Am Dienstag kam die erlösende Nachricht: Alaa Abdel Fattah ist noch am Leben. Nach mehr als sechs Monaten im Hunger- und Durststreik, um seine Freilassung aus dem Gefängnis zu erzwingen. Am Montag erhielt seine Familie einen Brief mit den Zeilen: „Ich beende meinen Hungerstreik. Ich erkläre euch alles am Donnerstag.“ Ein Besuch seiner Familie im Gefängnis war auf diesen Tag terminiert. Zudem bat Alaa sie, ihm einen Geburtstagskuchen mitzubringen, denn einen Tag später wird der Aktivist 41 Jahre alt. Die Familie zeigte sich von der Nachricht erleichtert. Durch die UN-Klimakonferenz COP27 in der ägyptischen Stadt Scharm El-Scheich erhält der Fall von Alaa Abdel Fattah, seine Verhaftung und jahrelange Inhaftierung, die Aufmerksamkeit der internat
nationalen Medien. Möglicherweise hat die Anreise von Delegationen und Aktivisten aus der ganzen Welt auch die Chance erhöht, dass Alaa bald freigelassen wird.Wer ist Alaa Abdel Fattah? Ein 40-jähriger Softwareentwickler, Schriftsteller, Menschenrechtsaktivist und einer der bekanntesten Stimmen während der Tahrir-Revolution von 2011. Er gründete einen bekannten arabischen Blog-Aggregator und war an einer Reihe von Bürgerjournalismus-Initiativen beteiligt. Heute ist er einer von Tausenden Inhaftierten, die ohne Anklage oder faires Gerichtsverfahren in unwürdigen Bedingungen in ägyptischen Gefängnissen gefangen gehalten werden.Schon unter dem ägyptischen Langzeitpotentaten Hosni Mubarak wurde Abdel Fattah das erste Mal festgenommen, weil er sich für Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit einsetzte. Ähnliches wiederholte sich nach der Revolution und der Machtübernahme durch das Miltär. 2015 schließlich wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt. Sein angebliches Vergehen: Er habe eine nicht angemeldete Kundgebung organisiert. Im März 2019 wurde er freigelassen, aber am 29. September erneut festgenommen. Anschließend saß er zwei Jahre in Untersuchungshaft, bevor er im Dezember 2021 wegen des Vorwurfs der Veröffentlichung falscher Nachrichten ein weiteres Mal zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde.Internationale Menschenrechtsorganisationen kritisierten mehrfach, dass das Gerichtsverfahren gegen ihn unrechtmäßig gewesen sei und er keine Chance auf eine faire Verteidigung gehabt habe. Am 2. April 2022 trat Abdel Fattah im Kampf um seine Freiheit in einen unbefristeten Hungerstreik; er beschränkte seine Nahrungsaufnahme auf ein Glas mit Honig pro Tag, etwa 100 Kalorien. Nach mehr als 200 Tagen kündigte er an, dass er ab dem 1. November 2022 in einen vollständigen Hungerstreik übergehen werde. Am 6. November 2022, zeitgleich mit dem Beginn der COP27, begann er dann einen Durststreik. „Wenn man sich den Tod wünscht, dann wäre ein Hungerstreik kein Kampf“, schrieb Abdel Fattah in einem Brief an seine Familie, in dem er seinen Hungerstreik ankündigte. „Wenn man nur aus Instinkt am Leben festhält, was bringt dann ein Streik? Wenn du den Tod nur aus Scham über die Tränen deiner Mutter hinausschiebst, dann verringerst du die Chancen auf einen Sieg“.Nachdem das ägyptische Militär 2013 den Präsidenten Mursi abgesetzt und 2014 dem früheren Oberbefehlshaber Abdel Fattah El-Sisi den Weg zur Präsidentschaft geebnet hatte, brachte das Regime fast alle Medienbereiche unter seine Kontrolle. Das Internet blieb der letzte Raum für Bürger*innen, wo freie Meinungsäußerung noch möglich war, und die einzige Möglichkeit, andere als die vom Staat produzierten Nachrichten zu teilen. Allerdings weitete das Regime seit Mitte Mai 2017 auch die Praxis aus, Hunderte von Webseiten im Internet zu sperren, darunter mindestens 118 Webseiten von Presseorganen. Umso wichtiger ist also die Anwesenheit von internationalen Staatsgästen und Vertretern internationaler Medien, die derzeit wegen der Klimakonferenz COP27 in Ägypten sind. Auch prominente Fridays-for-Future-AktivistInnen forderten am 8. November die Freilassung von Abdel Fattah.Auch Olaf Scholz fordert die Freilassung von AlaaIn ihrer Not versuchte seine Familie durch den Erhalt der britischen Staatsbürgerschaft, den Druck auf die ägyptische Regierung zu erhöhen. Da Alaas Mutter in Großbritannien geboren wurde, hat auch ihr Sohn Anrecht auf die britische Staatsbürgerschaft. Welche er, während er im Gefängnis saß, bereits vor einem Jahr erhalten hat. Allerdings will die ägyptische Regierung Abdel Fattahs britische Staatsbürgerschaft nicht anerkennen – der ägyptische Staat erfindet fadenscheinige Ausreden, um ihm jeglichen Rechtsschutz zu verwehren.Am 8. November sprach Alaas Schwester Sanaa Seif auf der COP27 im deutschen Klimapavillon auf einer Pressekonferenz über die ungerechtfertigte Inhaftierung ihres Bruders und forderte seine sofortige Freilassung. „Sie müssen Ihre Außenpolitik mit Ägypten auf den Prüfstand stellen (...) Drei Jahre in Folge war Ägypten Deutschlands Waffenkäufer Nummer eins. Diese Waffen können wir uns nicht leisten und wir brauchen sie nicht, und wenn sie jemals benutzt werden, würden sie gegen uns eingesetzt werden“, sagte Sanaa in Anwesenheit der Staatssekretärin und Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt, Jennifer Lee Morgan.„Wir machen uns große Sorgen um das Leben von #AlaaAbdelFattah, der hier in Ägypten in Haft sitzt und nun in Durststreik getreten ist. Wie auch andere Staats- und Regierungschefs habe ich mich heute bei Präsident El-Sisi für seine Freilassung eingesetzt“, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Twitter. Ob die internationale Aufmerksamkeit und die diplomatischen Aufforderungen zur Freilassung von Abdel Fattah reichen werden, wird sich vielleicht schon in den kommenden Tagen zeigen.