Es ist an der Zeit, sich in der westlichen Ostsee vom Dorsch zu verabschieden, einem silbrig-ockerfarbenen Gesellen mit glasigen Augen und wuchtigem Körper. Lebewohl wäre zu diesem Anlass der falsche Gruß, eher müsste es Sterbewohl heißen, denn er stirbt dort aus, der Dorsch.
Zwar schwimmen heute noch einige Exemplare in den Gewässern zwischen Deutschland, Dänemark und Schweden, aber Forscherinnen und Forscher des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg sind sich sicher: Es sind zu wenige, um die Population aufrechtzuerhalten. Die Gründe dafür nennen sie in ihrer im Fachblatt Scientific Reports veröffentlichten Studie: Überfischung und vom Klimawandel aufgeheiztes Wasser, das den Fischen das Brüten erschwert.
In einigen Medien ist nun zu lesen, dass eigentlich immer „nachhaltige“ Fangmengen festgelegt würden – da habe man nur leider den Klimawandel nicht im Blick gehabt. Ich kenne den Ostsee-Dorsch von einer nunmehr fünf Jahre zurückliegenden Recherche recht gut – „nachhaltig“ waren die Fangquoten da schon längst nicht mehr. Bereits damals lautete die wissenschaftliche Empfehlung des Internationalen Rates für Meeresforschung, die Fangquote für den Dorsch um knapp 90 Prozent zu reduzieren, um ihn zu retten.
Dass er nun ausstirbt, ist zum einen die Schuld des Deutschen Fischereiverbandes, der „politische“ – also höhere – Fangquoten forderte, und zum anderen die Schuld der EU-Kommission und des EU-Ministerrats, die diese dann auch beschlossen. Denn die Küstenfischerei musste ja gerettet werden – dass die Fischerinnen und Fischer dann bald nichts mehr zu fangen haben würden: geschenkt. Der Dorsch war einmal ihre wichtigste Einnahmequelle, weshalb sie ihn „Brotfisch“ nannten.
Auch für ihren zweitwichtigsten Fisch, den Hering, sieht es schlecht aus. Für den hat der Internationale Rat für Meeresforschung jetzt einen Fangstopp empfohlen. Ob sich die Fischereipolitiker der Europäischen Union an den wissenschaftlichen Rat halten werden, wird sich erst im Herbst zeigen.
Ein Wissenschaftler, mit dem ich für meine damalige Recherche sprach, nannte die Fischereipolitiker „Kuhhändler“, was keine Verirrung in der Tierart ist, sondern eine Metapher für ihre lobbyfreundlichen Entscheidungen. Ich komme nicht umhin, mir an ihren Bürowänden diese als ulkige Wanddekoration gedachten singenden und tanzenden Plastikfische vorzustellen, wie sie ausgelöst von Bewegungsmeldern ihre Lieder trällern – und das ist wirklich nicht ausgedacht: Don‘t worry, be happy und I will survive.
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