Alle lieben Pim

Kerzen und Kondolenzen Die Medien trauerten bedenkenlos um den Rechtspopulisten

Für die meisten Blätter war es ohnehin eins: das Attentat auf den holländischen Rechtsaußen Pim Fortuyn und der Anschlag auf die niederländische Demokratie. Obendrein aber beschrieben taz und FAZ Fortuyn als erfrischenden Dandy, der gegen die bürokratischen Langweiler der anderen Parteien im Wahlkampf doch recht erfrischend wirkte. Die Süddeutsche Zeitung zog nach und sprach von "verlorener Unschuld" aller Niederländer und ließ im Feuilleton den als Literaten durchaus geschätzten Harry Muhlisch tantenhaft um Vergebung für Fortuyn bitten: "Irgendwie war er (...) wie ein Junge von zwölf Jahren. Er konnte schreckliche Dinge über Asylbewerber sagen, und die Leute haben ihn trotzdem gemocht." Dazu ein trauriges Bild vom traurigen Muhlisch.
Auch die schwullesbische Berliner Siegessäule rühmte vor allem Fortuyns Soziologie- und Publizistenlaufbahn und zitierte ihn aufrichtig als "Ethiker im Darkroom". Sozusagen in einem Atemzug mit Michel Foucault. Vielleicht mag es einer Gazette für Lesben und Schwule schwer fallen, Stellung zu beziehen, wenn ein schwuler Rechtspopulist umgebracht wird, der am liebsten dem gesamten, vermeintlich schwulenfeindlichen Islam die Tür weisen wollte. Dabei übersehen viele gern, dass der Gegner nicht der Islam ist, sondern die Diktaturen und Oligarchien, die Religion in ein bleischweres menschenfeindliches Gesetz gießen. Fortuyn war nicht der erste, der sich diese Einfachargumentation zu eigen machte.
Landauf, landab, hier wie dort Bilder trauernder Menschenschlangen, die Tagesschau zeigte uns wie alle anderen Sender unkommentiert ein Blumenmeer, das sehr an Bilder vor dem Kensingtonpalast in den Tagen nach dem 31. August 1997 (Trauer um Lady Di) erinnerte. Weinende Menschen. Kerzen. Kondolenzbücher.
Auch in den Niederlanden selbst wurden nur wenige mahnende Stimmen laut, die wie die sozialdemokratische De Volkskrant auf Spurensuche gingen und eine moralinsaure, entkirchlichte Gesellschaft als Ursache ausmachten, die dem "Ersatzteufel" Fortuyn ein so guter ideologischer Nährboden sein konnte. Das konservative österreichische Massenblatt Kronenzeitung hingegen gab sich nachdenklich-scheinheilig und fragte, ob Fortuyn nun nicht der neue "Märtyrer der Rechten" sei. FPÖ-Generalsekretär Peter Sichrovsky trat nach und sprach im Zusammenhang mit der Tat flugs von "linksextremem Terror". Zitiert wird er damit auch bei der Berliner taz, die es ja bloß gut meint, die Bloßstellung aber nicht recht vermitteln kann.
Die Kommentare zum Anschlag auf Pim Fortuyn zeigen, wie unfähig die Medien in Zeiten eines immer massiveren Rechtdralls geworden sind, unabhängig von der politischen Couleur dezidiert und differenziert zu berichten. Natürlich war es für die Niederlande ein Schock, nach Jahrhunderten einen politischen Mord im eigenen Land mit ansehen zu müssen. Natürlich rechtfertigt nichts und niemand einen Mord. Und natürlich ist dieser Anschlag eine Zäsur - aber: Fortuyn war mitnichten unschuldiges Opfer. Er redete und simplifizierte unverblümt, er gab mediengerecht und mit viel Gespür für die Selbstinszenierung den unerhörten Aufrührer, den Tribun der rechten Sache. Und er war sich seiner Macht dabei überaus bewusst.
Pim Fortuyn war alles andere als ein unschuldiger 12-Jähriger und kein "streitbarer Geselle", sondern ein Demagoge, der von sich selbst werbewirksam sagte, dass er tue, was er sage, und sage, was er denke. Eine seiner vielen Werbebotschaften war dabei sein markiges "Das Boot ist voll".
Es sollte daher jedem selbst überlassen bleiben, um einen rechtsextremen Politiker zu trauern, der sich anschickte, das Land abzuschotten und allen Ernstes demokratische Institutionen wie die EU samt Parlament abschaffen zu wollen. Sorgen machen muss man sich hingegen um eine immer mutlosere und zunehmend ohnmächtige politische Linke, die - gewollt oder ungewollt - mitschuldig ist an dieser Entwicklung. Vor allem aber muss man sich sorgen um eine rechtsdrehende Presselandschaft, die sich Stück für Stück dem Rechtspopulismus andient. Nicht, um diesen demokratisch zu kontrollieren, sondern um ihn gleichgeschaltet zu multiplizieren. Offenbar um jeden Preis. Tot oder lebendig.

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