Dieser Präsident tut, was er tut, weil er kann. Eine der Schlussfolgerungen nach dem Amtsenthebungsverfahren, das Donald Trump nun auszukosten sucht. Der Ausgang lässt sich auch mit hoffnungsvollen Thesen der Art nicht schönreden, die Demokraten hätten sich ehrbar geschlagen, das Aufdecken von Machtmissbrauch werde Konsequenzen haben im November bei der Präsidentenwahl.
Letzteres könnte passieren, es sei denn, demokratische Kandidaten verzetteln sich bei internen Kontroversen, welcher Bewerber das beste Programm zur Krankenversicherung hat, oder bei der Frage, ob die USA wirklich bereit sind für den demokratischen Sozialismus. Oder welcher grüne New Deal grüner ist. Die Republikaner sind in diesem Wahljahr total machtorientiert und verzichten auf Flügelkämpfe. So stoßen die Demokraten auf einen Gegner, der sich nicht an vermeintlich normale Gepflogenheiten hält, denn Donald Trump ist die Partei. Zwei republikanische Mitglieder des Senats wollten beim Amtsenthebungsverfahren Zeugen vorladen, fanden jedoch in den eigenen Reihen keinen Beistand: Susan Collins aus Maine, die meist für Trumps Programme stimmt, sich aber gern als kompromissbereite Politikerin gibt, dazu Mitt Romney, 2012 Präsidentschaftskandidat, ein religiöser Mormone aus Utah, dem Trumps Lebenswandel offenbar gegen den Strich geht.
Symbol Mauer
Die Republikaner und deren Spender betrachten Trumps Beleidigungen von Gegnern, seine Attacken auf Medien, seine außenpolitischen Alleingänge und die Missachtung von Gesetzen offenbar nicht mehr als peinlich. Sie sind das Ticket zum Erfolg. Es funktioniert vieles. Steuergesetze bedienen die Wirtschaftselite, Trumps Angriffe auf die kulturelle Elite befriedigen rechte Christen, Sozialkonservative und manche Weiße aus der unteren Einkommensschicht, die das Gefühl haben, es spreche niemand für sie. Und ganz wichtig: Die Wirtschaftszahlen sind nicht schlecht.
Es haben sich auch republikanische Senatoren beim Impeachment auf die Seite des Präsidenten gestellt, denen im Herbst ernsthafte demokratische Rivalen drohen. Sie fürchteten augenscheinlich, Trump könnte ihnen bei den Vorwahlen einen rechten Gegenkandidaten auf den Hals hetzen. Aber nicht nur Furcht motiviert: Umfragen zeigen, dass eine überwältigende Mehrheit der republikanischen Wähler zufrieden ist mit Trump. Es ist keine Mehrheit der Bevölkerung, doch handelt es sich um Menschen, die das „Opfergefühl“ motiviert. Laut Washington Post haben Trump und die Partei im zweiten Halbjahr 2019 57 Millionen Dollar in Kleinspenden eingefahren, fast ebenso viel wie Bernie Sanders bei den Demokraten.
Um eine Floskel zu bemühen: Die USA sind im Umbruch. Die alte Elite, das weiße, wohlhabende und protestantische Amerika, sorgt sich seit Jahren um Machtverluste. Viele junge Leute sind nicht mehr davon überzeugt, dass der „amerikanische Lebensstil“ tatsächlich der erstrebenswerteste ist. Das Normale wird in Frage gestellt, selbst die traditionelle Ehe und die Geschlechtsidentität. Die Zahl der weißen Amerikaner, Kernklientel der Republikaner, nimmt im Verhältnis zu anderen Bevölkerungsgruppen ab. Auch deshalb passt zu Trump die Mauer (an der Grenze mit Mexiko) als Symbol für Ausgrenzung. Inmitten der Anhörungen zur Amtsenthebung hat der Präsident scharfe, gegen Nigeria gerichtete Einreiserestriktionen bekannt gegeben. Die Republikaner treibt die Frage um, wie sie als Minderheit noch ein bisschen länger an der Macht bleiben. Noch hilft ihnen das Wahlsystem, das ländliche und konservative Bundesstaaten bevorzugt im Senat und im Electoral College, das den Präsidenten wählt. Und es sollen Bundesgerichte helfen, die Trump mit ihm wohlgesinnten Juristen besetzt hat.
Das war der Kontext für das Amtsenthebungsverfahren. Es ging den Republikanern nicht wirklich um den Vorwurf, Trump habe versucht, mithilfe einer ausländischen Regierung einem Rivalen zu schaden, dem demokratischen Präsidentschaftsanwärter Joe Biden. Es ging ihnen darum, Macht zu demonstrieren, indem sie den Präsidenten verteidigten und die Art seiner Amtsführung. Während der Anhörungen hatte Trump veranlasst, dass möglicherweise gefährliche Zeugen ihren Vorladungen nicht folgen konnten und Dokumente nicht freigegeben wurden. Dazu befand der demokratische Abgeordnete Adam Schiff: „Wenn die Wahrheit nichts bedeutet, sind wir verloren.“ Trumps Kampf gegen die Medien als den „Feinden des Volkes“ hinterließ ebenfalls Wirkung.
Schicksalstag 3. November
Gegen Ende des Verfahrens schöpften manche Demokraten Hoffnung, als die New York Times über ein Buch des ehemaligen Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton berichtete. Darin würden Vorwürfe bestätigt, Trump habe Militärhilfe an die Ukraine davon abhängig gemacht, ob die Regierung in Kiew bei Ermittlungen gegen den Sohn von Vizepräsident Biden hilfreich sei. Die Hoffnung war vergeblich, denn die republikanischen Senatoren verweigerten eine Vorladung für Bolton. Der wiederum verzichtete auf öffentliche Aussagen gegen Trump, weil ihm dessen verschärfte Iran-Politik sehr recht sein dürfte.
Ohnehin ließen sich die Trump-Fans nicht groß erschüttern. Was in den Medien steht, halten sie für suspekt. Das Forschungsinstitut Pew Research Center hat soeben eine Studie über Medienkonsum vorgelegt und dafür 10.000 Amerikaner befragt. Die Mehrheit der befragten Republikaner erklärte, sie vertraue dem Sender Fox News, dem Trump-Kanal. Nur 15 Prozent vertrauen der New York Times. So dürfte der Wahltag 3. November zu einem Schicksalstag werden. Die Anwärter der Demokraten legen Reformen vor und arbeiten hart, damit diesmal die eigenen Leute tatsächlich abstimmen. Nur geht es gar nicht so sehr um Wirtschaftsprogramme und Klimaschutz. Es geht um Trump und all das, was dieser Mann – gefühlt und wirklich – repräsentiert.
Viele Anhänger der Demokraten treibt das Verlangen, Trump loszuwerden. Zugleich trägt die Partei am Erbe, dass sie zuletzt manche Wähler nicht angesprochen hat und diese ihr Heil bei Donald Trump suchten. Um gegen die feste republikanische Front zu gewinnen, muss die demokratische Koalition mit all ihren Widersprüchen Bernie Sanders und Joe Biden in einem Zelt unterbringen.
Kommentare 2
»Es ging nicht um die Wahrheit, und es ging auch nicht um ein episches Ringen um Befugnisse des Präsidenten und des Kongresses. Es ging einzig darum, dass die Partei in der Opposition – im amerikanischen Kontext jene, die das Weiße Haus meist von außen betrachtet – dem Staats- und Regierungschef das Leben so schwer wie möglich macht, vor allem in einem Wahljahr.
Der Beweis ist einfach zu erbringen. Es genügt, die Verlautbarungen von Republikanern, Demokraten, Anwälten und Experten anzuschauen, die beim letzten Versuch, einen Präsidenten aus dem Amt zu entfernen, in genau umgekehrter Rolle auftraten: Die Demokraten – unter ihnen ein gewisser Joe Biden – verteidigten 1999 ihren Präsidenten Bill Clinton, der «etwas Dummes» getan habe, und die Republikaner betrachteten Clintons Meineid in einer persönlichen Verfehlung als schwerwiegenden Angriff auf Staat und Verfassung.« (Quelle: Peter Winkler, Neue Zürcher Zeitung)
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Demokraten wie die Anti-Trump-Front zu dessen Demontage überhaupt haben eine Dynamik in Gang gesetzt, von der Trump und Republikaner profitieren. – Sie haben quasi ein Selbsttor geschossen und bemühen in ihrem pathologischen Fanatismus nun die unwahrscheinlichste Variante, sich an Trump zu rächen: Die Rache des kleinen Mannes nämlich, der im November schon wieder zu wählen hat, obgleich der Wahlkampf von 2016 überhaupt noch nicht zu Ende ist.
Übrigens:
Der Hinweis auf den ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton und dessen angebliche Vorwürfe gegen Donald Trump in seinem ominösen Buch ist lächerlich. Dieser kriegslüsterne Scharfmacher, den Donald Trump vermutlich wegen seiner kriegslüsternen Gesinnung entlassen hat, kann Trumps tatsächliches Verhalten in der nachgesagten virtuellen Ukraineaffäre nichts beweisen – so wenig, wie all die anderen auch –, sondern ausschließlich behaupten.