Reportage Die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr wurde von Kritikern der Corona-Maßnahmen monatelang massiv bedroht. Würde sie heute noch leben, wären ihre Hilferufe ernst genommen worden?
„Für die bin ich immer die kleine Dicke“: Kellermayr fühlte sich von Lokalpolitikern herabgewürdigt
Foto: Anna Aicher
Der Anruf kommt überraschend. Donnerstagvormittag elf Uhr, wieder ein warmer Tag, etwas schwül, es will regnen. Seit drei Stunden ist die Praxis geöffnet, manchmal stockt es, nicht alle Patienten kommen mit der Eingangsschleuse zurecht, außen klingeln, Tür zu, innen klingeln. Der Sicherheitsmann ist da, bewaffnet, 40 Euro pro Stunde, An- und Abfahrt extra. Blutabnahme, Nierensteine, Tinnitus, keine Zeit, um auf das leuchtende Türkis des Attersees zu schauen, auf das Schloss Kammer gegenüber. Aber das Wasser nur ein paar Meter vor den Fenstern, die Berge im blauen Dunst, die helle Praxis, das Kinderbehandlungszimmer, der kleine Operationsraum: Das ist ihr Traum.
Omar Haijawi-Pirchner ruft an, Leiter des DSN, Aufregung drückt ihre Stimme ein wenig h
enig höher, die Dinge sprudeln aus ihr heraus, wie Impfgegner Stimmung gegen sie machen, mit einer Twitternachricht der Polizei nämlich, die beweise, dass sie eine Lügnerin sei. Große Freude, die Polizei sei ja jetzt offensichtlich auf ihrer Seite. DSN steht für Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienste, die Behörde soll gegen Angriffe schützen, die die österreichische Verfassung gefährden. Omar Haijawi-Pirchner kommt kaum zu Wort, hört erst einmal zu.Vielleicht kein Zufall, dass er heute anruft, 22. Juni 2022, vor genau sieben Monaten ist sie das erste Mal zur Polizei gegangen, Inspektion Schörfling am Attersee, blassgelber Komplex mit dunklem Spitzdach und großen Garagen im Untergeschoss. Kurzes Vorgespräch, 11:55 Uhr, dann sagt sie fast eine Stunde aus, Anzeigennummer PAD/21/02159154, „Betreff: Verdacht auf: Gefährliche Drohung zum Nachteil von: Kellermayr, Lisa-Maria“.Die Allgemeinärztin Lisa-Maria Kellermayr, geboren 1985 in Wels, Ausbildung zur Rettungssanitäterin, Medizinstudium in Graz und Wien, über 1.300 Stunden Pandemie-Notdienst, Impfungen, Betreuung, Nachsorge in ganz Oberösterreich, wusste damals bereits, dass Impfgegner in Telegram-Gruppen ihre Adresse veröffentlichten. Davon, dass man ihr „einen Besuch abstatten“ sollte. Aber vor sieben Monaten, 22. November, noch in den Räumen der alten Praxis ein Stück die Straße hoch, las sie um halb acht in der Früh eine Mail mit so plastisch ausgemalten Todesdrohungen, dass sie zur Polizei ging. „Ich fürchte mich sehr vor diesem unbekannten Mann. Ich habe ausgesprochen große Angst um die Sicherheit meiner Mitarbeiterinnen“, sagt sie aus. „Ich weiß nicht, wie ich die Versorgungssicherheit für meine Patienten gewährleisten kann, ohne eine Gefährdung meiner Patienten zu riskieren.“Seitdem hat sie weitere Anzeigen gestellt, im Winter und im Frühjahr, die Drohungen hören nicht auf. Am Telefon erzählt sie dem DSN-Leiter von einem Polizisten, der meinte, es sei ihre Schuld, wenn sich ihre Mitarbeiter fürchteten. Sie solle ihre Social-Media-Konten löschen, den Mund halten. Aber sie spricht im Fernsehen von der Triage in Oberösterreich, dem Bundesland mit der geringsten Impfquote. Antwortet auf Beleidigungen im Netz, berichtet Zeitungen von der medizinischen Versorgung, die wegen akuter Covid-Fälle kollabiere. Auf Twitter schreibt sie im August 2021: „Vorschlag: Ungeimpfte müssen für ihre Behandlungskosten im Infektionsfall selbst aufkommen & die Kosten für alle übernehmen, die von ihnen angesteckt wurden, inkl. Verdienstausfall“. Impfgegner zitieren das immer wieder, wollen nichts von Verantwortung hören, schimpfen über „Spaltung“. Kellermayr bekommt Drohungen, in denen sie verstümmelt wird, selbstsichere Ankündigungen, „ihr werdet mich niemals finden. Genauso wenig wie man dich wiederfinden wird, wenn ich mein Werk vollendet habe“.Das rechte Handbuch im NetzIm Netz kursiert seit Längerem ein rechtes „Handbuch für Medienguerillas“. Es geht von einem politischen Machtkampf aus, kleine Gruppen gegen die Mehrheitsmeinung. Guerilla bedeutet Kampf des Irregulären gegen konventionelle Armeen. Eine Guerilla muss nicht gewinnen, sie darf nur nicht verlieren. Also nicht aufhören. Omar Haijawi-Pirchner erzählt ihr, dass jeder, der für die Regierung spricht, „ein potenzielles Opfer“ sei. Das gelte auch für Menschen, die Maßnahmen befürworten, die Impfgegnern nicht in den Kram passen.Die Medienguerilla will Einzelne provozieren, demütigen, als „Regierungslakaien“ markieren. Es gehe, schreibt der Leitfaden mit unsicherer Interpunktion, „nicht darum wer Recht hat, sondern wer vor Publikum Recht erhält“. Ziel ist eine brutalisierte Version dessen, was der kommunistische Theoretiker Antonio Gramsci Anfang des 20. Jahrhunderts „kulturelle Hegemonie“ nannte: Eine führende Gruppe definiert die akzeptierte Haltung.Dafür wollen sie ihre Gegner moralisch desavouieren, werfen ihnen Faschismus oder Rassismus vor, weil sie sich davon die größte Provokation versprechen. Jedes Trommeln von Boulevardzeitungen gegen „Gender-Sprachpolizei“ als vermeintlich größtes Problem der Gegenwart ist Teil einer politischen Grammatik und zielt auf dieses Spiel ab: Der Gegenseite vorwerfen, was sie selbst tut. „Diskurshoheit“ erreichen, entscheiden können, was gesagt werden darf, und wie. Wer auf jemanden treffe, der diskutieren könne, solle zur kräftigsten Waffe greifen, rät der Leitfaden, „Beleidigen. Und da ziehe jedes Register.“ Ärzte und Wissenschaftler anzugreifen, ist fester Bestandteil rechter Hasskultur.Lisa-Maria Kellermayr erzählt dem Leiter des DSN, dass acht Tage nach ihrer ersten Anzeige ein Polizeibeamter bei ihr in der Praxis vorbeikam. Er redete auf sie ein, wollte sie überzeugen, keine lästigen Anfragen mehr über das Innenministerium zu stellen. Ansonsten, wenn eine Woche nichts passiert sei, werde schon nichts mehr kommen. Bei Kellermayr wuchs das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Eine Freundin schildert, wie ihre Angst Gestalt annehmen, sie überwältigen konnte. Die Furcht, angegriffen, verstümmelt zu werden, trat dann aus der rhetorischen Dimension einer Hassnachricht heraus. Sie hatten vor, baden zu gehen. Daran war dann nicht mehr zu denken.Als Haijawi-Pirchner anruft, kennt Kellermayr den Zwischenbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz, 25. Mai 2022, „Ermittlungen … erbrachten keinen konkreten Tatverdacht“. Dabei hatte doch die IT-Spezialistin Nella, die sich über Twitter bei ihr gemeldet hatte, mit Hassmails in der Hand ziemlich schnell Dinge über einen Absender herausfinden können. Im selben Bericht stehen Sätze, die Kellermayr schwer treffen, der Verfassungsschutz notiert „mediales Interesse“, Ermittler hätten den Eindruck, „dass Frau Dr. Kellermayr sich über verschiedene Schienen bemüht, die öffentliche Wahrnehmung ihrer Person zu erweitern, indem sie Druck auf die Ermittlungsbehörden ausübt“.Freunden erzählt sie, dass Politiker aller Parteien über Monate Bescheid wussten. „Alle haben mir Hilfe zugesichert, keiner hat etwas getan.“ Auf ihrem Twitter-Account verlinkt sie ein Interview mit dem bekanntesten Virologen Italiens, der von Impfgegnern bedroht wird. Dabei sei es in Italien viel besser als in Österreich. Über die Nachricht setzt Kellermayr ein Zitat: „Ein Staat, der nicht weiß, wie er seine Ärzte schützen und verteidigen kann, hat nach den Ereignissen der vergangenen zwei Jahre kaum eine Zukunft.“Aber Haijawi-Pirchners Anruf macht ihr Mut. Endlich hört ihr jemand zu, stellt fest, dass Ermittler Dinge besser machen könnten, die Kommunikation empathischer sein dürfte. Dass da etwas nicht gut gelaufen sei. Sie wird ruhiger, spricht strukturierter. Erzählt von ihrer Angst – um sich, ihre Mitarbeiter, ihre Patienten. Lisa-Maria Kellermayr identifiziert sich mit ihrem Versorgungsauftrag als Ärztin.Schutz für 100.000 EuroWas bedeutet es, sich allein zu fühlen, ungeschützt, aber doch verantwortlich für andere Menschen? Kellermayr hat eine Sicherheitsanalyse für ihre neuen Praxisräume machen lassen, für Mitarbeiterinnen und Patienten: 1.670,88 Euro. Ein Psychotherapeut und Coach instruiert ihr Team: 300 Euro. Eine Firma für Sicherheitstüren baut ihr den Eingang um, installiert den Zugang zum Panikraum: 5.878,85 Euro. Sicherheitsfenster: 5.813,53 Euro, Überwachungstechnik: 4.086,40 Euro. Der Sicherheitsmann begleitet die Sprechstundenhilfe zu Fuß nach Hause. Das Gefühl, schutzlos zu sein, kostet Lisa-Maria Kellermayr am Ende fast 100.000 Euro. Da ist sie längst in die Praxis gezogen, verlässt sie nur noch in der Nacht. Mit einer Gaspistole.Placeholder image-2Am Telefon bittet sie Haijawi-Pirchner um Polizeischutz. Der verspricht, dass er sich der Sache annehmen, sich melden wird. Aber für Polizeischutz hätten sie keine Mittel. Eine Woche nach dem Telefonat schließt Lisa-Maria Kellermayr ihre Praxis. Am liebsten würde sie die vorübergehend an einen Kollegen abgeben, sie will in Therapie gehen. In Oberösterreich gibt es etwa 1.500 Ausschreibungen für Kassenarztstellen, viele sind abgelaufen, vermerken „keine Bewerbung“ oder „keine Vergabe“. Ein Vertreter der niedergelassenen Ärzte formuliert einen Satz, der Kellermayr suggeriert, dass man schnell Nachfolger für sie fände: „Die Ordination in Seewalchen ist sehr schön, auch die Infrastruktur ist hervorragend. Nur eine Apotheke ist halt nicht dabei.“ Siebenunddreißig Tage nach dem Telefonat mit Haijawi-Pirchner bringt sie sich um.Die Geschichte der niedergelassenen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr fragt nach grundsätzlichen Dingen: Haben in Österreich alle Menschen denselben Zugang zu gründlicher Polizeiarbeit, zu einer engagiert ermittelnden Staatsanwaltschaft? Ist eine Frau in einer ländlichen Region, die nicht das Glück hat, engen Schönheitsbildern zu entsprechen und immer weniger Lust, konservativen Rollenvorstellungen der Region zu folgen, einer anderen Gefahr ausgesetzt? Kümmert sich der Rechtsstaat genug um eine bedrohte Landärztin, die nicht aufhört, auf die Notwendigkeit von Impfung, Masken, Quarantäne hinzuweisen? Zum 1. Januar 2021 trat das „Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz“ in Kraft, ein Pet-Project der grünen Justizministerin. Haben die österreichischen Behörden genügend kriminalpolizeiliche Energie, um den „effektiveren Schutz vor Hassposting“ zu sichern?Die Staatsanwaltschaft Wels ermittelt nach Paragraph 107, gefährliche Drohung. Findet Absenderadressen im Darknet, Tatverdächtige im Ausland – also schließt der Staatsanwalt die Akte wieder. Das geht konform mit einer prominenten Rechtsauslegung. Etwas mehr ermittlerische Energie hätte den Paragraphen 107a herangezogen, „beharrliche Verfolgung“ oder Stalking. Auch dazu gibt es eine prominente Rechtsauslegung, damit hätte die Staatsanwaltschaft die Straftat auch im Ausland verfolgen lassen können. Vor fünf Jahren verurteilte ein Gericht in Wien eine Stalkerin aus dem EU-Ausland.Ein Prozess mit EU-Rechtshilfeersuchen gegen die Androhung von Gewalt und Mord, aus Deutschland abgeschickt, der es gelang, Lisa-Maria Kellermayr, wie es im Paragraphen heißt, „in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen“, wäre ein Zeichen gewesen. Dass Opfer von Hasskulturen nicht allein sind. Und dass der Jubel des Justizministeriums über das eigene Gesetz berechtigt war, ein Jubel, der noch auf den Internetseiten des Ministeriums steht, dass „das Internet kein rechtsfreier Raum ist, sondern auch hier unser Rechtsstaat gilt“.Die Polizei, die Justiz, die MoralWochen nach ihrem Suizid kann man sich in Wien mit einem Abgeordneten des Nationalrates treffen, der viel über die Organe der inneren Sicherheit des Landes weiß, seit Jahren politisch dazu arbeitet. „Wenn Sie definieren wollen, was es bedeutet, alleingelassen zu werden, müssen Sie sich diesen Fall anschauen“, sagt er und klingt zerknirscht. Er spricht offen unter der Maßgabe, seinen Namen nicht in der Zeitung zu nennen. Und erkennt ein Muster: Null Fehlerkultur bei den Behörden. Garniert mit der Haltung, alles richtig gemacht zu haben. „So stiehlt man sich aus der Verantwortung.“ Dass ein Großteil der Hasskultur im Netz von rechts organisiert wird, die meisten politisch motivierten Straftaten von mutmaßlichen Rechtsradikalen verübt werden, falle längst nicht jedem auf. Die paternalistischen Ratschläge an Kellermayr liest er als Zeichen von Hilflosigkeit. Eines beobachtet er immer wieder: „Wenn man der Polizei und der Justiz mit der Moral kommt, wenn man öffentlichen Druck auf sie erzeugen will, verschließen sie sich, wie eine Auster.“Placeholder image-1Kleine Öffnungen bleiben, schon um Dinge zu ventilieren: Wenn man beharrlich nachfragt, kann man an einem Vormittag einen Termin bei einem Mann bekommen, der ebenfalls nicht genannt werden will. Maisonette-Dachgeschosswohnung, von oben sieht man den Stephansdom und blickt bis weit in den Wienerwald. Die Aufgabe des Mannes ist es, politische Kommunikation zu betreiben, Informationen zu streuen, ohne dass ein Politiker, Staatsanwalt oder Ministeriumsmitarbeiter auftreten muss. Er kann erzählen, hat er schon am Telefon gesagt, was andere nicht dürfen. Datenschutz und so. Vielleicht auch Pietät.Der Mann hat ein paar Dokumente ausgedruckt, raucht, beantwortet Fragen abgezirkelt – er hat eine genaue Idee, worüber er nicht sprechen will, sein Job ist es, ein paar Punkte sehr klar zu machen: Den großen Fehler von Lisa-Maria Kellermayr, nämlich mit „solchen Idioten“ zu reden. Davon habe man ihr abgeraten. Eine Weile Ruhe und die Wogen hätten sich geglättet. Der nächste große Fehler: Diesen Rat zu missachten. Außerdem, sagt er zwischen zwei Zügen an der Zigarette, sei die Frau Doktor ein spezieller Fall. Ihre Angstpsychose habe sich schon früher gezeigt. Der Mann wird klarer, während die Sommerhitze über Wien zunimmt, man habe alles getan, was möglich war, Kellermayrs Suizid habe pathologische Gründe. Die Moral von der Geschichte? All die „Herumpsychologisiererei“, Fragen, was Behörden hätten anders machen können, seien Unfug. Das sei alles privat und keine politische Auseinandersetzung. Dann, gewissermaßen beim Hinausgehen, versucht er noch einen politischen Spin: Wenn, dann habe doch vor allem die grüne Justizministerin versagt.Freundinnen und Bekannte erzählen, dass Lisa-Maria Kellermayr tief im katholisch-konservativen Oberösterreich verwurzelt war. Über ihre Mutter sprach sie wenig, zu ihrem Vater sei das Verhältnis getrübt gewesen: Es war nicht selbstverständlich, dass sie Medizin studieren würde. Finanzieren musste sie es größtenteils selbst. Der Vater, erzählen enge Bekannte, hätte es gern gesehen, wenn sie früh geheiratet und Kinder bekommen hätte. Ihre Praxis war auch ihr Beweis, sich durchgesetzt zu haben.Lisa-Maria Kellermayr vertraute Staat und Autoritäten, einer hierarchisch strukturierten Gesellschaft. Bei Menschen wie ihr hat die ÖVP Erfolg. Wenn man sich am Attersee umhört, sagen konservative Politiker, dass sie sich wegen der paar Drohungen nicht hätte anstellen sollen, „so was bekommt ein Bürgermeister an einem Tag“. Sie zeichnen das Bild einer Nervensäge.Neben Seewalchen liegt Lenzing. Die Stadt ist ähnlich groß, bezuschusst den neuen Kassenarzt mit 200.000 Euro. Nach einigem Hin und Her bekam Lisa-Maria Kellermayr 6.000 Euro Mietzuschuss für ihre neue Praxis mit Blick auf den See. Der Bürgermeister, sagen etliche im Ort, mochte sie nicht besonders. „Für die bin ich immer die kleine Dicke“, klagte sie einer Freundin, wenn sie sich über Lokalpolitik unterhielten. Später wird sie sich so auch bei den Behörden fühlen. In Oberösterreich, erzählt eine gute Freundin, die als Erwachsene in die Region kam, sollen Frauen sorgende Mütter sein. Und still.Lisa-Maria Kellermayr bleibt nicht still, das kann man an ihrem Twitter-Account ablesen. Vor der Pandemie ist er ein Ventil für ihre Bewunderung der Fernsehmoderatoren Joko und Claas. Sie fiebert Sendeterminen entgegen, fährt zu Aufzeichnungen, zeigt Selfies mit ihnen, bietet Rückfahrgelegenheiten an. Mit der Pandemie verlinkt sie häufiger Nachrichten von Christian Drosten, Studien, die höheren Infektionszahlen von Ungeimpften.Der Mut versickertUnd sie beginnt, Hierarchien zu hinterfragen: Bei Hunderten Covid-Fällen war ihr aufgefallen, dass ein Asthmaspray die Symptome milderte. Sie versucht, ihre Beobachtungen zu verbreiten, hat aber das Gefühl, ignoriert zu werden. Erst viel später, in einer Videoschalte für eine Ärztefortbildung darf sie davon erzählen. Hinterher wird allerdings nur ein Professor dazu befragt. In einer langen Twitter-Reihe fragt sie: „Hätten wir Menschenleben retten können, wenn ich ein älterer Herr wäre?“Zwei Tage, bevor Omar Haijawi-Pirchner bei ihr anruft, klingt Lisa-Maria Kellermayr niedergeschlagen. Zwei grüne Gesundheitsminister der Republik waren nacheinander wegen ständiger Bedrohungen gegen sie und ihre Familien zurückgetreten, erzählt sie Freundinnen. Obwohl sie Polizeischutz hätten. „Ich soll das alleine machen und gleichzeitig einen Betrieb am Laufen halten.“Es gibt einzelne Politiker*innen, die sie unterstützen, meistens sind es Frauen. Aus den oberen Etagen kommen sie nicht: Die Justizministerin schweigt, die SPÖ-Oppositionsführerin sagt einen Termin mit ihr kurzfristig ab. Der Gesundheitsminister hat keine Zeit. Der Mut, den sie aus den Telefonaten mit dem Leiter des Nachrichtendienstes schöpft, versickert.In einer letzten Sprachnachricht an eine Freundin überblickt sie, dass ihr Griff nach der Moral, nach öffentlicher Empörung nicht funktioniert hat. Nachdem sie die Morddrohungen gegen sich auf die Internetseiten ihrer Praxis gestellt und mit Twitter-Beiträgen hinausgeschickt hat, kräuseln sich kurz ein paar mediale Oberflächen. Unterstützung, die ihr etwas gebracht hätte, bekommt sie nicht. Die letzte Nachricht von Lisa-Maria Kellermayr ist kurz. Man kann die dunkle Stimme einer Frau hören, die tief enttäuscht ist. „Also bleibt nicht wirklich noch etwas übrig.“Placeholder infobox-1
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