Der Rezensent hat in der Vergangenheit Douglas Coupland verteidigt wo er konnte. Schon 1992, als der junge Kanadier mit Generation X ein verträumtes Aussteigergarn spann und gnadenlos von den Trendschlampen des Feuilletons und Horxschen Trendrittern gegen die Intentionen seines Buches verramscht und zum Kultautor hochgeblasen wurde. Dann, 1994, als auch noch von seinem deutschen Verlag dem Zweitling in hemmungsloser Vermarktungsgier das Etikett Generation Y aufgepappt und die ganze Medienschlampampe erneut angerührt wurde. Vergeblich hatte sich Coupland gegen eine Marketing-Strategie gewehrt, die ihn zum Protagonisten eines "More Faster"-Lebensgefühls aufschminkte, wo er doch mit bescheidenen literarischen Mitteln, schönen Geschichten und viel unverdorbener Freundlichke
Alle auf den Ausgangspunkt
MC PHILOSOPHIE Douglas Coupland rettet vorerst die Welt
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dorbener Freundlichkeit nichts anderes vorhatte, als die jungen Leute am Ärmel zu zupfen, entspannt anzufragen, ob weniger nicht vielleicht mehr wäre, ob es nicht sein könnte, dass sie das wesentliche versäumen, aus Angst, irgend etwas zu versäumen, im Rattenrennen um Geld, Erfolg, Schönheit, den besten Fick. Insistierend, dass es ein paar soziale Werte gibt, auf die man eines Tages vielleicht setzen will und aufpassen muss, dass man dann nicht gänzlich verludert ist und sie noch in sich und den anderen finden kann. Und dass es im Irrenhaus des losgelassenen Kapitalismus überlebenswichtig ist, sich sowas wie Identität zu erarbeiten und zu bewahren. Kleine Nachdenklichkeiten für nordamerikanische Consumer, aber nicht nur für die.Dann hat er 1995 mit Life after God dem Treiben seiner Vermarkter ein Ende gemacht, sich den Trendspekulanten und ihrem Hecheln nach der nächsten verkaufsfördernden Generationsblödheit entwunden. Er nimmt den lieben Gott zu Hilfe, damit die Schwachköpfe auf der Jagd nach der neuesten Jugend, den noch geileren Alten, den zugenähten Frauen, den Männern mit Mösen, den Kids mit dem Gen des Bösen endlich ablassen von ihm. Und das gelingt. Ziemlich harsch stürzen sich nun die Aufschäumer von gestern auf den armen Coupland. Bezichtigen ihn des Verrats. Und in einer Berliner Zeitung höhnt eine verratene Rezensentin, des Lesens unkundig: "Life after God sticht sogar den Wachturm aus". Der Rezensent hat zwar wegen dem Gott da mit den Zähnen geknirscht - wenngleich Couplands Gott alles andere ist als der institutionelle Primitivling unserer Kindertage - aber wahrheitsgemäß daran festgehalten, dass Coupland nichts anderes tat, denn zuvor, nämlich kleine Geschichten erzählen, diesmal seiner Brut, der er sich während einer langen Autofahrt durch New Columbia versucht verständlich zu machen, vor deren Zukunft ihm graut: Ein Ringen um verlorene Nähe, verschüttete Gefühle, Wiederherstellung von Identität.Dann verlor der Rezensent Coupland etwas aus dem Auge, griff eines Tages zu Mikrosklaven, gewann den Eindruck, dass Coupland stilistisch besser geworden ist und war ansonsten beruhigt: Auch hier, im hochflexiblen, ja fast schon flüssigen Leben der Silikondeppen, Programmschreiber und -erfinder gelingt es ihm, eine Gruppe junger Talente zusammenzubacken, die das Gefühl nicht loswerden, dass lange Reihen von Zahlen zu schreiben, dazwischen Schlitzaugen oder Schiffchen zu versenken, sich mit Drogen am Level zu halten und auf den Betriebsfesten die Zufallsbekanntschaften durchzubumsen, nicht alles gewesen sein kann. Und die zusammen beginnen, sich ein inneres wie äußeres Zuhause abzuringen und zu möblieren.Bis hierher hatte Coupland immer nur eine Handvoll Seelen gerettet. In seinem neuen Buch, Girlfriend in a Coma möchte er gleich die ganze Welt retten. Und wir aufgeklärten Untoten der heißen und kalten Kriege wissen natürlich ziemlich genau, was passiert, wenn jemand die Welt retten will. Und es passiert auch hier. Coupland überhebt sich. Es geht ziemlich schief.Am Anfang ist es erträglich, ja sogar anrührend: Am Rande einer Party halbwüchsiger Schulfreunde in Vancouver darf Richard endlich Karen bürsteln. Und während er noch voller Glück nach den Getränken sucht, rutscht Karen in den Schnee und fällt - niemand weiß warum - ins Koma. Da wird sie 18 Jahre liegen, um 1997 - niemand rechnet mehr damit - aufzuwachen und vor laufender Kamera den nahen Weltuntergang zu prophezeien. In der Zwischenzeit war sie Mutter geworden. Ihre erste und einzige Paarung hatte sogleich zur Vollfrucht geführt. Richard und die Familie hatten sich um das überaus intelligente und ins Punkhafte driftende Töchterlein gekümmert. Keine schlechte Idee, denkt der Rezensent bei Karens Erwachen. Nun wird uns die beinahe Jungfräuliche mal die Augen öffnen, wie die Welt innert der letzten zwei Jahrzehnte an die Kante gefahren wurde und wie wir, ohne es zu merken, geworden sind. Aber schon da fällt Coupland nicht mehr ein, als uns Margot Eskens oder Bully Bulahn oder sonstwer bereits Ende der Fünfziger sang: "Ach du liebe Zeit, ach du liebe Zeit, keiner hat mehr für die Liebe Zeit."Die Freunde und Freundinnen hatten gute Zeiten und schlechte Zeiten gehabt, hingen mal mehr, mal weniger am Fläschchen, Döschen oder Spritzlein, sannen gelegentlich über den Sinn nach und spürten dann einige schwarze Löcher in sich. Aber es ging schon, und langsam waren sie auf die Beine gekommen und verdienten Geld als Zuarbeiter in der Filmbranche. Die von Coupland geschilderten Typen sind lebensecht. In den menschlichen Beziehungen und Gefühlen, die sich aus dem Zustand der komatösen Mutter und dann ihres Erwachens ergeben, halten sich Alltagsnöte und -härten und Sentimentalitäten ordentlich die Waage. Und als die lange nicht verstandene oder abgetane Prophezeiung so um die Weihnachtstage 1997 ihren Anfang nimmt - die Leute schlafen einfach ein und sind weg -, eine Dornröschen-Variante, allerdings in der Kulisse unserer hochtechnisierten Zivilisation mit allen Folgen, da ist das Buch gar eindrucksvoll. Doch dann beginnt das Desaster. Zu plötzlich schleppend langen, immer wieder verschobenen und verschrobenen und verschwurbelten Botschaften und Gesprächen tritt ein Geist auf. Geist Jared. Verstorbener Schulfreund, damals Spitzenstecher und vom Blutkrebs ziemlich schnell vom Sportplatz in den Sarg befördert. Der stellt sie nun vor die Alternative, als letzte der Erdenbürger bis zu ihren letzten Tagen über einen ruinierten Planeten zu schlurfen, abtauende Eisschränke nach Brauchbarem durchsuchend, oder alles zurückzunehmen. Zurückzustellen auf Null, bis zu jenem Zeitpunkt, da sein Medium Karen aus dem Koma erwachte, um weiszusagen. Karen muss wieder ins Koma. Alle auf den Ausgangspunkt. Die Köche werden wieder kochen, die Hähne krähen, die Katze mausen und der Kochlehrling kriegt endlich seine Maulschelle. Sie aber, im Wissen um die Lage, haben die Aufgabe, die Welt vor einem Ende wie dem erlebten zu bewahren. New Age-Geraune mischt sich mit holpernder nordamerikanischer McPhilosophie.Es kommt zu erschütternden Verpflichtungserklärungen. Da auch Coupland nicht die geringste Ahnung hat, wie die Welt zu retten sei, gelingt auch ihm nur die Steigerung der Rhetorik: "Du wirst uns bald deine Straße entlanggehen sehen, stolz und hochaufgerichtet, unsere Pupillen erweitert von Wissen und Macht... Aus jeder Zelle unseres Körpers explodiert die Wahrheit. Wir werden wirklich vor dem Safeway knien, auf veralteten Lehrbüchern, deren Seiten wir gefressen haben. Wir werden Passanten anflehen, die Notwendigkeit zu erkennen, Fragen über Fragen über Fragen zu stellen und nicht mehr damit aufzuhören, bis die Welt sich nicht mehr dreht. Wir werden Erwachsene sein, die das müde erschöpfte System zerschlagen. Wir werden uns in eine radikale neue Welt robben und beißen und graben. Wir werden Hirne und Seelen aus Stein und Plastik zu Leinen und Gold machen - das ist es, was ich glaube. Das ist es, was ich weiß."Auch Coupland kann nicht entgangen sein, dass in dem Kampf für Wahrheit, Menschlichkeit, garantiertes Naturerleben in den fortgeschrittenen Vernichtungsländern Tausende von Menschen sich vor Bahnen warfen, auf Bäume setzten, anschmiedeten, in Gefahr begaben, Bewegungen organisierten, Parteien gründeten, ihr Hab und Gut hingaben und ihre Pfeifchen ab. Offenbar gehört mehr als nur guter Wille und Überzeugung, ein reines Herz und Drogenabstinenz von acht Jungkanadiern dazu, um der Herrschaft des mehrwertheckenden Geldes ein Ende zu setzen. Geist Jared: "Ihr werdet ewig Heimweh haben, denn ihr lauft bis zum Ende durch einen kalten Bahnhof und flüstert seltsame Gedanken über das Leben in die Ohren von Kindern. Ihr werdet euch immer ein wenig gehetzt fühlen, als würdet ihr verschüttete Menschen retten und ertrinkende Pferde aus dem Wasser ziehen. Man wird euch für verrückt halten. Es kann auch sehr wohl passieren, dass ihr mit Schaum vor dem Mund in einer kanadischen Drogenklinik landet und euch mit Leuchtmarker Ideen auf eure Schenkel schreibt, die knochig sind, weil ihr das Land zu Fuß durchkämmt habt. Eure Augen werden immer schmerzen, als hättet ihr in die Sonne gestarrt, und euer Körper wird sie scheinbar kühlen wollen, indem ihr den Mond anglotzt. Es gibt nicht genug Worte für >verändern Der Rezensent ist jetzt maulig.Douglas Coupland: Girlfriend in a Coma. Roman, Verlag Hoffman und Campe, Hamburg 1999, 351 S., 39,90 DM
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