In Griechenland sitzt nun wieder das alte Regime im Sattel, das Klientelsystem, das kaum jemand besser repräsentieren könnte als Kyriakos Mitsotakis, der Prinzling aus der konservativen Politikerdynastie. Abgewählt wurde damit Europas erste Regierung, die von einer neuen radikalen Linken gestellt wurde – von Alexis Tsipras und seiner Syriza-Partei. Ist das ein Scheitern? Vielleicht eines von der Art, das man erfolgreiches Scheitern nennen kann.
Griechenland war vor sieben, acht Jahren praktisch bankrott, musste unter EU-Kuratel, ihm wurde ein hartes Austeritätsprogramm auferlegt, das das Land für Jahre zurückwarf. Der Syriza-Wahlsieg 2015 war so gesehen eine Rebellion an der Urne. Und es wurde anfangs auch im Rebellenstil regiert. Alexis Tsipras’ Truppe war nicht besonders gut darin, sich im Umfeld der Europäischen Union die nötigen Verbündeten zu verschaffen. Aber isoliert kann einer im Euro-Netzwerk kaum agieren, besonders dann nicht, wenn er als Schuldner von seinen Gläubigern letztlich abhängig ist. Syriza musste Lehrgeld zahlen und am Ende viele der Vorgaben der Austeritätsfanatiker akzeptieren.
Tsipras’ Regierung schaffte zwar in gewisser Weise eine Trendwende – die Arbeitslosigkeit sank, das Land ist aus der totalen Talsohle heraus. Aber es ist eine Erholung auf niedrigstem Niveau. Dennoch wurde Tsipras bis zuletzt als einer gesehen, der wenigstens kämpft wie ein Löwe. Er wandelte sich zu einem Staatsmann, zu einem Sozialdemokraten – aber einem ohne den Ballast typischer SPD-Kleinmütigkeit und Apparatschikkultur. Längst beherrscht er die Kunst des Möglichen.
Das zahlte sich sogar bei den Wahlen aus. Mit knapp 32 Prozent holte Syriza ein Ergebnis, von dem die meisten Mitte-links-Parteien nur träumen können. Syriza und die sozialdemokratische Ex-Pasok haben rund 40 Prozent, mit den Kommunisten und der Partei von Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis bringt die griechische Linke sogar knapp 49 Prozent auf die Waagschale. Gescheitert ist nicht Tsipras, gescheitert sind die europäischen Progressiven, die es nicht einmal in Ansätzen schaffen, Mehrheiten für eine gerechte Wirtschaftspolitik zu gewinnen. Gegen den Rest der EU-Partnerstaaten kann man heutzutage in der Eurozone am Ende kaum mehr erfolgreich regieren.
Kommentare 52
Robert Misik, ich nehme Ihre Laudatio auf Alexis Tsipras und seine Syriza zum Anlass für ein paar Widerworte.
Was Sie uns nämlich verschweigen, ist, dass Alexis Tsipras und seine Syriza nur seit Ihrer Wahl im Januar 2015 bis zum nächsten Neuwahltermin am 20. September 2015 über eine eigene Tsipras/Syriza-Mehrheit verfügte. Das, was links in Tsipras/Syriza war, wurde nämlich von Griechenlands Premier Tsipras mit der "einstimmigen Einigung" vom 12. Juli 2015 abgesprengt.
Seither regierte Wendehals-Tsipras/Syriza mit vagabundierenden Mehrheiten, nur nicht mit eigenen, und schon gar nicht mit linken.
Ich erlaube mir, an den grandiosen Beschiss an der Bevölkerung, dessen sich Alexis Tsipras schuldig gemacht hat, zu erinnern:
Alexis Tsipras war durch seine Wahl im Januar 2015 mit einem komfortablen Mandat gegen die Austeritätspolitik ausgestattet gewesen und wurde durch das Referendum am 5. Juli 2015 hierin erneut überzeugend bestätigt.
Er hatte der Bevölkerung versprochen, die Kreditverträge mit den Gläubigern zu zerreißen, und in Griechenland hatte die Mehrheit der Bürger 2015 gegen neue Austeritätsauflagen gestimmt.
Doch eine Woche später unterwarf sich Griechenlands Premier mit der "einstimmigen Einigung" vom 12. Juli 2015 völlig ohne Not wesentlich härteren Sparauflagen als jenen, die 61 Prozent der griechischen Bevölkerung in ihrem Referendum abgelehnt haben.
Alexis Tsipras hatte dieses Referendum selbst bewirkt und agitierte das griechische Parlament paradoxerweise schließlich, dieses Ergebnis am 15. Juli 2015 zu ignorieren und stattdessen den Austeritätsauflagen von Merkel/Schäuble/Dijsselbloem & Co. zuzustimmen. Und – man höre und staune – das Parlament folgte seinen empörenden Empfehlungen! –
Allerdings mit einem, alles schicksalhaft veränderndem Wermutstropfen:
!!! Insgesamt 39 Parlamentarier der SYRIZA-Fraktion verweigerten die Zustimmung, während die früheren Regierungsparteien Tsipras zur Mehrheit verhalfen. !!!
Alexis Tsipras war u. a. ausgezogen, um die Gläubiger-Troika wegzujagen, kam stattdessen jedoch mit einer Institution-Quadriga (»the institutions representing creditor interests«, Paul Krugman) zurück. Tsipras hat sich entgegen seiner vorlauten Ankündigung deren Kuratel unterworfen. Die griechische Regierung musste ihre Hausaufgaben also weiterhin unter Oberaufsicht der Gläubiger-Quadriga verrichten – welch eine Demütigung. Sie wurde lt. Erklärung des Brüsseler Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 ab sofort verpflichtet,
!!! "die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf zu konsultieren und sich mit ihnen abzustimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird." !!!
Wolfgang Schäuble hat uns in diesem Zusammenhang damals wissen lassen, dass er eher zurücktrete, als dass er gegen seine Überzeugungen handelt. Nicht so Alexis Tsipras, der vollzieht lieber einen Salto.
Salto für eine Politik, von der Tsipras selbst vorgibt, dass er nicht hinter ihr steht! Ein schmutziger Salto mortale für seine SYRIZA-Partei, mit dem er sie konfrontierte, skrupellos überforderte und sprengte.
Eigenwillig bemühte er dafür eine pathologische Deutungsakrobatik: Die Entscheidung von 32 parteieigenen Parlamentariern, gegen die Gläubigervereinbarung zu stimmen, sei unsolidarisch und bedeute, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Sie »erzeugt eine offene Wunde« in der Partei.
Die referendumskonforme Entscheidung von 32 parteieigenen Parlamentariern, gegen die Gläubigervereinbarung zu stimmen, war eine Glaubwürdigkeitsentscheidung und hat ihn, Alexis Tsipras, als politischen Wendehals entlarvt.
Alexis Tsipras verhalf und verhalf der Verarmungs-Politik jener Politiker auf die Sprünge, die er bis zur Wahl bekämpft hat. Damit war er zum braven Untertanen der Institutions und des IWF mutiert, zum Verwaltungsstellenleiter des griechischen Protektorats von Merkel/Schäuble & Co.
Folgerichtig brach er in einem zweiten Schritt mit gleichgesinnten, jedoch kritischen Parteigenossen und machte sein Kabinett stromlinienförmig. "Ich mache ohne sie weiter ... Keiner kann beanspruchen, mehr links als ich zu sein", so sein hochfahrendes Credo.
Propagandistisch hatte man die Parteimitglieder auch schon klassifiziert, nämlich in "proeuropäische Realisten" und in "rebellische Abweichler" und "linke Rebellen". Wie unanständig ist das denn! - Alexis Tsipras muss wohl einer Gehirnwäsche unterzogen worden sein. So geht man nicht mit Parteigenossen und schon längst nicht mit den Bürgerinnen und Bürgern um. – Das ist ganz einfach unanständig!
Auch dieser Hoffnungsträger entpuppte sich also als das, was wir seit Langem von den allermeisten Politikern kennen. Sie sind opportunistische politische Wendehälse und Statthalter von Big Money, die die Bürger verarmen. – Für so etwas braucht man keine SYRIZA-Regierung! Das haben die Vorgängerregierungen viel unaufgeregter hingekriegt.
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Nach vier Jahren im Amt sitzt Griechenland noch immer auf einem so großen Berg von Schulden, dass sie aller Voraussicht nach niemals bezahlt werden können und die es abhängig halten von der Willkür des Kartells der EU-Regierungen, die die EU darstellt.
Alexis Tsipras ist nur durch seine Manipulation der unterschiedlichen Mehrheiten im griechischen Parlament noch im Amt. Auch seine ursprüngliche Mehrheit beruhte im Übrigen auf 50 Bonus-Mandaten, die er nicht durch die Wahl erworben, sondern durch das griechische Wahlrecht geschenkt bekommen hat.
Mit seinem Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten im August 2015 wollte er sich von jenen 39 SYRIZA-Abgeordneten trennen, die in den vorausgegangenen Wochen gegen die Entscheidungen seiner Regierung in der Finanzkrise gestimmt hatten. Das Raffinierte zudem: Laut griechischer Verfassung werden die Kandidaten für das Parlament bei Wahlen innerhalb von achtzehn Monaten nach der letzten Wahl nicht mittels Direktkandidatur, sondern mithilfe von Listen ausgewählt. Und die Rangfolge der Kandidaten dieser Listen festzulegen, ist Vorrecht der jeweiligen Parteivorsitzenden. – Von Alexis Tsipras in diesem Fall für SYRIZA.
Darum auch der eilige Neuwahltermin 20. September 2015: Tsipras konnte sich auf diese Weise der innerparteilichen Gegner mit den Neuwahlen auf einfache Weise entledigen und ließ sich lieber von jenen erneut zum Ministerpräsidenten wählen, die er noch im Januar 2015 bekämpft hatte.
Konsequenter kann man sich kaum für die monetären Machthaber einsetzen.
Seine Ernte heute – vier Jahre später: Das "gelungene Sparprogramm" in Griechenland:
Griechenland kürzte die Renten um durchschnittlich 45 Prozent. Griechenland erhöhte die Steuern und das Renteneintrittsalter. Griechenland entließ Hunderttausende Bedienstete beim Staat.
Die meisten Menschen haben rund ein Viertel ihres Einkommens verloren. Jeder Fünfte ist arbeitslos, gut 400.000 gut ausgebildete meist junge Menschen, darunter viele Ärzte und Ingenieure, sind ausgewandert.
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Alexis Tsipras hat die vorgezogenen Wahlen krachend verloren.
Nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl Ende Mai hatte Regierungschef Tsipras die regulär im Oktober fällige Wahl manipulatorisch vorgezogen. Schon bei der Europa-Abstimmung landete die ND fast zehn Punkte vor Syriza. Seine Rechnung ging diesmal nicht auf.
Aber er hat seine Chancen genutzt:
Tsipras hat in seiner kurzen Amtszeit, seiner Lebenspartnerin einen Professorenjob, seinem Vetter einen Regierungsposten, seiner Schwester einen Parteiposten und seinem Bruder einen Straferlass verschafft. Gleiches taten die übrigen Parteifunktionäre von SYRIZA. Kinder, Lebensgefährten, auch Ex-Partner und Anverwandte wurden mit Posten versorgt. Der Regierungspartei nahestehende Oligarchen erhielten bis zum letzten Sitzungstag des Parlaments von Tsipras Vergünstigungen. Den "ethischen Vorteil der Linken", mit dem Tsipras die Familienclans des Landes für immer besiegen wollte, hat er verspielt.
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!!!Alexis Tsipras verkörpert für mich den Prototyp eines dekadent/entarteten Politikers, den ich zu tiefst verachte!!!
Die goldene Regel beim Bloggen lautet: möglichst keine längeren Kommentare schreiben als der Beitrag. Ihr Kommentar hat 1.079 Worte und der Beitrag nur 335: das geht nun gar nicht! ;-)
Haben Sie einen solch kessen Kommentar auch schon mal an Moorleiche gesandt an W.Endemann, an Columbus, an Insel-Banker?
Oder ist es meine präzise Darstellung, die einem Gegenargument kaum Raum lässt, was Sie stört, meine perseverierende Penetranz, mit der ich auf bestimmte Reizwörter reagiere?
Sie kennen mich lange genug, um nicht zu wissen, dass ich auf Märchenerzählungen allergisch reagiere.
Ich habe auf meine Argumentation viel zu lange recherchiert, um sie nicht auch zu benutzen.
Stimmt, bei dem Vergleich können sie noch zulegen. :-)
Respekt? ... Nee ... Bei allen Zwängen ... , dass ein linker MP (gerade auch) in der Aussenpolitik bzgl. Abrüstung und Friedenspolitik nichts geliefet hat! Wahrscheinlich waren die NATO-"Nuancen" so platziert, dass niemand davon gehört hat.
Tsipras ist für mich ein Politiker, der Verantwortung übernommen hat, wo andere nur quatschen.
Die Sacht mit Schäuble und Merkel ist anders. Es gab da einen ziemlichen Kampf.
Merkel wollte Athen - auch finanziell - eher entgegenkommen, aber Schäuble wollte die Grexit-Erpressung.
Varoufakis berichtet in einem seiner vielen Beiträge zum Thema, er sei schockiert gewesen, wie leichthin Schäuble sich anscheinend für die Auflösung der Eurozone ausgesprochen habe.
Varoufakis zu Schäuble:
„Glaubst Du wirklich, dass Du die dämonischen Kräfte kontrollieren kannst, die ein Grexit freisetzen würde? Niemand kann sie kontrollieren. Es wäre ein Irrtum von historischen Dimensionen.“
Quelle: Heiko Flottau via Nachdenkseiten.
So siehts nämlich aus. Varoufakis ändert allerdings immer mal wieder seine Meinung.
Wie es sich für einen kommentar gehört, kommt die pointe ganz am schluss. "Gegen den Rest der EU-Partnerstaaten kann man heutzutage in der Eurozone am Ende kaum mehr erfolgreich regieren."
Ja, du armer irrer Tsipras, deine rolle war es, der rest-EU zu zeigen, dass es keinen sinn macht, sich gegen Schäuble, Brüssel, die EZB und den IWF aufzulehnen. Das war deine rolle; du hast es gut gemacht - und tschüss...
Jetzt dürfen sich die alt-parteien wieder gesund stoßen; bis zum nächsten skandal; dann darf wieder ein neuer Tispras ran - und "das volx" ist eh immer mit von der partie!
Wenn der "Rechtsnachfolger des deutschen Reiches" bereit gewesen wäre, die von Nazen-Räuberbanden angerichteten Schäden auszugleichen hätten die Griechen die von ihren eigenen Räubern angerichteten Schäden auch gut reparieren können. Der Beginn der Syriza-Regierung wäre genau das richtige Zeitfenster dafür gewesen. Jetzt ist es wieder geschlossen.
Tsipras ist nicht gescheitert. Er hat gemacht, was möglich war.
Dinge, die mir schon von Anfang an sauer aufstießen, waren da eher in Berlin zu finden. Und bei denen, die sich da gerne als bürgerlich-intellektuelle Elite sehen würden, genau diejenigen, die von sich behaupten, wo sie wären wäre das echte Links. Etwa das Publikum diverser, angeblich kritischer Fernsehsendungen, in denen Griechenwitze stets Garant für schenkelklatschende Heiterkeit waren. Mit den Griechen kann mans ja machen. Das nährt in mir den Verdacht, daß man mit den anderen EU-Mitgliedern auch nicht anders verfährt und würde erklären, warum etwa die oberen Zehntausend in Großbritannien nicht gegen den Brexit mobilisiert haben. Lieber in Brtannien der Erste als in Brüssel der Zweite.
Vor ein paar Wochen hat das griechische Parlament beschlossen, auf der Forderung nach Rückzahlung der Zwangsanleihe (etc) aus dem Jahre 1943 zu bestehen. Was in Good Old Germany allgemeine Heiterkeit, zumindest Verwunderung auslöste. Doch kaum war der Wahlsieg der ND absehbar, schon wurde über die mögliche Rückzahlung von 290 Milliarden Euro gesprochen. Da war ja Varoufakis mit seinen 273 Milliarden nicht unrealistisch, nur eben von der falschen Partei. Oder soll das bloß wieder eine Exportförderung für noch ein paar deutsche U-Boote werden?
Pünktlich zur Meldung über angebliches Russengeld für Salvini brachte der ORF am Mittwoch in "Weltjournal+" einen Bericht über "Putins treue Follower". Ist etwa irgendwo Wahlkampf? Vielleicht gar als Antwort auf das Ibiza-Video, weil sich herausstellt, daß Strache zwar geredet, die anderen Parteien aber gemacht haben? Sogar der Freund der grünen wiener Immobilienentwickler kann über sein Vermögen nichtmehr verfügen, weil da schon das Gericht die Hand drauf hat, die Stabag spendet noch schnell für die Neos, der ÖVP-Parteispender Oligarch Benko, der sich die Kronen-Zeitung (den exakt 50%-Anteil) tatsächlich gekauft hat und nun das unliebsame Personal per Gerichtbeschluß auswechseln möchte, der ÖVP-Parteispender Ortner (Fa. Porr), der die Miete für den Terminal Tower in Linz vom Finanzamt kassiert (weshalb der ehemalige Finanzminister und Fast-OVP-Obmann KHG unter anderem vor Gericht steht) wurden wohl zu gefährlich. Also gräbt man den bösen Russen aus...
Ich werde allerdings den Verdacht nicht los, daß das nach den vielen Jahren im Euro und mit der Schröder-Merkel-Politik viel weniger an Rußland liegt, daß sich "rechte" und nationalistische Strömungen in der EU breit machen. Die einigen sich sich nicht "für Rußland" sondern für ihre Länder und gegen Deutschland.
Ist es schon aufgefallen, daß die britischen oberen Zehntausend nicht gegen den Brexit mobilisiert haben? Die sind im Herbst weg, Macron schwenkt langsam um, Visegrad und CEDC haben sich etabliert. Man arbeitet an de Gaulles Europa der Vaterländer, eben wegen Deutschland. Seit gestern gibts ein gemeinsames österreichisch-tschechisches Geschichtsbuch. Und auf Wiki das da: https://de.wikipedia.org/wiki/Zentraleuropäische_Verteidigungskooperation#/media/Datei:CEDC.svg
(Der Bildschirm verhält sich seltsam, deshalb kommt der Schluß jetzt extra)
Es ist das eigentliche Verdienst des Herrn Tsipras, den Umgang der deutschen Politik mit den Partnerländern sichtbar gemacht zu haben. Was muß sich also ändern, damit der Umgang mit Partnern besser wird? Eine Maßnahme wäre, daß Schulz (nicht Scholz) SPD-Vorsitzender und Kanzler wird. Wenn nicht, dann bleibt als "gelinderes Mittel" der Ausschluß Deutschlands aus dem Euro, Abwicklung des Zahlungsverkehrs über Dollar. Da geht der Kurs des Euro nach unten und eine etwaige D-Mark durch die Decke. Was die Exporte verteuert. Diese neue D-Mark könnte man dann durch Verschuldung wieder im Kurs drücken, z.B. Hartz-4 aufzuweichen, Brücken zu reparieren, ausreichend Bahnpersonal aufnehmen, kommunalen Wohnungsbau fördern (Gemeinnützigkeit!), Nachschub an Billigarbeitskräften unterbinden (Art 16a GG....), Wiedereinführung der Flächenbindung in der Viehhaltung usw.
Auf jeden Fall hat das deutsche Verhalten gegenüber Griechenland das spätere und gegenwärtige Verhalten der übrigen EU-Staaten beeinflußt. Die Zustimmung des IWF zu einem Schuldenschnitt (wie schon anfangs von Varoufakis gefordert und an Schäuble gescheitert) gibts noch nicht so lange. Ist höchstens ein Jahr her.
Ich werde auch den Verdacht nicht los, die "Rettung Griechenlands" durch Kredite war eher eine Rettung deutscher und französischer Banken. Banken hätte man nicht retten dürfen, einen Staat aber schon. Und dieser Staat rettete dann durch Rückzahlung die Banken. Dann sollte man aber wenigstens so entgegenkommend sein, die Zinsen niedrig anzusetzen und es nicht als Geschäft zu betrachten.
Das eigentliche Problem aber ist hier zu sehen: https://youtu.be/LHZoCeuHVLc
In diesem Film aus dem Jahre 1975, dem Beitrittsjahr Griechenlands gibts einiges zu sehen. Nicht nur den Text beacheten, denn manche Güter sieht man zwar (z.B. Baumwollballen, Kartoffel,...), sie werden aber nicht erwähnt. Und dann vergleichen, was heute aus Griechenland kommt. Da liegt das Problem des Südens: wir kaufen ihnen nichts ab!
Meine blauen Tafeltrauben beginnen sich zu färben, ergo muß es in Griechenland bereits reife Trauben geben. Doch auf der Plastikbox steht "Maghrabi Cairo, 13 Abdel Khalek St., Packed for: Eurogroup Deutschland Gmbh, gekauft bei einem REWE-Derivat. Wovon sollen die Griechen denn leben? Nach Ägypten auswandern?
Interessante Diskussion.
"Tsipras’ Regierung schaffte zwar in gewisser Weise eine Trendwende – die Arbeitslosigkeit sank, das Land ist aus der totalen Talsohle heraus." Aber "auf niedrigstem Niveau".
Der Verdienst eine "Trendwende" verursacht zu haben, gebührt ja dann eigentlich Schäuble, Dijsselbloem u. Kollegen, die die Politik vorgegeben haben. Robert Misik hat einen "Staatspreis" erhalten, angeblich ist er ein Freund von Christian Kern von der SPÖ. Scheint ein geschäftstüchtiger "progressiver" Geschäftemacher zu sein in der Branche "Hoffnung verkaufen, die Welt erklären". Anhand von Tsipras kann man sehen, was passiert, wenn die Partei Die Linke aus Versehen an die politische Macht kommen sollte. Gysi und Kipping sind ja begeistert von Tsipras. Die radikale Linke steht schon lange ohne Hose da. Alternativen jenseits des Marktes ? Keine Ahnung, gibt es nicht. Keynesianismus ? Zu stressig, notfalls machen Rechte keynesianische Politik. Der Rest, der bleibt, ist moralisches Gelaber in einer Einheitsfront mit dem Siemens Chef. Aber Wagenknecht, Lafontaine ? 20 Jahre Talkshow Revoluzzertum, gut das wir drüber geredet haben, karthatisch, die beiden haben ihr Geld gemacht.
Linke ? Bestenfalls waist of time. Schlimmstenfalls gefährlich für die Unterschichten. Dank Tsipras.
>>Anhand von Tsipras kann man sehen, was passiert, wenn die Partei Die Linke aus Versehen an die politische Macht kommen sollte.<<
Na ja, von einer relevanten Wählermenge werden sie dann gewählt, wenn eine nationale Karre krachend an die Wand gefahren ist. In der Erwartung, dass sie mit dem Schrott irgendwie weiter fahren sollen.
>>Ich werde auch den Verdacht nicht los, die "Rettung Griechenlands" durch Kredite war eher eine Rettung deutscher und französischer Banken.<<
Das sehe ich auch so. Es begann damit, dass Rating-Agenturen Griechenland als Schuldner herunterstuften. Die dann sehr viel höheren Zinsen hätte der griechische Staat nicht mehr aufgebracht. Dann wurden EU-seitig Bürgschaften aufgelegt, damit die Banken noch bedient werden konnten. Mit dem Effekt, dass die Banken fein raus sind und die griechischen die Schulden heute höher sind als je zuvor. Natürlich wäre ein Schuldenschnitt richtig gewesen, schliesslich hatten die Banken ja schon zuvor mit den Krediten ihren Reibach gemacht.
Volle Unterstützung für diese Präzisierung – bravo!
In der Debatte um Griechenland und die Rolle Tsipras muß man mE, und das habe ich so schon vor Jahren gesagt, etwas mehr Abstand einnehmen. Dann sieht man, daß ein bis auf weiteres unlösbares Dilemma vorliegt. Die griechische (oder europäische mit GR als Fokus) Krise war objektiv eine revolutionäre Situation, die nur affirmativ oder systemkritisch zu lösen war. Das Versagen von Tsipras bzw der Linken muß man wohl teilweise entschuldigen, weil die Nummer offensichtlich zu groß war. Leider hat mangelnde Einsicht dazu geführt, daß das Wirken dieser Linken der linken Sache schwer geschadet hat. Aber der Schuldspruch sollte moderat ausfallen, denn fehlende Vernunft schützt vor Strafe nicht, jedoch vor Schuldzuweisung.
Objektiv richtig wäre eine eigenständige nationale griechische Politik gewesen, die die innere Struktur des griechischen Kapitalismus angegangen hätte, ob das gegen die übermächtige EU-Umwelt realisierbar wäre, ist selbstverständlich äußerst fraglich. Aber die entscheidendere Voraussetzung wäre der Bevölkerungswille zu einer Reorganisation der Gesellschaft gewesen, die mit der Macht der Oberschicht bricht und sich auf eine harte Zeit der Genesung einstellt, in der man internationale Unterstützung von Bündnispartnern, beispielsweise von den europäischen Südländern, die in einer weit weniger schlimmen, aber ähnlichen Situation waren/sind, braucht. Also eine Solidarisierung im Inneren gegen die herrschende Klasse (und Vertrauen in internationale Solidarität). Vermutlich hat diese Einsicht gefehlt, denn dann hätte man zum Schluß kommen können, daß das griechische Volk dazu nicht in der Lage ist (man zeige nicht auf die Griechen, denn wo ist schon die Einsicht in die Notwendigkeit eines Systemwandels vorhanden?), aber man hätte sich nicht unterworfen, sondern eben das Dilemma offengelegt, gesagt, mit Syriza ist solche Politik nicht zu machen, wenn für eine fundamentale Veränderung keine AKTIVE Zustimmung im Volk vorhanden ist, sollen sich halt die Griechen von Europa aus regieren lassen, aber nicht von unfreiwilligen Alibistellvertretern von Brüssel.
„Aber die entscheidendere Voraussetzung wäre der Bevölkerungswille zu einer Reorganisation der Gesellschaft gewesen…“
w.endemann, es fällt mir immer schwerer, Sie noch weiter ernst zu nehmen. Sie verärgern mich zunehmend. Ich wiederhole jetzt zum hunderttausendsten Male: Alexis Tsipras war durch seine Wahl im Januar 2015 mit einem komfortablen Mandat gegen die Austeritätspolitik ausgestattet gewesen und wurde durch das Referendum am 5. Juli 2015 hierin erneut überzeugend bestätigt. – Von der B e v ö l k e r u n g!!!
Was muss eigentlich noch mehr passieren, bevor Sie einen Halunken einen Halunken nennen? Der Mann hat die Bevölkerung grandios beschissen und ja, man hätte sich gewünscht – ich hätte mir gewünscht – es hätte eine griechische Variante der Gelbwesten gegeben.
Sie missbrauchen Ihre brillanten intellektuellen Fähigkeiten für die Rechtfertigung von Halunken – und das nicht zum ersten Male.
Danke für diese Infos.
Es war das Sprichwort „Dummheit schützt vor Strafe nicht“ angesprochen, darin ist Strafe nicht im juristischen Sinn gemeint. So wie in „wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Oder juristisch: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, insbesondere bei konventionellen Regelverstößen. Es gibt die Trennung von Schuld und Strafe juristisch, aber hauptsächlich im Leben, das Leben ist nicht gerecht, es bestraft schon mal die Unschuldigsten. Ich sage ja nicht, daß mir das gefällt.
Daß der Kapitalismus sich größere Schuldenschnitte leisten kann oder zu leisten bereit ist, glaube ich nicht, das würde heißen, daß er sich humanisieren kann. Am humansten war der Kapitalismus, als er viel Profit erwirtschaftet hat, vom Osten unter Legitimationsdruck gesetzt wurde, und er ein bißchen Kaufkraft nach unten hat durchsickern lassen sowie die finanziellen Mittel für den Sozialstaat aufgestockt hat.
Ich spreche mich gegen die Dämonisierung von Personen aus, ich unterstelle zB Tsipras nicht, daß er ein gewissenloser Verbrecher ist, sondern nur ein schwacher Charakter, der auf einem hohen politischen Posten vielleicht fehl am Platz ist. Hier bin ich nur von der Tsipras etwas entlastenden Hypothese ausgegangen, daß er die Revolution nicht gewagt hat, weil er (vielleicht richtig) das demokratische Mandat nicht als Freibrief ausgelegt hat, wirklich harte Schritte in Griechenland durchzuführen, mit allen Konsequenzen (auch die Sabotage der EU), die das womöglich gehabt hätte. Also er hat nicht die reichen Griechen (damals war nach meiner Kenntnis der reichste Europäer ein Grieche) teilenteignet, die große Zahl der Beamtenschaft verringert und den entlassenen und allen Armen eine staatliche Grund- und hinreichende Krankenversicherung zugesprochen, notwendige Entprivatisierungen vorgenommen usw, also die griechische Gesellschaft in eine solidarischere von oben verwandelt – was vorausgesetzt hätte, daß das Volk mutig, kämpferisch hinter einer solchen radikalen Politik steht. Ihre Kritik können Sie nur aufrechterhalten, wenn Sie diesen Kampfeswillen beim Volk unterstellen. Das sehe ich nicht als gegeben an.
Das Volk hat nicht, wie die EU sagte, über seine Verhältnisse gelebt, aber es hat sich eine Oberschicht geleistet, die es sich nicht leisten konnte. Mich nervt die gedankenlose Argumentation zur Austerität. Austerität ist zu einem gewissen Grad richtig (die Ausnahme: ein vernünftiger Keynesianismus), aber Austerität muß nicht den Armen das Wenige abnehmen, sondern den Reichen das Viele.
w.endemann, jetzt wird’s ärgerlich:
Ich habe hinsichtlich Alexis Tsipras nicht von einem „gewissenlosen Verbrecher“ gesprochen und ich habe ihn auch nicht dämonisiert.
Ich habe vielmehr behauptet, dass er nach zweimaligem eindeutigem Auftrag durch die griechische Bevölkerung eben diese Bevölkerung grandios beschissen und stattdessen die demokratisch nicht legitimierte Gläubiger-Quadriga und die demokratisch ebenfalls nicht legitimierte Eurogruppe poussiert und deren ausbeuterischen Vorgaben bedient hat. In diesem Zusammenhang habe ich völlig angemessen von einer politischen Wendehalsmentalität des Mannes gesprochen.
Es spielt überhaupt keine Rolle, ob man in diesem Zusammenhang von Austeritätspolitik spricht oder von Beschiss der Bevölkerung. Wir beide wissen nämlich ganz genau, wo von wir sprechen. Egal welche Termini wir dafür verwenden: Es geht immer um die übergestülpte soziale Katastrophe der Bevölkerung, deren Rentnern z. B. von der Wendehals-Tsipras/Syriza die Bezüge um ca. 45 Prozent gekürzt wurden.
Und ja: !!!Alexis Tsipras verkörpert für mich den Prototyp eines dekadent/entarteten Politikers, den ich zu tiefst verachte!!!
Und was machen Sie: Listig mahnen Sie „in der Debatte um Griechenland und die Rolle Tsipras“ mehr Abstand (eine Schuldzuweisung an den Betrachter) ein und vermeiden den Tadel des Mannes über eine pseudowissenschaftliche Pirouette: „Objektiv richtig wäre eine eigenständige nationale griechische Politik gewesen…“ und ergehen sich eine Reihe von Wenn und Abers, „ob das gegen die übermächtige EU-Umwelt realisierbar wäre“, die längst beantwortet sind.
Eine solche Bemerkung zum Thema Objektivität kann man einem Mann wie Ihnen nicht durchgehen lassen: Zum Charakter eines jeden objektiven Tatbestandes gehört nämlich, dass er niemandem bekannt ist. Aber Sie benutzen ihn, um zu suggerieren, dass der Betrachter sich oder seine Auffassung von Sitte und Anstand bitte schön nicht selbst zum Maßstab für eine Tatsachenbeurteilung in diesem Tsipras-Fall macht.
So macht man sich zum Handlanger. So hilft man mit, Schurkenverhalten zu relativieren, so wird man zum Konservator des politischen Status quo.
Bitte entschuldigen Sie meine empörte Sprache. Aber ich habe nun langsam wirklich die Nase voll von der ewigen Intellektualisiererei, die letztlich nichts anderes erreicht, als die Welt zu pathologisieren.
Ich stimme Ihnen insofern zu, als rein ökonomisch der Kapitalismus sich einen Schuldenschnitt, sogar einen gewaltigen, leisten kann, er hat die größten Weltwirtschaftskrisen überlebt, und das waren faktisch riesige Schuldenschnitte, exorbitante Kapitalvernichtungen (und nicht zu vergessen die Kriege, die auch gewaltige resets waren). Und zuletzt die globalkapitalistische Finanzkrise. Aber davon habe ich nicht gesprochen, hier geht es um die spezifische Griechenlandkrise; und die Tatsache, daß Griechenland im europäischen Verbund eine marginale Rolle spielt, hat der EU nicht alle Mittel aus der Hand geschlagen, im Sinn des Erhalts des Wirtschaftssystems tätig zu werden. Es war die Gefahr eines Präzedenzfalls, ein früherer Artikel im Freitag von Lutz Herden hatte das thematisiert. Hinzu kommt, daß ein Schuldenschnitt zugunsten Griechenlands für gewichtigere EU-Partner (allen voran Italien) ein nachahmenswertes Beispiel abgegeben hätte, und das wäre von der EU nicht mehr zu stemmen gewesen. Daher konnte sich die harte deutsche Haltung durchsetzen und das Kalkül Tsipras/Syrizas, durch das Referendum wohl nicht den Schuldenschnitt, aber eine nachgiebigere, kooperativere Haltung Europas zu erreichen, lief ins Leere. Es wurde ein Exempel statuiert. Und nicht nur von Deutschland, sondern (bei manchen sicher zähneknirschend) von ganz Europa. Und darum Tsipras, wie Flegel es tut, Schurkenverhalten zu attestieren, ist unredlich oder ignorant.
Im Vorkommentar finden Sie schon eine kritische Bemerkung zu Ihrer Sicht. Den „gewissenlosen Verbrecher“ nehme ich zurück, da habe ich mich zu einer plakativen Äußerung verleiten lassen.
Ich bedauere sehr, daß Sie sich nicht aufs Argumentieren einlassen, denn so leicht, wie Sie es sich machen, ist es leider nicht. Persönlich halte ich nichts von moralischen Erwägungen, aber das will ich Ihnen gar nicht vorwerfen, trotz unseres unterschiedlichen Temperaments kann ich Ihren Kommentaren meistens zustimmen.
Ihre Kritik an Tsipras halte ich jedoch für unangemessen. Als die Sache auf der Kippe stand (Kapitulation oder Widerstand gegen die Troika), hat sich Tsipras für die Unterwerfung entschieden, und auch ich hätte es lieber gesehen, man hätte sich mit Varoufakis Europa entgegengestemmt. Es ist allerdings fraglich, ob es irgend eine Chance auf einen besseren Deal gegeben hätte. Aber wie kann man von Verrat in einer Zwangslage sprechen, wenn man massivst erpreßt wird? Der „Verrat“ von Tsipras war 1. ein allgemeines Wahlversprechen, das unter dem Druck von Außen nicht einzulösen war, 2. eine Abstimmung, die die Verhandlungsbereitschaft der Europäer erhöhen sollte, den gewünschten Effekt aber nicht erreicht hat. Hier sehe ich keinen Verrat von Tsipras, aber Schwäche. Und selbstverständlich wäre es mutiger, anerkennenswerter, wohl auch klüger gewesen, Tsipras hätte das Handtuch geworfen und gesagt, daß er unter diesen Bedingungen nicht bereit ist, Griechenland zu regieren, wenn die Politik in Brüssel gemacht wird, soll doch Brüssel auch die Regierung stellen.
„Aber wie kann man von Verrat in einer Zwangslage sprechen, wenn man massivst erpreßt wird?“
It takes bekanntlich two to tango!
Sehen Sie – geht doch: „und gesagt [hätte], daß er unter diesen Bedingungen nicht bereit ist, Griechenland zu regieren, wenn die Politik in Brüssel gemacht wird, soll doch Brüssel auch die Regierung stellen.“
Er aber hatte, obgleich schon lange keine eigene Mehrheit, vagabundierende Mehrheiten zusammengestellt und die Politik seiner ursprünglichen Gegner in der Troika-Version fortgesetzt und sich verpflichtet,
!!! "die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf zu konsultieren und sich mit ihnen abzustimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird." !!!
Nachtrag:
2014/2015 habe ich den Syriza-Wahlkampf mit viel Herzblut verfolgt und der Partei sowie Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis jeden Tag die Daumen gedrückt. Dann kam der Tsipras-Verrat, der auch von einer Armada von linken Klugschwätzern, u. a. von Gregor Gysi, rhetorisch umgedeutet und die diesbezüglichen Kritiker mit einem Maulkorb versehen wurden, u. a. auch ich persönlich.
Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht waren 2009 die Personen, die mich in die Partei DIE LINKE haben eintreten lassen.
Und schließlich war es die schneidige Tsipras-Unterstützung, waren es die Rationalisierungen des intellektuellen Narzissten Gregor Gysi, die mich wieder hat austreten lassen. Gregor Gysi bemüht eben auch gerne pathologische Interpretationen, und das habe ich in Verbindung mit dem Tsipras-Verrat erst lernen müssen.
Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble fasste die Diskussionen mit Varoufakis am Finanzminister-Konferenztisch in Brüssel in der US-TV-Doc "Inside Europe" später so zusammen: "Er erklärte uns lange, dass wir alle Idioten sind. Und vielleicht hatte er Recht."
Das Feuern von Varoufakis war Tsipras' größter Fehler. - "(Tsipras) wandelte sich zu einem Staatsmann, zu einem Sozialdemokraten ..." War das das Ziel?
DANKE!
Ihre Argumentation klingt so, als sei die griechische Finanzkrise erst nach Antritt der Syriza-Regierung eskaliert. Die Zwangslage & gerade die deutschen Daumenschrauben waren aber weit vorher bekannt & es gab genügend Zeit, Konzepte zum Ausweg zu entwickeln sowie Unterstützung für diese zu gewinnen. Es stellte sich heraus, dass die Syriza-Protagonisten, allen voran Tsipras & Varoufakis absolut unvorbereitet in die Regierungsverantwortung eintraten, dann auch noch prätentiös auftraten um sich anschließend devot zu fügen. Die Begrifflichkeit dieses Verhalten | Auftreten zu bewerten_ ob Verrat, Halunkentum oder Verbrechen_ hat lediglich sekundäre Bedeutung. Primär sind die Griechen sowie alle Symphatisanten der Syriza enttäuscht & verärgert darüber, dass auch hier keine vertrauenswürdigen Politiker an der Spitze zu finden sind.
Ich habe 2015 die Abwahl der durch & durch korrupten, konservativen & sozialdemokratischen Parteien begrüßt. Nun zeigte sich, dass Korruption & Vetternwirtschaft eine gewisse Beliebtheit ebenfalls bei den Politikern der Syriza genießt. Kürzlich erzählte mir eine Griechin, dass sie nicht mehr wählen wird, da sich nichts mehr ändert. Sie erwähnte auch, dass aktuell ein enormer Ausverkauf von griechischen Immobilien & Grundstücken an ausländische Investoren stattfindet. Ab 250.000 € Kaufwert gibt es eine griechische Aufenthaltserlaubnis automatisch obendrauf _ ein Sahnehäubschen made by Syriza. Das ist nur ein Beispiel für viele Maßnahmen, die die Tsipras-Regierung ermöglichte wozu weder die ND noch Pasok bereit waren.
Abschließend noch das Thema NATO: Das Syriza-Programm beinhaltet das Bestreben aus der NATO auszutreten & die ausländischen Basen zu schließen. Nun hat gerade diese Regierung ermöglicht, dass das Nachbarland Mazedonien in dieses Kriegsbündnis aufgenommen werden kann, was auch noch als riesiger ´Friedensakt´ abgefeiert wurde, als wenn sich die beiden Länder im Krieg befunden hätten. Die Frage ist durchaus legitim, ob s sich hierbei um mangelnde Voraussicht der daraus resultierenden Konflikte handelt, Erpressung oder schlichtweg Korruption. Es ist offensichtlich, dass auch hier ein Deal stattgefunden hat, der gegen das eigene Parteiprogramm verstößt. Doch wer profitiert? Die griechischen & mazedonischen Bürger sicherlich nicht.
Insgesamt hat die Syriza unter Tsipras einen historischen Beitrag zur Zerstörung der Glaubwürdigkeit der griechischen Linke geleistet & leider darüber hinaus auch an die europäische Linke an sich. Es gibt kaum eine Diskussion, in der nicht der Verweis über das Unvermögen & Umfallen der Linken am Beispiel Griechenland platziert wird.
>>"(Tsipras) wandelte sich zu einem Staatsmann, zu einem Sozialdemokraten ..." War das das Ziel?<<
Das Wort Sozialdemokrat ist heutzutage als Gummibegriff etabliert. Das Ziel war vielmehr aus einem Laien & Politikdarsteller einen sog. ´Realpolitiker´ zu formen, der als Repräsentant eines verarmten Landes easy to handle ist & alle Vorschläge | Maßnahmen der Interessenten an diesem Land absegnet & umsetzt. Sicherlich wäre Syriza mit kompetenten Politikern niemals an die Regierungsmacht gelangt, das hätten o.g. zu verhindern gewusst.
Wirklich linke Menschen gehören nicht in eine Regierung, so wie ein Betriebsrat auch nicht in die Firmenleitung gehört.
Nein, da haben Sie einen falschen Eindruck. Die griechischen Verhältnisse sind das Ergebnis einer europäischen und griechischen Politik, die von deutlich ungleichen Voraussetzungen der Länder ausging und statt einer Harmonisierung der europäischen Lebensverhältnisse, die verbal angestrebt wurde, den kapitalistischen Kräften das Steuern überließ und systematisch die Ungleichheiten vergrößerte. Entgegen der Ideologie, daß die kapitalistische Marktwirtschaft am Ende allen zugute kommt, hat sich die Logik durchgesetzt, daß der Kapitalismus immer weiter spaltet. Die von Europa und der Troika angebotene Lösung war die Fortsetzung der Logik, weil sie doch zu einem guten Ende führe. Seit Beginn des Kapitalismus gab es in der Tat genügend Zeit, diese Logik zu durchbrechen, allerdings gab es hauptsächlich nach dem Untergang der potemkinschen Alternative immer weniger linke Parteien, die die Logik infrage stellten und auch gewählt wurden.
Ja, Tsipras und Syriza waren nicht vorbereitet auf die kleine offene Tür ins Freie, wie denn auch. Sie haben, wie am ehesten zu erwarten war, versagt. Enttäuschend – ja, aber den Stab über diese getriebenen Gestalter brechen? Nein, auch die Griechen hatten und haben die „demokratische“ Regierung, die sie verdienen. Wenn das Volk besser wäre als seine Repräsentanten, hätte es Syriza abgewählt und nicht eine Partei gewählt, die für das Funktionieren der Kapitallogik in der Vergangenheit sehr viel verantwortlicher ist und deren Fortsetzung sehr viel konsequenter betreibt.
"Wenn das Volk besser wäre als seine Repräsentanten, hätte es Syriza abgewählt und nicht eine Partei gewählt, die für das Funktionieren der Kapitallogik in der Vergangenheit sehr viel verantwortlicher ist und deren Fortsetzung sehr viel konsequenter betreibt."
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Sagte ich doch: Man interpretiert und rationalisiert so lange, bis es passt!!! Und Sie sind darin große Klasse.
W.endemann, die griechische Bevölkerung hat über die Wahl im Januar 2015 und das darauffolgende Referendum getan, was es im Rahmen von Legalität tun konnte. Wenn sie im Rahmen von Legitimität Gelbwesten-Praktiken angewendet hätte, hätte Tsipras auf sie geschossen. Meinen sie, ausgerechnet Herr Tsipras ist da anders als Emmanuel Macron? Davon können Sie nicht ernsthaft ausgehen.
Mit Verlaub: aber ihre Penetranz bezüglich der in-Schuld-Nahme der griechischen Bürgerinnen und Bürger für diesen Betrug an ihnen erlebe ich als trotzige Borniertheit. "Wenn das Volk besser wäre als seine Repräsentanten, hätte es Syriza abgewählt..." Das Volk hatte Tsipras/Syriza zweimal positiv einen Auftrag erteilt.
Sie tun es wie immer: Entschuldigen des Übeltäters. Sie begünstigen das Unrecht, das der Bevölkerung durch Wendehals-Tsipras/Syriza zugefügt wurde.
>>Ja, Tsipras und Syriza waren nicht vorbereitet auf die kleine offene Tür ins Freie, wie denn auch. Sie haben, wie am ehesten zu erwarten war, versagt. <<
Wenn Sie damit den Systemwechsel meinen, gebe ich Ihnen Recht. Den kann so ein kleines Land nicht eigenmächtig bewerkstelligen. Doch Kontrapunkte & Gegenkonzepte zu den Spardiktaten, samt deren Forderungen zu weiteren Privatisierungen, hätten durchaus im Vorfeld ausgearbeitet werden können. Es gibt genügend linke Ökonomen & ökonomisch versierte linke Politiker in Europa mit denen ein Austausch | Kooperation dazu möglich gewesen wäre.
>>Enttäuschend – ja, aber den Stab über diese getriebenen Gestalter brechen? Nein, auch die Griechen hatten und haben die „demokratische“ Regierung, die sie verdienen. Wenn das Volk besser wäre als seine Repräsentanten, hätte es Syriza abgewählt und nicht eine Partei gewählt, die für das Funktionieren der Kapitallogik in der Vergangenheit sehr viel verantwortlicher ist und deren Fortsetzung sehr viel konsequenter betreibt.<<
Nun brechen Sie aber lieber den Stab über die ´gutgläubigen´ Griechen als über die Schwätzer, die denen Hoffnungen machten. Dass die ND wieder gewonnen hat, liegt an der Tatsache, dass die Syriza innen- wie außenpolitisch noch viel mehr Zugeständnisse an IWF | Troika | NATO machte als die vorangegangenen Regierungen. Sie übertraf sie regelrecht, was absolut unverständlich erscheint & auch ist.
>>Wenn sie im Rahmen von Legitimität Gelbwesten-Praktiken angewendet hätte, hätte Tsipras auf sie geschossen. <<
Nun mal halblang Flegel. Ich verstehe Ihren Ärger über Tsipras doch der legitimiert nicht, ihm jegliche Scheußlichkeiten zu unterstellen. Darüber hinaus gab es diverse Proteste in Griechenland, bei denen, so viel ich weiß, weder geschossen noch jemand erschossen wurde. Allerdings waren die Proteste nicht so lang anhaltend wie in Frankreich. Leider, denn ggf. hätte daraus eine neue politische Formation mit neuen Bündnissen entstehen können. Die jetzige Parteien-Konstellation sieht so aus, dass Syriza die Pasok ersetzt hat & ansonsten same procedure as usual.
„Ich verstehe Ihren Ärger über Tsipras doch der legitimiert nicht, ihm jegliche Scheußlichkeiten zu unterstellen.“
Mymind, hört sich gut an, was Sie da schreiben – vor allem edel!
Alexis Tsipras gehört zur Spezies der Politiker, zu den politischen Wendehälsen zudem, und die ist es, die die Welt regelmäßig mit jeglichen Scheußlichkeiten überzieht, vor meiner Geburt 1942 bereis und nachher ebenfalls.
Für diese Scheußlichkeiten begehen sie auch Völkerrechtsbruch.
Und ja, die Bevölkerung ist es selbst schuld. Sie stellt die Leute nicht einmal vor ein Gericht.
Entschuldigung - aber auf ihren Einwand kann ich nur polemisch reagieren.
Den ´Wendehals´ unterschreibe ich sofort! Dass ich diese Charaktereigenschaft überhaupt nicht schätze, weiß jeder, der mich kennt.
Ich meine dennoch, dass eine generelle Sippenhaft mit den Kriegshetzern & Verursachern schlimmster Menschenrechtsverletzungen uvm. nicht angemessen ist. Wie wissen nicht, wie weit Tsipras in diesem Club gehen würde.
I.Ü. halte ich es für falsch, den ganzen Unmut auf eine Person zu konzentrieren. Hinter Tsipras stehen eine Menge Syriza-Politiker in Regierungsämtern. Anstatt es sich in den Regierungssesseln bequem zu machen, hätten sie mehrheitlich hinter ihrem Parteiprogramm stehen müssen & gegen das Einknicken Tsipras mobilisieren können. Diejenigen die das 2015 taten, sind dann gleich aus der Partei ausgetreten, was wiederum auch kein kluger Schachzug war.
Es geht mir nicht um Beistand für Tsipras. Mit fundierter Kritik andere zu überzeugen, reichen die Beispiele jener unrühmlichen Taten, die Tsipras zu verantworten hat & ihm vorzuwerfen sind. Mit Überzeichnungen erreichen Sie das Gegenteil.
„Hinter Tsipras stehen eine Menge Syriza-Politiker in Regierungsämtern.“
Wenn Sie meine Texte gelesen hätten, wüssten Sie, dass ich Alexis Tsipras systemisch verstehe, wie ich die ganze Welt systemisch verstehe. Um das zu verdeutlichen, habe ich z. B. auch von Tsipras-Syriza gesprochen.
„Mit fundierter Kritik andere zu überzeugen, reichen die Beispiele jener unrühmlichen Taten, die Tsipras zu verantworten hat & ihm vorzuwerfen sind.“
Bitte lassen sie Ihre Belehrungen, ich habe ordentliche Arbeit abgeliefert!
Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung, die auch meine Gelbwesten-Argumentation betrifft.
>> Tsipras entließ seinen Finanzminister Varoufakis, der eine Parallelwährung vorbereitet hat, und unterzeichnete die Kapitulation..<<
Am Anfang sagte Varoufakis, dass er selbst zurückgetreten sei, weil er mit dem Umfallen Tsipras nicht einverstanden war. Später sagte er das, was Sie hier wiederholen. Ich war nicht dabei & weiß nicht welche Version stimmt. Varoufakis & seinen ´phänomenalen´ Finanzkonzepten traue ich inzwischen genauso wenig zu wie Tsipras.
Nehmen wir mal an, dass Varoufakis das Konzept der Parallelwährung (von dem man erst sehr viel später hörte & las) tatsächlich überzeugend vorbereitet hat, dann muss ihm doch klar gewesen sein, dass für dieses Eintreten gegen deutsche Interessen im Vorfeld eine nicht zu vernachlässigende Unterstützung in der EU gesucht & gefunden werden muss. Stattdessen zeichnete sich alles durch reinen Dilettantismus aus: Angefangen von der mangelhaften Vorbereitung bis hin zum Agieren & Auftreten in der Regierungsposition. Wer das nicht besser kann, soll sich einen anderen Beruf suchen.
Danke für die Bemühung zur Aufklärung _ ist mir allerdings alles bekannt. Ja, es gab immer wieder Proteste, seit Jahren & auch vor der Syriza-Regierung. Viele Syriza-Mitglieder, die tw. später Regierungsämter bekleideten, machten bei den Protesten mit. Was ich allerdings meine, ist eine Protestbewegung, die regelmäßig & kontinuierlich in Erscheinung tritt, wie z.B. die Gelben Westen jedes WE in F., der u.a. deswegen auch mit Nervosität & Aggression begegnet wird.
Die Mimose steht Ihnen nicht ;-)...
Belehrungen gerade Ihnen gegenüber liegen mir fern. Meine Meinung werde ich dennoch äußern wo & wann es mir gefällt.
Was genau bezwecken Sie mit Ihrer Antwort?
Lustig, dass Sie das schreiben...
@ bella1956 : »Tsipras entließ seinen Finanzminister Varoufakis, der eine Parallelwährung vorbereitet hat, und unterzeichnete die Kapitulation.«
@ mymind: »Nehmen wir mal an, dass Varoufakis das Konzept der Parallelwährung (von dem man erst sehr viel später hörte & las) tatsächlich überzeugend vorbereitet hat…«
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SPIEGEL ONLINE | Donnerstag, 30.07.2015 16:00 Uhr
»In der heißesten Phase des Schuldenstreits mit den Gläubigern entwickelten Yanis Varoufakis und einige enge Berater einen detaillierten Plan B. Für den Fall eines Bruchs mit den Geldgebern wollten sie in Griechenland eine Parallelwährung einführen…
Seine Enthüllungen haben Varoufakis eine Reihe von Strafanzeigen eingebracht…
Drei der Strafanzeigen liegen bereits dem Parlament vor, in den kommenden Tagen werden sie voraussichtlich dort im Plenum behandelt. Droht Varoufakis, Griechenlands beliebtestem Politiker und jüngst in Ungnade gefallenem Liebling der globalen Medien, nun tatsächlich der Knast?
Wie die Dinge stehen, ist selbst ein Prozess gegen Varoufakis alles andere als wahrscheinlich…
Regierungschef Alexis Tsipras hat bereits mehrfach öffentlich bestätigt, Varoufakis mit der Vorbereitung für einen Plan B beauftragt zu haben. Am Freitag wird Tsipras voraussichtlich im Parlament konkrete Fragen der Oppositionspartei Pasok zu diesem Auftrag beantworten. Er würde ziemlich dumm dastehen, sollte er beteuern, von Varoufakis' Plan keinen blassen Schimmer gehabt zu haben.«
Die Schäuble-Doktrin: Gegenüber Athen exerzierte der Minister ein Konzept, das er schon seit 1994 verfolgt
Also laut o.a. Spiegel-Bericht & den darin enthaltenden Links anderer Berichte soll es bei dem Plan B um Folgendes gehandelt haben: Beschlagnahmung der Bargeldreserven der griechischen Zentralbank | Hacken der Steuerdaten etc. | Installierung eines parallelen Währungssystem | Einführung der Drachme per Knopfdruck.
Mal angenommen, dass der Inhalt der Berichte zutrifft (bei SPON ist das nicht so sicher, der Prozess gegen Varoufakis wurde offensichtlich ausgesetzt|gestoppt) & diese Maßnahmen tatsächlich umgesetzt worden seien, würde mich Ihre Einschätzung interessieren: Wird auf diesem Weg eine Parallelwährung vorbereitet? Wären o.g. Maßnahmen erfolgsversprechend, um Griechenland aus der Verschuldungsspirale zu ziehen?
„die griechische Bevölkerung hat über die Wahl im Januar 2015 und das darauffolgende Referendum getan, was es im Rahmen von Legalität tun konnte.“
Ja, und das war gut so und hat mich wie die meisten hier sehr erfreut.
„hätte Tsipras auf sie geschossen. Meinen sie, ausgerechnet Herr Tsipras ist da anders als Emmanuel Macron? Davon können Sie nicht ernsthaft ausgehen.“
Wenn ich das ernst nähme, müßte ich das ein vorzivilisiertes Rechtsverständnis nennen, denn Sie beschuldigen Tsipras eines Vergehens, das er Ihrer Meinung nach unter bestimmten Umständen begangen hätte. Ich lag doch nicht ganz falsch, daß für Sie Tsipras ein ausgemachter Verbrecher ist, dem alles zuzutrauen ist. Aber ich gestehe Ihnen zu, daß Sie emotional über das Ziel hinausschießen (wie auch mymind bemerkt). Um es nochmals zu sagen: Ich kann mir vorstellen und halte es für am wahrscheinlichsten, daß Tsipras sich gezwungen sah, sich zu unterwerfen, ich glaube nicht, daß er das aus innerer Überzeugung gemacht hat – und da kann ich mich irren. Unter meiner Voraussetzung kann ich nicht Ihrem harten Urteil zustimmen. Aber Sie haben es scheinbar nicht nötig, mit Fakten zu argumentieren, Ihr moralisches Urteil legt sich scharfrichterlich über alles, was hier gesagt wird. Wenn für Sie Verstehen eines Handelns Entschuldigen des Handelns bedeutet, haben Sie ein sehr schlichtes Weltbild. Ich habe mit keiner Bemerkung das Handeln von Tsipras richtig genannt oder als im wohlverstandenen Interesse der Bevölkerung liegend.
Nein, ich breche nicht den Stab über der griechischen Bevölkerung. Ich habe Hoffnungen in die Bevölkerungen Südeuropas gesetzt, in Syriza und Podemos, sie haben sich bislang nicht erfüllt, aber was in Südeuropa (und in Frankreich) passiert ist, ist immer noch besser als das, was wir im Osten, Westen (GB) und im Zentrum sehen (Ö, aber auch vergleichsweise harmlos in D), ganz zu schweigen von den USA. Es gilt aber überall in der westlichen Demokratie, daß die Kälber so dumm sind, ihre Metzger selber zu wählen, und das haben die Griechen auch wieder einmal geschafft. Das rechtfertigt nicht die den Interessen der Herrschenden sich andienernden, vorteilnehmend für lobbyistische Einflüsterungen offenen Volksvertreter, aber es entlastet auch nicht die Bürger, die es sich zu einfach machen, wenn es ihnen reicht, alle 4 Jahre Stimme und Verantwortung abzugeben. Wenn große politische Probleme auftauchen, ist es eine infantile und illusionäre Haltung, den Messias in Gestalt einer Partei oder einer idealisierten Person zu erhoffen und zu wählen, der es dann richten soll. Politik muß delegiert werden, aber das Richtige kann nicht komplett in die Hände von Delegierten gelegt werden, die Verantwortung endet nicht temporär mit der Wahl.
Meinen Sie wirklich, daß die ND die Allgemeininteressen des Volkes besser vertritt als Syriza? Warum haben die Griechen nicht wenigstens Varoufakis gewählt? Gibt es nicht genug Griechen, die eine korruptionsfreie linke Partei auf die Beine stellen können? - Das sind Fragen, die ich ähnlich in allen westlichen Ländern stellen könnte.
Ich bin nicht einmal mit dem deutschen Volk unzufrieden, ich nehme es, wie es ist, wie käme ich dazu, einem anderen Volk vorzuschreiben, wie es sein Zusammenleben zu organisieren hat. Ich gestatte mir aber, ein Urteil zu bilden, was eine gute Gesellschaft, eine bessere als die gegebene wäre, und ich möchte als Linker dazu beitragen, eine solche zu erreichen, so gut ich kann. Daher hoffe ich, daß möglichst viele, die Mehrheit, das Volk, diesen Weg geht. Aber wir, ich sage hier deutlich ein wir, das mich einschließt, haben es nicht anders verdient, wenn wir ua (nicht ich persönlich) „falsch“ wählen.
Was ich für richtig halte, habe ich gesagt. Und dazu gibt es unzählige Erkenntnisse. Wenn es unserer Gesellschaft, oder auch nur dem größten Teil unserer Gesellschaft ökonomisch nicht gut geht, dann müssen die Reichen abgeben, und wenn das, wie ich meine und wie es schon hinreichend bewiesen ist, nicht unter den kapitalistischen Produktionsbedingungen möglich ist, muß der Kapitalismus abgeschafft werden. Das aber setzt eine solidarische Gesellschaft voraus, die den Egoismus von Leben aufkosten des Wohls der Mehrheit unterbindet. Dazu muß sich die Gesellschaft aufraffen.
Ich möchte mich an Ihren Spekulationen nicht beteiligen: Zum einen, weil wir in der Zwischenzeit das Jahr 2019 schreiben und derartige Spekulationen heute müßig sind. Zum anderen, weil ich hier nicht den Finanzexperten mimen möchte, der ich nicht bin.
Aber als einfacher Bürger mit gesundem Menschenverstand, konnte selbst ich gut nachvollziehen, dass Griechenland über diesen Weg den Klauen von Herrn Schäuble und Herrn Draghi entrissen werden sollte, die Griechenland in feinem Zusammenspiel die Folterwerkzeuge vorgeführt hatten: Während der eine mit seinen Grexit-Gerede der griechischen Regierung einen Bank Run an den Hals geredet hatte, drehte der andere den Geldhahn zu. Die griechische Regierung sah sich daraufhin zu Kapitalverkehrskontrollen gezwungen. Eine Parallelwährung sollte u. a. diese Folterwerkzeuge unterlaufen.
Die Verschuldungsspirale interessierte mich damals so wenig wie heute: Griechenland wird die Schulden niemals zurückzahlen können – und das ist, was zählt.
…
Klug wäre gewesen, die SYRIZA-Regierung ihrerseits hätte für Griechenlands Verbleiben in der EU-Zone von vorneherein Bedingungen formuliert, die Austeritätspolitik "zu vermenschlichen" und sich die Möglichkeit des Ausscheidens nicht als Niederlage, sondern als Ergebnis ihres engagierten Einsatzes für die Bevölkerung und gegen deren „humanitären Katastrophe“ offengehalten. Großbritannien hat über all die Jahre immer wieder Extrawürste gebraten bekommen. Stattdessen hat Alexis Tsipras einen Grexit dilettantisch von vorneherein immer und immer wieder regelrecht aufdringlich ausgeschlossen und sich damit erpressbar gemacht. Herr Schäuble hat die Steilvorlage auch skrupellos genutzt.
Sie hätten den sogenannten Grexit zu ihrem Trumpf machen und die devoten Vasallen des Großkapitals an deren eigenen Argumenten ersticken lassen sollen. Wenn das Horrorszenario wirklich ein Horrorszenario ist, dann werden Merkel/Schäuble & Co es ebenso fürchten, wie sie uns damit verängstigen wollten. – So aber haben die neoliberalen Despoten der EU, der Troika und des IWF die SYRIZA-Regierung damit erstickt und mit ihr werden es die griechischen Bürgerinnen und Bürger. – Welch geniale Leistung!
»…Ihr moralisches Urteil legt sich scharfrichterlich über alles, was hier gesagt wird.«
In dieser Hinsicht unterscheide ich mich also offensichtlich nicht von Ihnen: Sie lassen doch auch nur Ihre Überzeugungen gelten, verwenden hierfür gar die Didaktik langer Seminare. Oder irre ich mich da?
Und was meine Haltung zum Politiker Tsipras angeht: Zum Handwerkzeug der Spezies Politiker gehört nun mal die Selbstverständlichkeit des Regelverstoß, der selbst bereits viele Menschen zu Todesopfern gemacht hat. – Das wissen wir beide schon sehr lange!
Ich erlaube mir, an Sie zurückzugeben, dass ich Ihre Reaktion zu meiner Tsipras-Äußerung für aufgeblasen halte.