All die schönen Worte

Inauguration Joe Biden hat als neuer US-Präsident zur Amtseinführung weniger eine Agenda präsentiert als auf Botschaften von mächtiger Symbolik Wert gelegt
Die Biden-Rede hat mit viel Pathos das Einzigartige der amerikanischen Nation beschworen
Die Biden-Rede hat mit viel Pathos das Einzigartige der amerikanischen Nation beschworen

Foto: Patrick Semansky/Pool/AFP/Getty Images

Joe Bidens Ansprache war Balsam für die Millionen Menschen, die vier Jahre lang tagtäglich entsetzt waren über den Realityshow-Mann im Weißen Haus. Dieser hatte bei seiner Amtseinführung über einen „neuen Nationalstolz“ gesprochen, über „Amerika zuerst“ und das „amerikanische Massaker“, das sich in den USA zugetragen habe.

Joe Biden nun rührte zu Tränen der Erleichterung. Er zog Register, die Politiker gern ziehen, und sprach von der Einzigartigkeit einer zur Führung bestimmten Nation. Und von der „großen Nation“, die mit Zuversicht und Einigkeit alles bewältigen könne. Die Rede war jedoch mehr als Pathos vor einem Fahnenmeer am Kapitol, bewaffneten Nationalgardisten und Gästen mit Gesichtsmaske: Biden ging es um Demokratie. Er hat zur Einigkeit aufgerufen und unzweideutig die schweren Krisen angesprochen, den Klimawandel, Rassismus, Covid-19.

400.000 Tote

Er sprach vom „Aufschrei des Planeten“, der um sein Überleben ringe, vom Aufstieg des Extremismus, von weißem Herrschaftsdenken und einheimischem Terrorismus, „die wir konfrontieren müssen und besiegen werden“. Und er verurteilte eine Kultur, in der Fakten manipuliert und erfunden werden. Politik müsse kein „tobendes Feuer“ sein. Und: Die politischen Kräfte, die „uns teilen, sind nicht neu“. Die US-Geschichte sei eine des Ideals von Gleichberechtigung einerseits und des Rassismus und der Angstmache andererseits.

Das kann man nicht überbewerten: Biden hat bei seinem Auftritt und bereits am Vorabend bei einer Gedenkveranstaltung das Leid anerkannt, das die Virus-Pandemie gebracht hat. Mehr als 400.000 Amerikaner sind tot. Für die vorherige Regierung haben diese Toten nicht existiert, es gab keine Trauer, keine Solidarität. Das schuf Raum für wilde Verschwörungstheorien von der Ungefährlichkeit des Virus und der Diktatur des Staates bis hin zu Trumps fixer Idee, dass ihm die Wahl am 3. November gestohlen worden sei.

Man hörte keine Rede mit Programmpunkten, sondern eine Präsentation der mächtigen Symbolik. Der weiße Country und Western-Star Garth Brooks sang die Gospelhymne Amazing Grace, Jennifer Lopez Woody Guthries This Land is your Land und Lady Gaga die Nationalhymne. Schließlich sprach die vielen Zuschauern unbekannte 22-jährige Amanda Gorman ihr nach dem rechtsextremen Sturm auf das Kapitol vollendetes Gedicht The Hill we climb (Der Hügel, auf den wir steigen). Es ist ein Aufruf zum Handeln: Wir werden nicht umkehren.

Ob das funktionieren wird mit der Einheit? Von Seiten der Republikaner gibt es noch wenige versöhnende Stimmen. Versöhnung durch falsche Kompromisse kann sich Biden nicht leisten. Stunden nach der Vereidigung hat er eine Serie von Entscheidungspapieren unterzeichnet. Den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko gestoppt und das Einreiseverbot für Menschen aus bestimmten muslimischen Ländern aufgehoben. Die USA sind dem Klimaabkommen von Paris wieder beigetreten. Das Weiße Haus hat den Weiterbau der Keystone XL-Ölpipeline unterbunden. Ein massives Covid-19-Hilfspaket ist entworfen, ebenso eine umfassende Reform der Einwanderungspolitik.

Teilhabe unerlässlich

Die USA würden an einem „historischen Punkt“ von Krise und Herausforderung stehen, sagte der neue Präsident. Für ein besseres Zusammenleben brauche die zerrissenen Nation „ein bisschen Toleranz und Demut“. Das richtet sich gegen den Zeitgeist der vergangenen vier Jahre. Bei all den schönen Worten: US-Amerikaner werden nur mitgehen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie wirklich teilhaben an Politik und Wirtschaft.

Die Leute, die Bidens Wahlsieg nicht anerkennen wollen, würden dann an Einfluss verlieren wie auch ihr Anstifter, der nun in Florida residiert. Erste Schritte sind gemacht.

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