Mit 24 Jahren Regierungszeit zählt Jemens Ali Abdullah Saleh zu den dienstältesten Präsidenten der arabischen Welt. Sicher in dieser Region keine Besonderheit. Dass er in zwei nach demokratischen Regeln verlaufenen Wahlen bestätigt wurde, hingegen schon. Niemand hatte dem aus unteren Armeerängen aufgestiegenen Saleh zugetraut, sich derart etablieren zu können. Als extrem nachteilig galt die Herkunft aus dem eher unbedeutenden Stammeszweig der Hashid, das verhieß eine schwache Position beim Austarieren von Einflüssen und Machtansprüchen der verschiedenen Ethnien (*).
1990 gelang unter der Ägide Salehs die Vereinigung des einst sozialistischen Südjemen mit dem traditionell nach Stämmen gegliederten Norden. Drei Jahre später wurden im neuen Einheitsstaat Wahlen abgehalten, neben der Minderheitendemokratie Kuwaits konnte der Jemen damit als einziger Staat auf der Arabischen Halbinsel ein pluralistisches System vorweisen. Überhaupt schien es für das chronisch unterentwickelte Land - trotz eines 1994 ausgebrochenen, bald durch die Armee Salehs beendeten Sezessionskrieges (s. Übersicht) - bergauf zu gehen. Man sah sich in den Golfkooperationsrat aufgenommen. Das im Osten und Süden entdeckte Erdöl ließ hoffen, den auf bescheidene 3,4 Milliarden Dollar zugeschnittenen Staatshaushalt aufzubessern. Auch konnte ein Arrangement mit dem übermächtigen Nachbarn Saudi-Arabien gefunden werden, um den Streit über Grenzverläufe beizulegen.
Dann jedoch kam der 11. September 2001. Seither lastet auf dem ehemaligen Panzeroberst Saleh der Druck Washingtons, überall im Jemen energischer und unerbittlicher gegen al Qaida-Aktivisten vorzugehen, auch wenn es eine Mehrheit ablehnt, dass die eigenen Landsleute ins Visier einschlägiger Militärakte geraten. Im November 2002 hatte die Regierung Saleh zwei Wochen gebraucht, um ihre Verstrickung in den tödlichen Raketenangriff einer US-Anti-Terroreinheit gegen Ali Qaid Senyan al-Harithi einzuräumen, der als Drahtzieher des Anschlages auf das Schlachtschiff USS-Cole im Hafen von Aden zwei Jahre zuvor galt. Unmittelbar nach dem Angriff auf die Wagenkolonne Al-Harithis in der Provinz Marib hatte Jemens Regierung die Tat noch als »illegitime Handlung« verurteilt, mit der Hoheitsrechte verletzt würden. Plötzlich jedoch war von einer »unabgestimmten Militäraktion« die Rede, bis man zugestand, durchaus eingeweiht gewesen zu sein.
Verständlicher wird dieses Lavieren durch den Blick in die Geschichte eines Landes, das weder die indigenen Imame, noch die Osmanen während ihrer Okkupation jemals vollständig zu beherrschen vermochten. Eine Regierung in Sana´a kann es bis heute eigentlich nicht riskieren, als willfähriger Exekutor fremder - in diesem Falle amerikanischer - Direktiven zu handeln. Sie verliert an Reputation, je mehr sie von den traditionellen Werten der Solidarität unter den Muslimen abdriftet. Ohnehin bestehen weiterhin Antagonismen zwischen den auf Autonomie bedachten Stammesführern und der Zentralregierung. Gewandelt hat sich allein der Charakter des Regimes in Sana´a. Wurde die Regierung noch bis in das Jahr 1962 hinein durch einen vom Schwiegersohn des Propheten Mohammed abstammenden zaiditischen Imam repräsentiert, agiert seit zehn Jahren ein durch Wahlen legitimiertes Kabinett.
Doch angesichts der grassierenden Terror-Hysterie bleibt Präsident Ali Abdullah Saleh wohl keine andere Wahl, als sich den Erwartungen Washingtons zu beugen, will er vermeiden, dass der Jemen in einem Atemzug mit Staaten genannt wird, denen die Bush-Regierung unterstellt, Terroristen zu beherbergen. Arabia felix, wie der Jemen auch bezeichnet wird,rangiert nach amerikanischer Lesart in der Nähe Somalias oder des islamistisch regierten Sudan, so dass jederzeit auch extensivere Militäraktionen denkbar sind als die sämtliche Rechtsnormen verletzende Tötung des Ali Qaid Senyan al-Harithi.
Noch im Juli 2002 hatte eine Meldung des Pariser Magazins Le Point, jemenitische Militärs würden in Djibouti unter US-Anleitung trainieren, ein heftiges Dementi aus Sana´a provoziert. Zwischenzeitlich wird die Einschätzung der USA gebilligt: die zerklüftete jemenitische Bergwelt sei ein Auffangbecken islamischer Extremisten. Notgedrungen wird auf Parallelen zu Afghanistan verwiesen, nicht allein topographische. Hier wie dort prägen schließlich seit jeher Clans und Stammesloyalitäten das politische Milieu. Ähnlich wie in Kabul liegt die Staatsmacht de jure in den Händen der Zentralregierung, in den Bergregionen jedoch gilt das Wort des jeweiligen Clanführers mehr als irgendein in Sana´a erlassenes Gesetz. 14 verschiedene Ethnien haben sich gegen jede Form militärischer Manöver von US-Truppen in ihrer Region verwahrt. Nicht ganz ohne Grund werfen sie Präsidenten Saleh vor, getarnt durch den Antiterrorkampf innenpolitische Ziele zu verfolgen. Dazu getrieben, die Flucht nach vorn anzutreten, hat der Staatschef daraufhin tatsächlich begonnen, die Machtbasis der Clanchefs in Frage zu stellen.
Ähnlich verfährt er mit seinem ehemaligen Koalitionspartner, der konservativ-islamischen Reformpartei (Islah). Ihr wird ein zumindest geistig-ideeller Beistand »terroristischer Elemente« unterstellt. Tatsache ist, dass Islah das konziliante Getändel Salehs mit den USA seit geraumer Zeit kritisiert. Und Tatsache ist auch, dass der Student, der kurz nach dem Mord an drei amerikanischen Ärzten Ende Dezember gefasst wurde, aus den Reihen der Reformpartei stammt, diese aber kurz vor dem Attentat verließ. Der Partei sei die Doktrin eines von Christen und Säkularisten (oder: Sozialisten) »befreiten« Jemen fremd geworden, soll er den Schritt begründet haben.
Was die Disziplin gegenüber einem fremden Willen für das kulturelle Gefüge des Jemen letztlich bedeuten wird, lässt sich schwer abschätzen. Einer Radikalisierung islamistischer Parteigänger leistet die Politik Salihs auf jeden Fall Vorschub. Womöglich fruchtet aber auch sein Kalkül, sich im Windschatten des Anti-Terrorkrieges von alten Rivalen zu befreien, um seinem Sohn den Weg in die Kathedrale der Macht zu ebnen.
(*) Der Jemen wird heute von zwei großen Stammesföderationen dominiert - den Hashid im Norden und den Bakil im Süden.
1962 | Ausrufung der Jemenitischen Arabischen Republik im Nordjemen und Beginn des Bürgerkrieges, der 1970 mit einem Kompromiss zwischen Royalisten (unterstützt von Saudi-Arabien) und Republikanern (Ägypten) sein Ende findet. |
1964 - 1967 | Unabhängigkeitskämpfe im Südjemen zwischen britischen Truppen und den Befreiungsbewegungen FLOSY und NLF. |
30. November 1967 | Abzug der Briten und Proklamation der Volksrepublik Südjemen. |
22. Juni 1969 | Sieg der Linksnationalisten (Marxisten) im Südjemen unter Salem Ali Rubai. Umbenennung in Demokratische Volksrepublik Jemen Ende 1970. |
1972 | Grenzkonflikt zwischen Nord- und Südjemen, der durch die Abkommen von Kairo und Tripolis beendet wird. Die Verträge sehen eine Vereinigung der beiden Landesteile vor, die aber nicht zustande kommt. |
1974 - 1977 | Übernahme der Macht im Nordjemen durch Oberst Ibrahim Al-Hamdi, der 1977 ermordet wird. Sein Nachfolger wird Oberst Ahmed Al-Ghaschmi. |
1978 | Ermordung Al-Ghaschmis durch eine Briefbombe. Zugleich Machtkämpfe im Südjemen, die mit der Erschießung von Präsident Rubai durch seinen Nachfolger Abdul Fatah Ismail enden. |
17. Juli 1978 | Oberstleutnant Ali Abdallah Saleh wird Staatspräsident des Nordjemen. |
1979 | Erneuter militärischer Konflikt zwischen den beiden jemenitischen Staaten. |
1986 | Stammesbedingte Gegensätze führen zu einem Bürgerkrieg im Südjemen. Ali Salem Al-Beidh wird neuer Generalsekretär der südjemenitischen Sozialisten. |
22. Mai 1990 | Vereinigung der Arabischen Republik Jemen und Demokratischen Volksrepublik Jemen zur Republik Jemen. |
27. April 1993 | Erste demokratische Parlamentswahlen mit enttäuschendem Resultat für die Sozialistische Partei des ehemaligen Südjemen. |
Mai - Juni 1994 | Sezessionskrieg zwischen Süd- und Nordjemen. |
23. September 1999 | Erste Direktwahlen des Präsidenten. Der bisherige Staatschef Ali Abdallah Saleh gewinnt mit 96 Prozent der Stimmen. |
12. Juni 2000 | Abschluss des "Vertrags von Djidda" mit Saudi-Arabien zur endgültigen Lösung des Grenzstreits |
12. Oktober 2000 | Ein Selbstmordkommando rammt in einem Schlauchboot im Hafen von Aden den US-Zerstörer "USS Cole". Die Sprengsätze reißen ein großes Leck in den Schiffsrumpf. 17 amerikanische Seeleute kommen ums Leben. |
November 2001 | Einsatz von ersten Anti-Terror-Einheiten der USA im Jemen. |
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