Achtung Unfug

Helmut Kohl Eine Quelle braucht auch eine Quellenkritik. Und die hat beim Verfassen des Kohl-Buchs von Herbert Schwan offensichtlich nicht stattgefunden
Ausgabe 42/2014

Noch einmal Kohl mit Schwan. Das Buch ist nun einmal in der Welt. Hunderttausendfach. Ob es gelesen wird, weiß derzeit noch niemand zu sagen. Dass es in den Redaktionen der Tageszeitungen bisher nicht oft gelesen worden ist, kann man immerhin vermuten. Manches von dem, was man bisher schon vom Inhalt der „Protokolle“ wusste, findet eine sorgfältige Lektüre des Buches nicht bestätigt. Das mag Juristen beschäftigen. Oder auch nicht. Wie Goethe sagte: „Getretener Quark wird breit, nicht stark.“

Etwas anderes ist es mit dem Anspruch des Buches, ein „authentisches Porträt“ des Kanzlers zu geben. Das mögen von Hunderttausenden nicht wenige glauben, wenn sie von Tonbändern, von Tonbandabschriften und von den vielen Stunden hören, die der Autor Kohl hat bramarbasieren lassen. Lassen wir das stolze Wort vom Porträt weg, Klappern gehört zum Handwerk. Aber die Tonbandaufnahmen gibt es. Der Autor präsentiert mit ihnen das, was Historiker eine Quelle nennen. Quellen darf man nicht ignorieren. Wie verhält es sich mit dieser Quelle?

Den Verfassern von Kohl-Biografien wird die Seite des Kanzlers, die Schwan jetzt in grelles Licht gerückt hat, nicht unbekannt gewesen sein. Ich habe manches davon in einem biografischen Essay – Helmut Kohl - Anatomie eines Erfolges – angedeutet. So etwa, dass Kohl die Leute, die ihm gesellschaftlich oder intellektuell überlegen waren, durch Überhöhung im Reden über sie verhöhnte. Über Richard von Weizsäcker, als der noch in Bonn in der CDU-Fraktion war, sagte er: „Der aus der Oberschicht.“ Das konnte harmlos und das konnte bös klingen.

Aber das ist Klatsch. Eine Quelle muss mehr bieten. Ob sie das tut und wie sie das tut, das herauszufinden ist Sache der Quellenkritik. Die lernt jeder Historiker in den ersten Semestern seines Studiums. Sie hat beim Verfertigen dieses Buches nicht stattgefunden. Ein Beispiel. Klaus Töpfer wird von Kohl hier als „Genie“ bezeichnet (spöttische Überhöhung), dann aber sagt er: „Als Minister taugte er nichts.“ So steht es nun in dieser Quelle. Darf ein Biograph oder Historiker das für bare Münze nehmen? Er darf es nicht. Kohl hat Töpfer 1994 zum Wohnungsbau Minister gemacht. Zuvor war er in seinem Kabinett Umweltminister gewesen. Der Wohnungsbauminister hatte den Berlin-Umzug von Bundestag und Bundesregierung zu stemmen. Da war zuvor nicht viel geschehen, die Sache wurde peinlich. Kohl, der damals schon über viele Jahre Erfahrung als Regierungschef verfügte, konnte also Töpfer einschätzen, als er ihn mit der Aufgabe betraute, die eine der wichtigsten und schwierigsten der neuen Legislaturperiode darstellte. Und Klaus Töpfer hat sie glänzend gelöst. Kohl hatte alles richtig gemacht, als er ihn beauftragte.

Warum dann sieben, acht Jahre später dieses vernichtende Urteil? Der Historiker konstatiert zunächst die klare Differenz zwischen der Zeit, von der erzählt wird, und der Zeit, in der erzählt wird. 1994 war Kohl ein handelnder Politiker. 2001/02 war er ein verbitterter, von den Folgen eigener Fehler eingeholter Mann, der glaubte, Grund zu haben, den meisten Weggefährten von einst grollen zu müssen. Was ihn gegen Klaus Töpfer aufgebracht haben mag, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht ein freches Interview des Umweltpolitikers?

Sofern man Schwans Tonbänder überhaupt als Quelle nehmen kann, ist es erkennbar eine durch Temperament und Zeitläufte sehr verschmutzte Quelle. Diese unkritisch auf etliche scharfe Zitate zu reduzieren ist publizistisch unverantwortlich. Und das Ganze als „Kohls Vermächtnis“ zu bezeichnen grober Unfug. Aber, um noch einmal Goethe zu zitieren: „Übers Niederträchtige niemand sich beklage, / denn es ist das Mächtige, was man dir auch sage.“

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