Da ist sie also wieder, die vermutete Vorhut jener afrikanischen Migrantenwelle, vor der man in Europa schaudert. Hunderte Flüchtlinge haben, teilweise unter Einsatz ihres Lebens, versucht, die spanischen Enklaven Ceutá und Melilla in Marokko zu erreichen. Für kurze Zeit wird der mediale Scheinwerfer wieder auf die Misere des schwarzen Kontinents gerichtet, der weitere Ausbau der "Festung Europa" wahlweise beklagt oder gefordert. Besonnenere Zeitgenossen erinnern immerhin an die Ursachen: Es sind keine Glücksritter, die sich da über Tausende von Kilometern unter schlimmsten Umständen nach Norden durchschlagen, sondern Verzweifelte, die dem wirtschaftlichen Elend ihrer Länder entkommen wollen. Und dann fällt auch das Zauberwort vom "Marshall-Plan f
ür Afrika", den Tony Blair Anfang des Jahres als Ziel ausgab. Allein, worin der bestehen könnte jenseits von Schuldenerlass und mehr Hilfsgeldern, bleibt im Unklaren.Ganz bewusst: Die Idee ist ebenso wenig philanthropischen Regungen entsprungen wie sein historisches Vorbild in den vierziger Jahren. Tatsächlich geht es um die Entwicklung Afrikas zu den Bedingungen des Westens. Seitdem der Lomé-Vertrag im Jahre 2000 auslief und sein Nachfolger, das Cotonou-Abkommen, in Kraft trat, versucht die EU, ihre Freihandelsdoktrin in Afrika durchzusetzen. Unter dem euphemistischen Begriff Economic Partnership Agreement sollen ab 2008 afrikanische Märkte vollständig für EU-Produkte geöffnet werden. Umgekehrt "dürfen" afrikanische Unternehmen dann auch ohne Beschränkung ihre Waren bei uns absetzen - und der Aufschwung kann beginnen.Ein trauriger Witz. Ein afrikanischer Experte hat dazu trocken bemerkt: "Wir dürfen zollfrei Computer, Sportwagen und Atomanlagen ausführen. Das Problem ist nur, dass wir diese Dinge nicht produzieren. Wir sind auch ganz ergriffen, dass wir Sorgum und Maniok nach Europa exportieren dürfen. Dummerweise wollen die europäischen Verbraucher diese Erzeugnisse nicht haben." Und selbst wenn afrikanische Produkte den Geschmack der Europäer treffen: Afrikas Bauern konkurrieren nicht - wie Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, kürzlich bemerkte - auf gleicher Augenhöhe mit Europas Agrarindustrie, denn die hat im Vorjahr 3,49 Milliarden Dollar Exportsubventionen erhalten - das Problem ist um so dramatischer, wenn man bedenkt, dass 37 der 52 afrikanischen Staaten reine Agrarstaaten sind.Dabei ist es nicht so, dass man in Afrika nichts vom Kapitalismus verstünde oder ihn gar rundweg ablehnte. Nach diversen gescheiterten Experimenten mit sozialistischen Wirtschaftsformen würden afrikanische Unternehmer lieber heute als morgen der Welt ihr ökonomisches Talent unter Beweis stellen. Erfolgsgeschichten jenseits von Obst und Gemüse gibt es durchaus: Die Brauerei Tanzania Breweries Limited etwa hat sich in den neunziger Jahren so modernisiert, dass sie ihre Stellung gegen die globalen Marken internationaler Bierhersteller behaupten konnte. In Ghana haben sich Firmen etabliert, die Datenbestände von US-Behörden oder Versicherungen digitalisieren, und die OECD stellt fest, dass "Afrika derzeit seine beste wirtschaftliche Performance seit vielen Jahren erlebt". Woran es vielen Unternehmen fehlt, ist genügend Kapital, ein Problem, das Afrika mit anderen Regionen der südlichen Hemisphäre teilt. Der peruanische Ökonom Hernando de Soto schätzt, dass in der Dritten Welt "totes Kapital" im Wert von 9,6 Billionen Dollar brachliegt, weil es nicht als rechtlich verbrieftes Eigentum registriert ist. Es schlummert in einer halblegalen Schattenwirtschaft, die sich permanent gegen Behördenwillkür und Mafia-Strukturen behaupten muss.Das andere große Problem ist die Abschottung westlichen Technik-Knowhows durch Patente, wie sie etwa im so genannten Trips-Abkommen zum "Schutze" geistigen Eigentums festgeschrieben ist. Seit der enormen Aufholjagd der asiatischen Schwellenländer sollte klar sein, dass Technologie ein zentraler Faktor wirtschaftlicher Entwicklung ist, ob man das begrüßt oder nicht. Jeder "Marshall-Plan", der diese Hindernisse nicht beseitigt, gerät in den Verdacht, nichts anderes als ein alimentiertes Protektorat mit Obstgarten zementieren zu wollen.Was Afrika nicht braucht, ist paternalistisches Geschwätz. Nicht von Freihandelsideologen, nicht von europäischen Idealisten, die hoffen, ausgerechnet südlich des Mittelmeeres eine Alternative zum globalen Kapitalismus entwickeln zu können, und die Afrikaner dabei als Versuchskaninchen missbrauchen. Das Gebot der Stunde lautet: Afrika endlich ernst zu nehmen - und mit gleichen Chancen über seine Entwicklung selbst entscheiden zu lassen.