Marter und Frömmigkeit, allerlei Bibelszenen bedecken die Wände, darunter die Erschaffung der Tiere und des Menschen. Mehrfach verliert Johannes der Täufer seinen Kopf. Wie durch einen mit christlichen Passionsspielen getäfelten Zeittunnel schreiten die Besucher im Erfurter Angermuseum zur aktuellen Sonderausstellung. Die beeindruckenden Weltbilder, die um 1500 in der Werkstatt von Lucas Cranach dem Älteren entstanden sind, bilden einen ansprechenden Rahmen, eine gelungene Hinführung zu dem kleinen Raum, der den Comics von Simon Schwartz gewidmet ist. Die Bildergeschichten aus dem ausklingenden Mittelalter – heute gelten sie als große Kunst, damals waren sie zunächst erst einmal Handwerk – stehen in einem hübschen Kontrast zu denen v
n von heute. Die Cranach-Werkstatt bildete ab, was man als Herkunftsgeschichte laut Bibel verstand, und auch Simon Schwartz rührt am Historischen. Daher ist der Name seiner Ausstellung gut gewählt: Geschichtsbilder.Dass Schwartz in Erfurt gezeigt wird, ist kein Zufall. In der thüringischen Landeshauptstadt wurde er 1982 geboren, aufgewachsen ist er dann in Berlin-Kreuzberg. Die Eltern siedelten 1984 dorthin über. Hier machte er erste Comicerfahrungen als Zeichner für das sagenhafte Mosaik-Magazin, das seit 1955 in Ost und später auch in West den Lesern Abenteuer in der Geschichte präsentiert: Die Helden des Hefts ritten als Germanenzirkus durchs Römische Reich, nahmen mit den Tempelrittern am Kreuzzug teil und gingen Down Under auf Schatzsuche.Mittlerweile lebt Schwartz als freier Zeichner und Autor in Hamburg, wo er nach dem Studium zum Illustrator hängen blieb. Seine Diplomarbeit, der Comicroman Drüben! (2009), wurde mehrfach ausgezeichnet. Bereits hier zeigte sich Schwartz’ Geschichtsinteresse, das zuallererst mit der eigenen Biografie beginnt. Die persönlichen Konflikte in der Familie – nicht alle respektierten die Entscheidung der Eltern, in den frühen 1980ern die DDR zu verlassen, die Großeltern etwa verstießen sie – verknüpft er dabei geschickt mit der Zeitgeschichte.Käuze und KäuzinnenNach einigen Tuschen aus dem Mosaik sind in der chronologisch aufgebauten Ausstellung Bögen aus Drüben! zu sehen. Man kann den noch leicht unsicheren Strich erkennen, oder anders formuliert: Er ist noch nicht so prägnant und pointiert wie in späteren Werken. Beim Abschreiten der Rahmen lässt sich verfolgen, wie Schwartz zu seiner Handschrift findet, die insbesondere aus dem Komplementär von Schwarz und Weiß schöpft. Während seine Geschichten inhaltlich sehr nuanciert sind, arbeitet er auf der Bildebene meist mit den größtmöglichen Kontrasten. Natürlich sind Beispiele aus der Reihe Vita Obscura (2012 – 2016) vertreten, dem monatlichen Comicstrip aus dem Freitag. Schwartz stellte Käuze und Käuzinnen aus der Vergangenheit vor, auffallend ist, dass er hier noch mit Farben arbeitete.Besonders beeindruckend in Stil und Story sind die beiden Alben Packeis und Ikon. Letzterer erschien in diesem Jahr und schildert die Ereignisse der Russischen Revolution, gebrochen und reflektiert durch einen in die USA emigrierten Ikonenmaler. In der Ausstellung ist schön der feine Strich erkennbar, mit dem der Zeichner etwa Stabkirchen aufs Papier nagelt. In einer Acrylarbeit auf Holz nähert er sich der ikonografischen Darstellung: Ein Mönch in Schwarz-Grau hält die rechte Hand zum heiligen Zeichen geformt. Am überzeugendsten steht in seiner wunderbaren Eigentümlichkeit das Comicalbum Packeis (2012) für sich, das vom ersten schwarzen Nordpolreisenden erzählt. Robert E. Peary gilt gemeinhin als der erste, der jene Stelle der Erde betrat, an der es nur nach Süden weitergeht, der Comic zeichnet die Lebensgeschichte seines Begleiters Matthew Henson nach und setzt ihm ein Denkmal, das sich kleine fiktionale Freiheiten leistet. So findet sich die Erzählung mit Mythen der Inuit durchsetzt, werden der Lebensweg des jungen und des alten Henson parallelisiert. Hierdurch gewinnt das Album an Dichte, wird zur packenden Story jenseits einer Aneinanderreihung von biografischen Daten, wie man sie von anderen sogenannten Bio-Picts kennt. Dabei werden auch die alltäglichen Diskriminierungen sichtbar, denen Afro-Amerikaner ausgesetzt waren (und sind). In Grau- und Brauntönen gehalten und schlicht in der Form, stehen die Zeichnungen im Kontrast zur narrativen Tiefe und gewähren leichten Zugang zur nicht ganz so leichten Kost.Vom Genregroßmeister Art Spiegelman stammt das Bonmot, des Comics Zukunft liege in der Vergangenheit. Auf Schwartz‘ Auseinandersetzungen mit und Verarbeitungen von Vergangenem trifft das absolut zu. Anders verhält es sich mit der Wortschöpfung „Graphic Novel“, die ebenfalls Spiegelman zugeschrieben wird. Anspruchsvolle Comics sollen damit gemeint sein, aber im Grunde ist es ein seltsames Label, das in der Branche als Marketingetikett verwendet wird, um Distinktion zu betreiben und Wertvolles vom vermeintlichen Schund abzuheben. Wie unsinnig das ist, zeigt die Unterzeile der Erfurter Ausstellung: Comics & Graphic Novels. Man hätte mit den kuratorisch Verantwortlichen gern mal die Bilder dieser Ausstellung abgeschritten und bei jedem gerahmten Bogen gefragt: „Comic oder Graphic Novel?“ Natürlich sind das alles Comics!Neben dem Genuss, einmal die Originale bestaunen zu können, überzeugt die Ausstellung damit, dass sie den Hauch des Unperfekten trägt. Man kann in den Zeichnungen Korrekturen erkennen, Radierungen, Deckweißübermalungen. Löblicherweise gibt auch der Ausstellungskatalog genau diesen Charakter wider. Was in den Alben monochrom schwarz ist, wird hier als fleckige Pinseltuschfläche sichtbar. Nette Beigaben sind kleine Schätze aus dem Privatarchiv des Zeichners, etwa seine Hommage an den Mosaik: Hier hat er seine Eltern und sich aus der Ausreiseerzählung Drüben! aufs Cover geschmuggelt. Gezeigt wird auch die actionreiche Piff-Paff-Puff-Geschichte um die Cowboys Jim und Sam, die Schwartz als 13-Jähriger zeichnete.Für die Stadt Erfurt gestaltete Simon Schwartz 2012 den Kubus der Friedlichen Revolution. Hier sind klare Parallelen auch zu den Bildwelten der Cranach-Werkstattaltäre zu erkennen. Szenen schieben sich ineinander, da wird eine Kirchenempore zur Bühne einer Demonstration, die dann über die Plätze schwappt. Die im Maßstab 1:10 gefertigten Zeichnungen wirken schon im Original beeindruckend. Verlässt man die Geschichtsbilder und passiert noch einmal die Märtyrer und Schmerzensmenschen aus Cranachs Comic-Werkstatt, so kann man einige Gehminuten entfernt die lebensechten Vergrößerungen in der ehemaligen Stasizentrale besichtigen.Placeholder infobox-1