Hans Haekkerup hatte sich gewiss nichts dabei gedacht oder wenigstens nichts Böses. Als der Nachfolger von Bernard Kouchner im Amt des obersten Kosovo-Verwalters in der vergangenen Woche dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica die Teilnahme der Kosovo-Serben an der Wahl abhandelte, fand er seine Gesprächspartner in Belgrad mit erheblichen Bauchschmerzen vor. Also formulierte er den aktuellen Status der UNO-Provinz zur Beruhigung der Bedenkenträger in Serbien noch einmal als "Abkommen". Zwar steht fast nur Bekanntes in dem Text, doch in Belgrad will man immer wieder einmal hören, dass die Albanerprovinz nicht unabhängig wird. Haekkerup kann darüber ohnehin nicht entscheiden, und so kostet es ihn nichts, den Umstand noch einmal zu Papier zu bringe
ngen.Aber noch war der Däne nicht zurück in Prishtina, als dort ein Entrüstungssturm losbrach. Was er in Belgrad bekräftigt habe, sei eine "eklatante Verletzung der UNO-Resolution 1244", des vom Weltsicherheitsrat erlassenen Mandats der UNO-Verwaltung, erklärte der Parteiführer Hashim Thaci. Gemeinsam mit seinem Konkurrenten Ramush Haradinaj verließ er unter Protest den Übergangsrat, mit dem Haekkerup und seine "internationals" gemeinsam mit Albanern und Serben die Provinz regieren sollen. Sogar der sonst so apathische Ibrahim Rugova ließ sich mit dem Urteil vernehmen, das Abkommen sei "inakzeptabel". Aus den Reaktionen der getroffenen Haekkerup-Leute sprach Verwunderung. Sie verstehe die ganze Aufregung nicht, bekannte eine erfahrene UN-Sprecherin.Mit dem inhaltslosen "Belgrader Abkommen" hat die Wahl am Samstag ihr Thema gefunden. Nicht Parteien konkurrieren, in Wirklichkeit nicht einmal Volksgruppen, sondern die Kosovo-Albaner stehen gegen die "ausländischen Verwalter". "Nach dem Wahltag wird hier die Konkurrenz zwischen den Parteien und der UNO ausbrechen", prophezeit Blerim Shala, Chefredakteur der Zeitung Zeri und gefragter Analytiker der kosovarischen Verhältnisse. Das sei auch ganz normal. Schließlich wären die Parteien dann demokratisch legitimiert, während Gouverneur Haekkerup über "eine von niemandem kontrollierte Machtfülle" verfüge. Dass zumindest die Parteien nicht ernsthaft konkurrieren, macht schon die lahme Wahlwerbung deutlich. Die Demokratische Partei (PDK) plakatiert ihren Hashim Thaci, die Demokratische Liga (LDK) ihren Ibrahim Rugova, der alle Stürme überstanden hat. Allein Haradinajs Zukunftsallianz hat ernsthaft nach Wahlkampfthemen gesucht. Anders als bei der Kommunalwahl im vorigen Jahr geht es nicht um konkrete Pfründe hier oder dort, sondern allein um politischen Einfluss. Der aber wird nicht von der Konkurrenz beschnitten, sondern von der UNO - dem gemeinsamen Feind vor den Toren der Stadt.Wie immer der Konkurrenzkampf ausgeht, Verbesserungen sind kaum zu erwarten. Der UN-Verwaltung ist es zwar gelungen, in einigen Bereichen hervorragende Experten anzuziehen. Aber sie scheitern - wie der Deutsche Michael Daxner - an enormen institutionellen Widerständen. Das Gros der Verwalter kommt nur für wenige Monate, kennt das Land nicht und schimpft über Stromausfälle, Müllberge, fehlende Kinos und gern auch allgemein über die Kosovaren. Hans Haekkerup hat nicht nur unter den Kosovo-Albanern, sondern selbst innerhalb der UN-Verwaltung einen schlechten Ruf. Anders als sein Vorgänger Kouchner, ein Mann der großen Geste, geht er so gut wie nie an die Öffentlichkeit und kommuniziert auch im eigenen Büro mit kaum jemandem. Mitarbeiter schütteln über seine wenig protestantische Arbeitsmoral den Kopf. "Er kommt um elf und geht um eins in die dreistündige Mittagspause", schimpft eine Kollegin. Der frühere dänische Außenminister ist als einziger mit Ehefrau ins Kosovo gekommen und nutzt, wie versprochen, jede freie Stunde, um mit seinem kleinen Sohn zu spielen. Was westeuropäische Illustrierte an Politikern sympathisch finden, kommt in der Katastrophenstimmung des Kosovo schlecht an.In Prishtina halten sich zudem beständig Gerüchte über die persönliche Korruption führender UN-Mitarbeiter. Die Stromversorgung ist ein Witz. Auch anderthalb Jahre nach der Machtübernahme durch die Weltgemeinschaft gehen im Kosovo noch immer wesentlich häufiger die Lichter aus als früher unter den Serben. Alle Versuche kosovarischer Journalisten, dafür einen Verantwortlichen auszumachen, verliefen im Sande. Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär - nicht nur, aber besonders für Serben, die in einigen Enklaven noch immer leben wie die Maus in der Falle. Was tatsächlich funktioniert, hat mit der UN-Verwaltung nichts zu tun. So ist in weiten Teilen des Kosovo ein wahrer Bauboom ausgebrochen. Nicht nur mitunter reich ausgestattete Familienhäuser entstehen, auch viele Geschäfte und selbst kleine Fabriken. In Prishtina hatte ein deutscher Verwalter sich bemüht, Genehmigungsverfahren durchzusetzen, und damit begonnen, schwarz Gebautes abzureißen. Der Versuch scheiterte an unergründlichen Widerständen.Dass es mit der Machtübergabe an die albanischen Parteien besser würde, steht kaum zu hoffen. Stärkste Partei wird nach dem 17. November voraussichtlich wieder Rugovas LDK, eine amorphe Nationalbewegung mit enormen Mitgliederzahlen, aber ohne brauchbare Struktur und klare Führung. Die "UÇK-Parteien" sind besser organisiert, halten aber nach wie vor Kontakt zum paramilitärischen "Schutzkorps", zu kriminellen Banden aus dem Drenica-Gebirge und mediokren "Freiheitskämpfern" außerhalb des Kosovo. Zwar gibt Hashim Thaci auf Verlangen Lippenbekenntnisse zum multikulturellen Zusammenleben mit Serben und anderen Minderheiten ab; aber immer wenn es konkret wird, sperrt er sich. Die Aufregung über Haekkerups Belgrad-Besuch hat bewiesen, dass die albanischen Parteien den unentschiedenen Status des Kosovo nicht einmal übergangsweise akzeptiert haben. Ihre Programmatik reicht über Befreiungspathos kaum hinaus. Dass eine Partei auch ein Wirtschaftsprogramm braucht, musste man sich erst von der OSZE-Mission erklären lassen - die sich weigerte, Parteien ohne ein solches zur Wahl zuzulassen. Was man mit dem befreiten Kosovo eigentlich anfängt, ist den Befreiern schleierhaft.Eine Alternative zur allmählichen Machtübergabe an die Albaner gibt es trotzdem nicht. "Ändert sich nach dem 17. November nicht die Kompetenzverteilung zwischen UNO und lokalen Strukturen", meint Shala, "dann kommt es zu unerquicklichen Konflikten." Zwar hat das Land seit 2000 einen "Verfassungsrahmen", der mit der Wahl ausgefüllt werden soll. Aber nirgendwo steht, welche Rechte die neuen Organe haben. Die Souveränität liegt bei der UN und die letzte Entscheidung damit immer bei Haekkerup. Die Abteilungen der Übergangsverwaltung, die "Ministerien", sind doppelt besetzt - je ein Kosovare und ein Ausländer. Zurzeit sitzen die Kosovaren vor leeren Schreibtischen und müssen für jede Mark, die sie ausgeben wollen, die Sekretärin ihres ausländischen "Co-Head" fragen. Eine Entwicklung zu mehr Verantwortung ist bisher nicht zu erkennen. Will die UNO-Verwaltung sich irgendwann überflüssig machen, setzt sie gleich nach der Wahl ein Zeichen und organisiert sich gründlich um. Aber selbst zum allmählichen Verschwinden ist der Apparat wohl einfach zu träge.
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