Alarmismus macht blind

Wahlkampf Der DGB warnt vor Schwarz-Gelb und setzt auf die SPD. Die wird sich aber nur in der Opposition von der Agenda-Politik lösen können

Ein Gespenst geht um in den Gewerkschaften, das Gespenst einer schwarz-gelben Mehrheit. Solche Aussichten lassen zusammenrücken. Zwar verzichten die Gewerkschaften auf eine Wahlempfehlung. Das hindert sie jedoch nicht, gegen einen befürchteten schwarz-gelben Kahlschlag vernehmlich auf die SPD zu setzen. Das jedenfalls war die Botschaft nach einem Besuch des Kanzlerkandidaten Steinmeier beim DGB. In Gefahr und größter Not bringt die SPD die Rettung (es klingt wie eine überkommene Volksweisheit).

Alarmismus macht blind. Die von vielen erwartete „bürgerliche“ Mehrheit ist noch längst nicht ausgemacht. Es wäre nicht das erste Mal, dass bekannte Leitmedien und Demoskopen Opfer ihrer eigenen Wünsche werden. Doch unterstellen wir einmal den Ernstfall. Kein Zweifel, das Programm der FDP kann die Gewerkschaften das Fürchten lehren. Kaum ein Reizthema ist ausgelassen. Kein Vorschlag, der genau den sozialen Umbau fortsetzen würde, dessen desaströsen Folgen einschließlich der aktuellen Krise derzeit zu besichtigen sind. Das macht sogar Sinn, wenn man auf die radikalisierbare Klientel setzt, die vom moderaten Kurs der Merkel-CDU enttäuscht ist. Deren Kurs aber wird sich nicht ändern. Nicht dass die CDU dem Wirtschaftsliberalismus abgeschworen hätte. Doch sie hat ihre Lektion der Wahl vom September 2005 gelernt. Sie weiß um die tiefe Verwurzelung sozialstaatlicher Sicherung in der Bevölkerung und fürchtet um ihre Integrationsfähigkeit.

Daher wird uns manches von dem, was die FDP derzeit mit der Wollust des Gewerkschaftsschrecks verkündet, erspart bleiben. Es ist kaum damit zu rechnen, dass der Kündigungsschutz oder die Mitbestimmung abgebaut, die Tarifautonomie ausgehebelt oder geltende Mindestlöhne wieder beseitigt werden. Was uns dagegen ins Haus steht, ist eine neue Welle der Umverteilung. Nach bekanntem Muster ist zu erwarten, dass die Lasten der beflissenen und großzügigen Bedienung von Banken und Finanzanlegern der Mehrheit aufgebürdet werden: durch höhere Mehrwertsteuer, gekürzte soziale Leistungen, die Rente mit 70, die Privatisierung der letzten Reste öffentlichen Eigentums und Druck auf Löhne und Gehälter. Die Gewerkschaften, und nicht sie allein, sind daher gut beraten, sich auf diese neue Dimension des Verteilungskonflikts einzustellen und angemessene Gegenwehr vorzubereiten.

Solches gebietet sich unabhängig vom Wahlausgang. Die nicht minder realistische Alternative zu Schwarz-Gelb ist eine Neuauflage der großen Koalition. Sicher, manches wäre für die Gewerkschaften leichter, etwa hinsichtlich weiterer Mindestlohn-Sektoren. Doch in der Kernfrage der Umverteilung und der gesellschaftlichen Zukunftsvorsorge auf die SPD zu setzen, ist Traumtänzerei. Ein Narr, der glaubt, die Zeche zahlten die Verursacher und Profiteure, etwa über höhere Abgaben auf Spitzeneinkommen, Gewinne und Kapitalrenditen, durch eine Vermögens- und Börsenumsatzsteuer oder durch eine Reform der missratenen Erbschaftssteuer. Wer’s vergessen haben sollte: Die nachhaltigste Reichtumspflege und die folgenreichste Deregulierung der Finanzmärkte hat eine sozialdemokratisch geführte Regierungskoalition durchgesetzt. Und die härtesten Eingriffe in Leistungen und sozialen Schutz brachten uns die Hartz-Gesetze, von denen das Führungspersonal der SPD auch heute nicht den geringsten Abstrich duldet. Steinmeiers Deutschland-Plan wird am Wahlabend bereits Geschichte sein, sobald eine Beteiligung an der Regierung winkt.

Für ein linkes Bündnis

Richtiger wäre es jedoch, sich anstatt auf die SPD auf eine Stärkung der linken Kräfte insgesamt zu orientieren und für ein linkes Bündnis einzutreten. Hier zeigt sich freilich: Die SPD ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Ein solches Bündnis scheitert derzeit nicht etwa daran, dass die Linke nicht politik- und bündnisfähig wäre, sondern weil die SPD noch nicht in der Lage ist, sich aus den Versteinerungen der Agenda-Politik zu befreien. In der Regierung wird ihr noch nicht einmal der notwendige personelle Wechsel gelingen. „Opposition ist Mist“ – für die, die eine Umkehr verhindern wollen.

Nein, wer der SPD wohl will, sollte ihr die Chance der Opposition gönnen. Wenn dann auch noch die Linke die defensive Enge hinter sich ließe und sich den emanzipatorischen Auftrag des Sozialstaats zu eigen machte – ja, dann könnten die nächsten vier Jahre durchaus produktiv sein.

Detlef Hensche war von 1992 bis 2001 Chef der Gewerkschaft Medien. Die SPD verließ er nach langer Mitgliedschaft aus Protest gegen die Politik von Rot-Grün.

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