre bei mir durchaus Luft nach himmelwärts.

Gelernt habe ich Progressive Muskelentspannung (PME) als eine Methode. Lustig ist: Man muss erst die Fäuste ballen, ein cholerisches Gesicht machen, insgesamt total verkrampfen, danach fließt alles. Diese Entspannungspraxis ist technisch, was Vorteile hat, weil, wenn’s zu schamanistisch wird, befällt mich eine leichte Nervosität wegen der Dialektik der Aufklärung.

Bei der PME spendet mehr Karma der „Aromadiffuser“, das ist meine neue Duftöl-Lampe. In den Himalaya-Stein steckt man ein Teelicht, der Stein leuchtet, die Glasschale mit dem Gemisch steht auf einem geschwungenen silberfarbenen Bogen, als dekorativer Abschluss dient eine silberne Kugel. Sie denken jetzt, diese Lampe muss abgrundtief hässlich aussehen? Es ist Ihre Fantasie. Ich habe heute alles erreicht, wenn mir egal ist, was Sie denken.

Neulich probierte ich Buddhismus aus. Der Raum war klein, wir mussten die Isomatten teilen. Die buddhistische Nonne empfahl uns eine bequeme Sitzhaltung. Der eine von drei Männern im Raum hatte sich sogleich tipptopp in eine statuenhafte Stellung gebracht, sich graziös im Schneidersitz ausbalanciert. Auf zwei Stühlen saßen Hygge-Frauen mit dicken Socken, in Decken gehüllt, typische Teetrinker-Gesichter, ich hätte gerne getauscht. Die Stimmung: Achtsam, ich beobachte ja derzeit irritiert diese Gereiztheit der Leute, mit der sie die Philosophie der Achtsamkeit bekritteln, misanthrop belächeln. Ich sage: Meditation for future!

Im schwäbischen Akzent erzählte nun die Bikkhuni für 7 Euro. Sie erinnerte uns strahlend, fast maliziös, dass die Vergänglichkeit der Anfang allen Lebens ist. Wir sollten das nicht vergessen. Und wenn wir mit diesem Bewusstsein im Alltag noch mehr loslassen könnten, würden nicht zuletzt unsere Lieben davon profitieren. Dabei schaute sie extrem vielsagend, als wisse sie über alles Bescheid. Alles! Also auch, dass mich beschäftigt, ob meine neue, recht scheußliche Öllampe irgendwelche Hinweise auf mein Innenleben gibt. Montag gehe ich wieder hin.

Katharina Schmitz schreibt im Freitag als Die Helikoptermutter über die Unzulänglichkeiten des Familienlebens

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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