Against the Pill

Nachruf Zum Tod der Gesundheitsaktivistin Barbara Seaman (1935-2008)

Es dauerte vier Tage, bis die New York Times einen Nachruf auf Barbara Seaman veröffentlichte. Sie starb am gleichen Tag wie William Buckley, der als "Vater des modernen Konservativismus" am darauffolgenden Tag gewürdigt wurde. Für Barbara Seaman mussten sich erst Feministinnen und Gesundheitsaktivistinnen aller Generationen via Internet einsetzen, bis die Redaktion reagierte. Damit wiederholte sich nach Seamans Tod, was schon ihr Leben geprägt hatte, die verwehrte öffentliche Anerkennung.

Das ist berichtenswert, weil kaum jemand wie sie den Mainstream der amerikanischen Gesundheitspolitik so nachhaltig verändert hat. Im Jahre 1969 erschien in den USA ihr erstes kritisches Buch gegen die Pharmaindustrie, The doctors case against the pill, das aufgrund des großen Erfolgs in den USA bereits 1970 auch ins Deutsche übersetzt erschien (Ärzte contra Pille). Davor hatte Seaman als Familienredakteurin für Frauenzeitschriften wie Ladies Home und verschiedene Brautmagazine gearbeitet. Dort erreichten sie schon in den sechziger Jahren, als in den USA die Euphorie über die Antibaby-Pille abklang und die Frauen mehr und mehr über heftige Nebenwirkungen klagten, viele Anfragen. Barbara Seaman begann, zu recherchieren und war verärgert über eine Ärzteschaft, die sich über die "Hysterie" der Frauen mokierte und ihre Beschwerden nicht ernst nehmen wollte. Bei ihren Recherchen stellte sich heraus, dass die verabreichten Pillen zuviel Östrogen enthielten und zu ernsthaften Gesundheitsproblemen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Blutgerinnsel und Krebserkrankungen führen konnten.

Seaman politisierte in ihrem Buch auch den Skandal, dass Frauen als Versuchskaninchen missbraucht worden waren und die Gesundheitsbehörde die Pille aufgrund einer nicht validen Studie zugelassen hatte. Nie verziehen wurde ihr dabei der Vergleich mit den nationalsozialistischen Medizinexperimenten. Für die Studie, in deren Rahmen es zu fünf Todesfällen kam, hatte die Pharmaindustrie arme Frauen aus Puerto Rico herangezogen.

Zu dieser Zeit befand sich die Frauengesundheitsbewegung mit der massenhaften Verbreitung von Our Bodies, Ourselves, einem der einflussreichsten Frauenhandbücher in den USA, auf dem Höhepunkt der Selbstaufklärung. Es entstanden vielerorts Zentren, in denen Frauen durch ihresgleichen sowohl Sexualberatung als auch Hilfe bei Abtreibungen erhielten. Die Vorherrschaft der damals meist männlichen Gynäkologen wurde damit auch praktisch in Frage gestellt wurde. Auf Druck der Frauen sah sich der US-Senat 1970 genötigt, ein Hearing zu den Nebenwirkungen der Pille zu veranstalten, in dessen Folge - unter Ausschluss der Kritikerinnen - eine drastische Reduzierung des Östrogenanteils in der Antibabypille beschlossen wurde. Die Hormongabe war zehnfach höher verabreicht worden als für die Verhütung notwendig war.

In den letzten Jahren kritisierte Barbara SeamanÊ(The greatest experiment ever performed on women: exploding the estrogen) die Hormonersatztherapie während und nach der Menopause. Sie widerlegte das pharmazeutische Versprechen, dass durch die Hormonbehandlung das Risiko von Osteoporose oder Krebs verringert würde. Tatsächlich wurde eben dies vor ein paar Jahren auch empirisch belegt.

Barbara Seaman selbst ist am 27. Februar im Alter von 72 Jahren an Lungenkrebs gestorben.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden