Kühn verspricht der »Balkan-Stabilitätspakt«, »die Integration Südosteuropas innerhalb eines Kontinents zu fördern« - vor allem will er, daß »Grenzen nicht länger Teilungen betonen«. Die Grenzen der EU können damit kaum gemeint sein, denn für Bürger aus Rumänien, dem gelegentlich in Brüssel, Berlin, London oder Paris schon mal ein EU-Beitritt in Aussicht gestellt wird, teilen und unterteilen sie sehr wohl: In ein Wohlstandskartell, das gegen unerwünschte Zuzügler abgeschirmt wird, und das Armenhaus Südosteuropa, in dem bei aller Hoffnung auf den Westen nicht vergessen werden soll, sich selbst zu helfen. Der Sarajevo-Gipfel ließ dazu an Klarheit wenig zu wünschen übrig.
Denkt er an Deutschland, schwellen Herrn Tinu sichtbar die Stirnadern. Kontrolliert und abgewogen, wie der Chefredakteur der wichtigsten Tageszeitung des Landes zu sein hat, gesteht er den deutschen Behörden zwar zu, daß sie ihr Land »gegen illegale Zuwanderung schützen«. Aber wie das geschieht, findet Dumitru Tinu »einfach erniedrigend«. Seit Jahren nun bäumt er sich mit seiner Zeitung Adevarul (Wahrheit) gegen die »Festung Schengen« und schikanöse Visa-Bestimmungen auf.
»Die Deutschen brechen dabei sogar internationales Recht«, ist Tinu überzeugt. Ihm selber, erzählt er, habe die deutsche Botschaft in Bukarest für eine beantragte Deutschlandreise eine »Einladung« abverlangt. Einem Journalisten könne man doch nicht zumuten, sich ins Ausland einladen zu lassen! Von wem er sich wohl einladen lassen solle, wenn er eine Reportage über das Kosovo schreiben wolle? Von der serbischen Regierung? Oder vielleicht lieber von der UÇK oder der KFOR? Was für Jugoslawien zu gelten habe, solle wohl auch von den Deutschen beachtet werden. Schließlich könne er einen Politiker, den er etwa kritisch interviewen wolle, schlecht vorher untertänigst um eine Einladung bitten.
Vornehmlich Künstler und Intellektuelle werden auf Botschaften behandelt, als nutzten sie den Kulturaustausch, um sich Einbrecherbanden anzuschließen, schwarz auf dem Bau zu arbeiten oder sich das süße Leben in einem deutschen Asylantenheim zu erschleichen. Und wo selbst Prominenz und geistige Elite unter Generalverdacht stehen, haben es einfache Bürger noch schwerer.
In Rumänien wächst - besonders angesichts der Versprechen des Stabilitätspaktes - der Ärger über die Schengen-Staaten, vor allem aber über Deutschland. »Die Visa-Regeln sind ein klares Signal an die Rumänen«, meint der Publizist Ilie Serbanescu: »Ihr müßt draußen bleiben und zwar auf Dauer.« Offiziell ist Rumänien EU-Aspirant; schon 2001 sollen Beitrittsverhandlungen beginnen. Angeblich steht das Land nur deshalb noch auf der Liste der visapflichtigen Staaten, weil es die Grenzen gegen die Ukraine und Moldawien noch nicht effektiv schützt. Aber in Wirklichkeit sind es die Rumänen selber, vor denen Europas Innenpolitiker sich fürchten. Daß die EU ihr Land wirklich irgendwann aufnehmen will, glauben dessen Bewohner immer weniger.
Daß Deutschland sogar seine internationalen Verpflichtungen mißachtet, um die ungeliebten Mit-Europäer draußen zu halten, ist ein starker Vorwurf. Aber Dumitru Tinu hat wahrscheinlich recht damit: Nach der KSZE-Schlußakte von 1975 müssen die Unterzeichnerstaaten Journalisten aus anderen OSZE-Ländern »nicht behindern, sondern befördern«. Dabei ist eine Art Gewohnheitsrecht entstanden: »Einladungen« werden in Europa nirgendwo verlangt. Bis zum Beginn des Kosovo-Krieges hielt sich sogar Slobodan MilosÂevic´ daran: Wer etwa als deutscher Journalist über das Kosovo berichten wollte, brauchte keine Einladung.
Cristian Chiprian arbeitet beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Bukarest und tut den ganzen Tag nichts anderes, als sich um Visa für die Journalisten des Hauses zu bemühen. »Die Deutschen«, versichert er, »verlangen immer, immer eine Einladung, auch wenn ein Sportreporter über ein Match berichten will.« Aber damit nicht genug: Wer als rumänischer Journalist nach Deutschland reisen will, braucht außerdem sein Arbeitsbuch, den Arbeitsvertrag, den Journalistenausweis, das Flugticket und einen Nachweis darüber, daß sein Arbeitgeber ein Devisenkonto unterhält, um notfalls die Unkosten des reisenden Journalisten zu tragen. So mußte der rumänische Rundfunk mit seinen 3.000 Angestellten bis vor kurzem in jedem Fall per Kontoauszug darlegen, daß er über das nötige Geld verfüge - eine Schikane, die offenbar der Phantasie der deutschen Konsularabteilung entsprungen ist. Weil die Radioleute sich irgendwann weigerten, wird die Bestimmung bei ihnen nun nicht mehr angewendet. Bei allen anderen indes gilt sie wie bisher. Freie Journalisten haben schon gar keine Chance. Schwarze Schafe gibt es überall. Aber in Rumänien, so scheint es, sind alle Schafe schwarz.
In der Bukarester Gesellschaft kann so fast jeder von empörenden Erfahrungen berichten: Die Photographin Aurora Dediu, die ein Zweimonatspraktikum für die Stuttgarter Solitude bekam, wurde in der Botschaft regelrecht verhört: Was sie für Ausstellungen veranstalte? Was sie in Deutschland wolle? Wie sie überhaupt an die Adresse der Solitude gekommen sei? Oder etwa die Großverlegerin Doina Uricariu, die 1996 ohne Begründung kein Visum für die Frankfurter Buchmesse bekam und erst im Jahr darauf, nach etlichen Interventionen, fahren durfte. 1998 mußten die zehn rumänischen Verleger, die in Frankfurt eine Messekoje gemietet hatten, nicht nur die »Einladung« der Messe GmbH nachweisen. Vielmehr brauchten sie eine Bestätigung der Frankfurter IHK, daß es diese GmbH auch wirklich gibt.
Klagen kommen auch über andere Botschaften: Besonders berüchtigt ist der Fall des bekannten Prosaautors Mircea Nedelciu, der Anfang der neunziger Jahre mit einem Stipendium in Frankreich weilte, dort an Leukämie erkrankte und nach seiner Genesung zurück nach Bukarest ging. Ihm wurde das Visum für einen Nachsorgetermin bei seinem behandelnden Arzt verweigert. Begründungen sind bei der Visaerteilung nicht Pflicht und nicht üblich.
Ilie Serbanescu, der schon zitierte Publizist und Ex-Reformminister, weigert sich seit nunmehr drei Jahren, einen Fuß in die EU zu setzen. 1996 erhielt er von der Leiterin der EU-Vertretung in Bukarest eine Einladung nach Brüssel. Nachdem er drei Tage vor der belgischen Botschaft gestanden hatte, gab er beleidigt auf. Ein immer wiederkehrendes Muster: Man wird von offizieller Seite eingeladen, fühlt sich geehrt und wird dann bei der Botschaft in den Vorgarten geschickt, als könnte man die wertvollen Polster beschmutzen.
Als ausgesprochene Schikane empfinden die Rumänen, daß man die »Verwaltungsgebühr« für den Visasantrag immer schon im voraus entrichten muß - ob der Antrag bewilligt wird oder nicht. Die Deutschen treiben in diesem Fall nur die Hälfte ein. Aber auch das kann teuer werden: Eckard Schiller aus dem fränkischen Berching zum Beispiel wollte ein befreundetes, älteres Ehepaar zu sich nach Hause einladen. Die beiden Kleinrentner aus Hermannstadt in Siebenbürgen zahlten 70 Mark, knapp eine Monatsrente, bevor sie erfuhren, daß es kein Visum gäbe. Nach Intervention beim Konsul erhielt Schiller die Zusicherung, daß es beim zweitenmal klappen würde. Die beiden zahlten wieder und wurden wieder abgelehnt. Schiller erfuhr durch hartnäckiges Nachfragen auch den Grund: Bei einem ersten Deutschlandbesuch vor drei Jahren, zur Beerdigung ihres ausgewanderten Sohnes, hatten die beiden ihr Zehn-Tages-Visum ganz legal um sieben Tage verlängert. Das reichte für die Eintragung ins »Ausländer-Zentralregister«. Nicht alle einladenden Deutschen sind so hartnäckig wie der Mann aus Franken. Denn wer als Deutscher einen Rumänen einlädt, muß nicht nur gegenüber dem Ausländeramt seine Einkommens- und Vermögenverhältnisse vorweisen, sondern auch einen Grundriß der Wohnung beibringen.
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