Alarmglockenläuten

Sachlich richtig Die Gefahren für Mensch und Wald sind zahlreich und vielgestaltig: Literaturprofessor Erhard Schütz liest neue Bücher über Kriege und Katastrophen

Katastrophen sind auch nicht mehr das, was sie früher waren. Als sie noch klein waren, waren sie eigentlich ganz nett: Das Endstück des griechischen Dramas hieß Katastrophe und wollte gerne auf Harmonie hinaus. Als die Katastrophe aber von der Bühne ins Leben trat, wurde sie bös­artig. Seither schlagen wir uns mit immer mehr herum, Öl, Dürre, Brand, Loveparade, Überschwemmung oder Westerwelle – alles kann zur Katastrophe werden. Früher, so zeigt ein kluges Buch von François Walter, waren Katastrophen Strafe der Götter/des Gottes. Die Vorkehrung dagegen, z. B. der Blitzableiter, war eine Versündigung. Heute, zeigt die tour d’horizon durch Medienberichte, ist das noch immer so. Noch immer nehmen wir Katastrophen als Sündenstrafe wahr – z. B. für die Klimaerwärmung. Und wenn sie denn eingetreten ist, gerne auch als Entlassung aus den Verstrickungen der Normalität in den elementaren Ausnahmezustand: nacktes Überleben, ungeahnte Helden, neue Solidarität. Aber nicht lange. Dann wollen wir in die gewohnte Sicherheit zurück …

Waldsterben war auch so eine Kata­strophe, nicht erst unlängst. Gegen Mitte des 18. Jahrhundert wurde es zunehmend dramatisch: Holzmangel als Gesellschaftskatastrophe. Das war, zeigt Richard Hölzl akribisch und spannend zugleich, tatsächlich weniger Realität als die dramatische Erzählung interessierter Kameralisten, ­Experten auf dem Weg der Waldverwissenschaftlichung. Diese neue Beamtenschaft rückte mit ihrem modernen Wald der Holzwirtschaft gegen gleich drei ­Gegner vor: die in ihrer vielseitigen Waldnutzung angeblich ignoranten Bauern, die nur am Wildbestand interessierten ­Jagdherren und die unqualifizierten ­Förster. Schachbrett als Idealgestalt, ­Nadelholz als Idealbaum der ökonomischen Nachhaltigkeit. Bald nach 1800 kamen auch noch Schutz und Erholung ins argu­mentative Spiel. Daraus erwuchs dann ­die eigentliche ökologische Wald­bewegung, die die Dörfler als Holzfrevler brand­markte, bis sie nach 1848 volks­kundlich als ­konservatives Element eines spezifisch deutschen Waldbewusstseins entdeckt wurden. Hölzls Buch führt ­geduldig durch die gewundenen Wege des „modernen“ zum „deutschen“ Wald, schlägt erhellende Schneisen und bietet reichhaltige Ent­deckungen – eben wie ein guter Wald, der nicht in Holz und Gemüt ­zerfällt, es ja soll.

Krieg ist Katastrophe. Der um Troja, in der Ilias seit ca. 750 v. u. Z. überliefert, gilt oft als Urstück schieren Heldentums. ­Dabei wollten alle Beteiligten sein möglichst baldiges Ende. Niemand wollte ihn, die Götter nicht, die Menschen nicht, nicht einmal die Helden, selbst deren größte nicht, Achill und Hektor. Caroline Alexander hat in einer großartigen ­Darstellung das so rätselhafte Epos dieses Kriegs Stück für Stück transparent gemacht – auf die Vergangenheit, den Text selbst und die Gegenwart hin. Niemand will ihn, doch der Krieg dauert Jahr um Jahr, weil Verwandtschaft und Loyalität, Statusdenken, Ehrbegriff und Leiden­schaften alle in ihn verstricken. Ganz ohne Ehrfurchtsgeraune macht dies faszi­nierende Buch auf faszinierende Weise klar, was einem die Schule nicht hat ­erklären können – warum die Ilias ­tatsächlich ein ewiges Menschheitswerk ist.

Im 20. Jahrhundert wären Achill und Hektor Piloten geworden. Moderne Krieger stellt Christian Kehrt in einer mehrfach preisgekrönten, ebenso wuchtigen wie ­geradezu enzyklopädisch vollständigen Arbeit vor: deutsche Militärpiloten und ihre Technikerfahrung vor, zwischen und in den beiden Weltkriegen. Er zeigt, wie der „Traum vom Fliegen“ sich in den Imperativ der „Eroberung der Luft“ verwandelte, wie aus sportiven Kriegswagehälsen ­risikovermeidende Zivilpiloten und dann wieder ikarische Draufgänger, mit der technischen Entwicklung jedoch aus ­Praktikern und Pionieren zunehmend ­automatisierungsgeleitete Anwender und Befolger wurden. Dabei ging die anfäng­liche Modernitätseuphorie im Zweiten Weltkrieg zunehmend in die Kränkung des exponential wachsenden Modernitätsrückstands gegenüber den USA über. In seiner Berücksichtigung so ziemlich ­aller denkbaren Aspekte, von der Sicherheit bis zum Persönlichkeitsbild, von ­Liegend- zum ­Höhenflug, von Flugmedizin, Moralkodex und Cockpitgestaltung bis zur Bombenfernlenkung ist dies eine historiographische Aufarbeitung der Kriegs­fliegerei und deren umfassendes Handbuch zugleich.

Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis 21. JahrhundertFrançois Walter Reclam, Stuttgart 2010, 385 S., 29,95

Umkämpfte Wälder. Die Geschichte einer ökologischen Reform in Deutschland 1760 1860Richard Hölzl Campus, Frankfurt a. M. u. New York 2010, 551 S., 49

Der Krieg des Achill. Die Ilias und ihre GeschichteCaroline Alexander Berlin Verlag, Berlin 2009, 319 S., 24,90

Moderne Krieger. Die Technikerfahrungen deutscher Militärpiloten 1910 1945Christian Kehrt Schöningh, Paderborn 2010, 496 S., 49

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