Aderlass für Miller?

Kommentar Polen vor dem EU-Referendum

Beethovens "Ode an die Freude" untermalte als Europa-Hymne das Volksfest während der Wahlnacht. Eine überwältigende Mehrheit hatte für den EU-Beitritt gestimmt. Und obwohl dieses Szenario jüngst in Litauen stattfand, rieben sich auch viele polnische Politiker die Hände: Sie hoffen auf einen Domino-Effekt, wenn am 7. und 8. Juni das Referendum im bevölkerungsreichsten Beitrittsland ansteht. Doch ist Polens politische Situation nicht unbedingt ein Garant für ein zustimmendes Votum. Obwohl sich Präsident Kwasniewski und Premier Miller nach ihrem engen Schulterschluss mit den USA in der Irak-Frage nun auch wieder als überzeugte Europäer präsentieren - es gibt eine erkennbare Kluft zwischen Regierungskurs und Volksstimmung.

Viele Polen sind skeptisch und verunsichert gegenüber der angeblich heilsbringenden Verbindung mit den westeuropäischen Nachbarn. Sie befürchten den unwiederbringlichen Verlust eines Teils ihrer Identität. Da die EU nur noch von wenigen als eine Art ökonomisches Schlaraffenland bewundert wird, grassiert die Angst, dass ein Beitritt die Wirtschaft, die seit längerem durch eine Rezession treibt, weiter schwächen und die Arbeitslosigkeit in die Höhe treiben könnte. Auch ist die Erwerbslosigkeit in Polen von Region zu Region höchst unterschiedlich. So gibt es berechtigte Ängste, dass Gegenden abseits der urbanen Zentren im Osten des Landes nach dem 1. Mai 2004, dem Tag einer möglichen EU-Aufnahme, überhaupt nicht mehr mithalten können und weiter ins Abseits geraten. Die Regierung der Demokratischen Linksallianz (SLD) war im Herbst 2001 mit dem Versprechen angetreten, das Land aus chaotischen Zuständen zurück zur Normalität zu führen. Doch trat weder ein konjunktureller Aufschwung ein, noch wurden unumgängliche Reformen wie im desolaten Gesundheitssystem oder Agrarsektor entschlossen eingeleitet.

Für die Abstimmung Anfang Juni keine sonderlich günstigen Umstände, deren Beschreibung ohne den Verweis auf die Differenzen mit einigen der künftigen Partner in der EU unvollständig bliebe. Auch wenn sich Präsident Kwasniewski zuletzt beim Treffen der "Weimarer Drei" betont gelassen gab und keine Entfremdung zwischen Polen auf der einen und Frankreich sowie Deutschland auf der anderen Seite zu erkennen glaubte, die Anstrengungen seines Spagats zwischen den kerneuropäischen Kritikern der USA und den Gönnern in der Koalition der Willigen waren ihm anzumerken. Wie sehr die Regierung in dieser Hinsicht laviert, um die Balance zwischen all denen zu halten, von denen Polen abhängig ist und bleibt, dürfte auch den Wählern kaum entgangen sein. Premier Leszek Miller muss damit rechnen, dass viele das Referendum als willkommene Gelegenheit betrachten, über das Schicksal seiner Regierung zu entscheiden - mit allen Konsequenzen, die sich daraus für ein Ja oder Nein zum Europa der EU ergeben.

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