Änderung des Blutspende-Verbots?

Diskriminierung Homosexuelle Männer werden in Deutschland immer noch vom Blutspenden ausgeschlossen. Das könnte sich bald ändern
Ausgabe 30/2014
Illustration: Otto
Illustration: Otto

Blut ist niemals neutral, sondern als Visualisierung von Leben und seinen Risiken immer ideologisch besetzt. Blut kann Leben retten, und es kann Leben gefährden. Wenn Blut zu sehen ist, sind die Grenzen des Körpers verletzt. Und diese Verletzung funktioniert in beide Richtungen: Unser Blut tritt nach außen und kann für andere zur Gefahr werden. Zugleich ist der Körper verletzlich, wenn er blutet.

Von dieser Dramatik, mit der die Grenzen des Selbst und sein Kontakt zur Umwelt auf dem Spiel stehen, ist jeder Diskurs zum Blut geprägt. Wenn jemand blutet, droht Ansteckung; eine Gefahr, die wir mit bloßem Auge nicht sehen können. Seit Anfang der 80er sind die Fantasien und Ängste, mit denen Blut kulturell besetzt ist, dabei oft im Zusammenhang mit HIV symbolisiert worden. Hier von Symbolisierung zu sprechen heißt nicht, dass die Gefahren nicht auch konkret sind: In Westdeutschland wurden in den 80ern um die 1.500 Bluter über Blutspenden infiziert, über 1.000 von ihnen starben bisher. Die rechtliche Untersuchung eines der größten Skandale der deutschen Medizingeschichte reichte bis weit in die 90er Jahre.

Die Frage ist aber, wie nun mit der real existierenden Bedrohung der Ansteckung umzugehen ist. Einerseits gibt es darauf wissenschaftliche Antworten: Schon seit den 80ern können kontaminierte Blutkonserven auch wieder von HI-Viren gereinigt werden. Dabei muss die Frist berücksichtigt werden, bis Antikörper gebildet und im Blut nachweisbar sind. Auch wenn solche Maßnahmen umgesetzt werden, beruhigen sie aber offenbar nicht die Ängste, die zum Blutspenden kursieren. Eine zufriedenstellende Antwort scheint erst in dem Moment gefunden, wenn die Quelle des Bösen identifiziert und ihr ein Gesicht gegeben wird. An dieser Stelle geht es auch um Fantasien.

Männer, die Sex mit Männern haben, repräsentieren in der westlichen Welt seit 30 Jahren statistisch die Hauptrisikogruppe von HIV und Aids. Mehr als 50.000 von knapp 80.000 Infizierten in Deutschland sind schwule Männer, bei den Neuinfektionen machten sie 2012 60 Prozent aus. Das heißt aber auch, dass geschätzt mehr als 95 Prozent der schwulen Männer in Deutschland nicht HIV-positiv sind. Und es ist nicht davon auszugehen, dass diejenigen, die von ihrer Infektion wissen, unbedingt Blut spenden wollen. Trotzdem dürfen Schwule als Gruppe bisher kein Blut spenden. Fragebögen, die vor der Blutspende auszufüllen sind, interessieren sich also nicht nur für eine tatsächliche Infektion, sondern auch für die sexuelle Orientierung. Damit treten entscheidende Fragen, wie zum Beispiel wechselnde Partner, riskante Sexualpraktiken und Safer Sex, in den Hintergrund. Diese Praxis stigmatisiert nicht nur Schwule unabhängig von ihrer Gesundheit und ihrem Sexualleben, sondern riskiert auf der anderen Seite auch die Blindheit gegenüber Risikoverhalten bei jenen, die nicht schwul sind.

Dieser identitätspolitische Essenzialismus, bei dem Ansteckungsgefahr zum wesentlichen Merkmal schwuler Identität gemacht wurde, wird jetzt von einem Gutachten des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) infrage gestellt. Denn während Länder wie Deutschland und Frankreich noch der alten Gewohnheit folgen und Schwule kategorisch von der Blutspende ausschließen, ist etwa Italien längst weiter. Hier wird in erster Linie nach Beziehungsformen und Sexualverhalten gefragt. Ein Beispiel, dem laut Gutachten der Rest Europas folgen soll.

Dieser Vorschlag, über den der EuGH jetzt zu entscheiden hat, kann auch als Zeichen dafür gelesen werden, dass wir inzwischen den Gedanken besser ertragen können, dass unabhängig von der sexuellen Orientierung jeder HIV-positiv sein könnte.

Peter Rehberg

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