Interview Die Regisseurin Aelrun Goette hat einen Spielfilm rund um das legendäre Modemagazin „Sibylle“ gedreht. Katja Böhlau ist Expertin für die Modefotografie der DDR. Wie blicken sie auf den Osten, in dem sie zu Hause waren? Ein Gespräch
Aelrun Goette hat über ihre Zeit als Fotomodel in der DDR einen Spielfilm gedreht: In einem Land, das es nicht mehr gibt.Kunsthistorikerin Katja Böhlau, Expertin für die damalige Modefotografie, hat ihn gesehen. Ein Gespräch über prägende Fotos in der Zeitschrift Sibylle, das Frauenbild der DDR und die Farben von morgen.
Aelrun Goette, Sie waren ab 1985 in der DDR als Fotomodel tätig, für die Zeitschrift „Sibylle“ und das Mode-Unternehmen „Exquisit“. Was hat Sie dazu bewogen, aus diesen Erfahrungen einen Film zu machen?
Aelrun Goette: Ich habe mich immer gefragt: Warum fühle ich mich nicht zu Hause in so vielen Filmen über den Osten? Also habe ich angefangen, von der DDR zu erzählen, die ich kennengelernt habe, vo
52;ber den Osten? Also habe ich angefangen, von der DDR zu erzählen, die ich kennengelernt habe, vor allem meinen Freunden aus dem Westen. Es hieß dann immer: „Das haben wir gar nicht gewusst. Da musst du mal was draus machen.“ Es fing also mit meinem Gefühl an, dass das Korsett, in das meine Vergangenheit gepresst wird, zu eng wurde. Glamour, Mode und DDR – das konnten viele gar nicht zusammendenken.Katja Böhlau, was sagt Ihnen der Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“?Katja Böhlau: Zum einen habe ich ihn natürlich mit meinen Recherchen zur Modewelt in der DDR abgeglichen und mich gefragt: Für wen steht welche Figur? Zum anderen spielen Fotos in dem Film tatsächlich eine große Rolle und sind beeindruckend in Szene gesetzt. Daher habe ich mich gefragt: Welche Bedeutung sollte diesen Bildern hier eingeräumt werden?Goette: Die Autorin Annett Gröschner hat die Sibylle mal eine „Schule in Ästhetik“ genannt. Das trifft es ganz gut. Deswegen zitiere ich das Gefühl, das ich damals hatte, als ich jung war, auf der Straße entdeckt wurde und plötzlich diese Welt von Fotografen und Fotografinnen entdecken durfte. Jemand wie Ute Mahler hat sich nicht sonderlich für Kleidung interessiert, Roger Melis gar nicht, sondern nur für Licht, für Gesichter, für Grafik – und für Frauen. Mit ihrem künstlerischen Blick sind sie in die Welt eingetaucht. Ich wäre nie im Traum auf die Idee gekommen, dass es so was gibt im Osten.Wie hat Sie diese Erfahrung geprägt?Goette: All diese Bilder haben das Gefühl geweckt: So wie diese Menschen auf den Bildern will ich auch sein. Diesen Einfluss hat die Sibylle auf die ganze Gesellschaft gehabt. Es gibt z. B. Ute Mahlers Foto einer Julia, die in einem See steht. Neun Monate nach Veröffentlichung gab es ganz viele Babys in der DDR, die Julia genannt wurden – einfach weil dieses Foto ein Gesellschaftsgefühl ausgedrückt hat. So etwas für das Publikum von heute fühlbar zu machen, war ein ganz starker Wunsch von mir. Deswegen war mir auch klar: Ich will diese Fotos riesig groß in dieses Atrium hängen. Ich wollte dieser Kunst Ausdruck verleihen, zumal sie auch hochmodern ist. Meine jungen Teammitglieder konnten gar nicht fassen, dass das Originalbilder aus den 80ern sind.Die „Sibylle“ galt als rare Bückware; in Ihrem Film ist sie immer gerade da, wenn man sie braucht.Goette: Man hat sie schwer gekriegt, das stimmt. Die Abonnements wurden sogar weitervererbt. Man konnte sie auch am Kiosk kaufen, aber da musste man ewig anstehen und mit Glück kriegte man eine. Meistens hat man sie dann weitergegeben.„Die Modefotografie der DDR warb weniger für eine spezielle Kleidung als für zeittypische Frauenbilder“, heißt es bei dem Fotohistoriker Enno Kaufhold. Wie sahen diese Frauenbilder aus?Goette: Das hat seinen Ursprung ganz klar bei der Modejournalistin Dorothea Melis. Es war ihre Idee, in den 1960ern aus diesem verstaubten Frauenmagazin Sibylle etwas zu machen, das „die moderne Frau“ verkörpert. Melis holte die genannten Fotografen und Fotografinnen, die in diesem Freiraum auch ihr Frauenbild und ihre Vorstellungen von Männern ins Heft eingebracht haben. Ich frage mich bis heute: Warum war das eigentlich so möglich?Böhlau: Da spielen sicher verschiedene Aspekte eine Rolle. Die Modefotografie scheint nicht so ernst genommen worden zu sein. Die Zensur erfolgte erst kurz vor Drucklegung, als die Fotos schon gemacht waren. Diesen Freiraum am Rande hat man dann einfach genutzt. Natürlich konnten trotzdem bestimmte Fotos nicht gedruckt werden. Auf einem Foto von Sibylle Bergemann mussten die Mundwinkel eines Models nach oben retuschiert werden. In diesem Spannungsfeld zwischen dem erwünschten Bild, dass Models z. B. freundlich erscheinen sollten, und den künstlerischen Vorstellungen hat die Redaktion versucht, die eigene Nische möglichst auszunutzen.Was war noch staatlicherseits erwünscht?Böhlau: Es galt, das sozialistische Frauenbild zu kreieren und zu zeigen. Die Frage ist natürlich, was das eigentlich heißt. Die Aufgabe war, die Frauen besonders positiv zu zeigen. Es gab z. B. die Rubrik „Frauen von heute“. Da zeigte man Frauen bei der Arbeit, wenn auch seltener Frauen in Fabriken. Das finde ich auch im Film spannend, dass dort diese Rubrik bis auf das Cover gezogen wurde. Das gab es in der Form nicht, verdichtet aber viele Aspekte aus der Geschichte und spitzt sie zu.Placeholder image-3Goette: Die Herausforderung war für mich, einer ambivalenten Realität Ausdruck zu verleihen. Wir reden hier ja immer noch von einer Diktatur. Damals gab es aber schon Gorbatschow und eben auch ein modernes Frauenbild. Wenn man sich Gisela anschaut, die Figur der Jördis Triebel, solche Frauen gibt es heute nicht mehr. Es gibt die selbstbewusste Arbeiterin nicht mehr, weil solche Berufe heute Menschen machen müssen, die gezwungen sind, am Rand der Gesellschaft unter schlechten Bedingungen zu leben.Gibt es sie nicht mehr oder kommen sie nicht mehr öffentlich vor?Goette: Diese schweren körperlichen Jobs werden heute oft von Gastarbeitern geleistet. Wenn wir in die Fleischindustrie schauen, dann sehen wir, wie extrem hart die Bedingungen sind. Dort sehen wir keine unabhängigen, selbstbewussten, ihren sicheren Lebensunterhalt verdienende Menschen. Für mich erzählt unser Film auch von diesem Frauenbild, von einem anderen Selbstbewusstsein, das es damals gab. Wir haben ja im Seilerwerk in Zwickau die Innenaufnahmen der Fabrik gedreht, weil sie da immer noch mit Maschinen aus den 50er Jahren arbeiten, die top funktionieren.In Ihrer Arbeit, Frau Böhlau, gibt es das Zitat: „Ein ständiger Wandel der Trends stand der Planwirtschaft diametral entgegen. Hektische Modewechsel wurden als typisch für den kapitalistischen Westen und quasi dekadent wahrgenommen.“ Gibt es von der DDR etwas in Sachen Nachhaltigkeit zu lernen?Böhlau: Damals ging es um andere, um ideologische Argumente. Und auch in der DDR gab es in jeder Saison zumindest Vorschläge für neue Entwürfe. Gleichzeitig musste man sich etwas einfallen lassen, um zu verargumentieren, dass oft nur die vorhandenen Grundschnitte leicht variiert wurden. Wenn man sich heute populäre Bücher über Mode in der DDR anguckt, dann ist vor allem so etwas zu sehen, oder die Kittelschürze. Aber damals wurde eben auch ganz tolle Kleidung entworfen und hergestellt. Sie war nur nicht für jedermann verfügbar. Es gefällt mir an dem Film sehr, dass er auch diese Mode zeigt.Goette: Das würde ich gerne leicht korrigieren. Diese Mode von „Exquisit“ konnte jeder kaufen.Böhlau: Das kostete dann aber schon mal ein Monatsgehalt.Goette: Ja, genau. Aber wenn man mal den Trabi und seine Wohnung hatte, war oft Geld übrig. Und was die Nachhaltigkeit angeht, heute reagieren wir mit diesem Slogan darauf, dass wir die Umwelt ruiniert haben. In der DDR bezog man für gewisse Kleidung Stoffe aus dem Westen. Die Kosten waren relativ hoch. Also war ein Mantel sehr teuer und musste so gut gemacht und langlebig sein, dass man ihn nur einmal kauft. Dann hatte man diesen einen Sommermantel für den Rest des Lebens. Wenn ich jetzt meine Töchter sehe, wie die mit Klamotten-Tüten aus den Vintage-Läden nach Hause kommen, dann ziehe ich alte Fotos raus und die lachen sich kaputt. Sie versuchen heute so auszusehen wie wir damals in den 80er Jahren, nur sahen wir konsequenter aus. (lacht)Eine letzte Frage: Dorothea Melis hat 2009 im „Freitag“ geschrieben: „Neues kündigt sich durch die Farbe an, durch Farben werden Haltungen demonstriert, Farbe kann zu Philosophie werden.“ Was sagen die Farben von heute über unsere Zeit aus, vielleicht sogar über die Zukunft?Böhlau: Mit dem Blick auf das, was heute alles parallel passiert, ist das wahnsinnig schwer zu sagen. Auch in der Geschlechterfrage löst sich vieles auf, gibt es viel mehr Fluidität und ein facettenreicheres Bild. Auf der anderen Seite stärkt genau das die konservativen Rollenbilder und wir haben es wieder mit den alten Klischees zu tun: Mädchen tragen Rosa, die Jungs Blau usw.Goette: Das Artwork für unseren Film ist ja Rot, Schwarz und Weiß. Ich sage einfach mal, das sind die Farben der Zukunft. Sie finden sich auch in der Kriegsbemalung, mit der Rudi, eine der wesentlichen Figuren, in die finale Show geht. Rudi, verkörpert von Sabin Tambrea, orientiert sich an Frank Schäfer, der damals in der DDR Visagist war. Frank ist schon in den 80ern in Netzstrumpfhosen und auf roten High Heels durch Ost-Berlin gelaufen. Davon inspiriert, changiert Rudi zwischen den Geschlechtern und ist das Fanal der Freiheit in unserem Film. Sein Satz „Niemand hat das Recht zu entscheiden, wer du bist“ ruft auf, sich nicht in Schubladen stecken zu lassen. Unser heutiges Spiel mit den Männern, mit den Frauen und den Menschen dazwischen – das wurde auch aus einer Wirklichkeit der untergehenden DDR, Ende der 80er Jahre, geboren. Es ist doch spannend, was wir daraus für die Zukunft lernen können.Wofür steht das Rot?Goette: Energie, Kraft, Visionen, Blut, Schmerz ...Sozialismus?Goette: Das haben Sie gesagt. (allgemeines Lachen)Placeholder infobox-1
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