Kenia Die Wahl am 4. März gleicht einer Achterbahnfahrt – und dürfte zur Feuerprobe für die neue basisdemokratische Verfassung aus dem Jahr 2010 werden
Aus allen Lautsprechern ertönt die gleiche propagandistische Kakophonie. Die politischen Paten fliegen im Land umher und versprechen für die Zeit nach dem 4. März den Himmel auf Erden. Kenia befindet sich auf einem Ritt, der das Land erneut aus der Bahn werfen kann, wie das nach der Präsidentenwahl Ende 2007 der Fall war. Damals führte der Streit um das Ergebnis zu einem Amoklauf der Gewalt mit mehr als 1.500 Toten. Doch könnte die jetzige Abstimmung auch eine Ära des Wandels zu einem der demokratischsten Länder weltweit einläuten. Der Aktivist John Githongo, der sich für die Zivilgesellschaft einsetzt, meint: „Die neue Welt ist im Werden, die alte Ordnung aber noch nicht tot.“
Seit dem Katastrophen-Votum vor fünf Jahren wur
Jahren wurde eine Verfassung verabschiedet, die das Land in 47 neue Verwaltungsbezirke unterteilt. Jeder Distrikt hat seinen Gouverneur und sein Parlament, das darüber entscheidet, was mit dem lokalen Budget geschieht. Die Dezentralisierung geht dank des County Governments Act so weit, dass demokratische Teilhabe jede Ebene bis zum Dorf erfasst. Die Öffentlichkeit hat heute das Recht, vollständig über Pläne der Politik informiert zu werden sowie Petitionen bei den Gerichten einzureichen.Allerdings wird dieser konstitutionelle Idealismus von Politikern verwaltet, bei denen es sich vorwiegend um tribalistische Paten handelt: Kikuyu-Führer Uhuru Kenyatta etwa ist der Sohn des ersten Präsidenten Jomo Kenyatta. Premier Raila Odinga führt als einer von mehreren Chiefs das Luo-Volk und ist der Sohn von Jaramogi Ajuma Oginga, einst Vizepräsident und Jomo Kenyattas größter Rivale. Während die Verfassung Demokratie, Transparenz und Good Governance vorsieht, dreht sich bei Wahlen nach wie vor fast alles um Stammes-Loyalitäten. Da jedoch keine der auf einer ethnischen Basis existierenden Parteien mehr die absolute Mehrheit gewinnen darf, sind verwirrende Koalitionen entstanden, um sich den Sieg zu sichern.Goldener HandschlagAls die Kandidaten Ende Januar von der Basis nominiert werden sollten, kam es in vielen Bezirken zu Ausschreitungen, die größtenteils von den beiden führenden Formationen, der Democratic Party (DP) und dem Orange Democratic Movement (ODM), organisiert und bezahlt wurden. Verläuft die Auswahl eines Kandidaten nicht ordnungsgemäß, entscheidet laut Gesetz die Parteispitze. So ist sichergestellt, dass die Parteibosse weiterhin die Listen kontrollieren und unliebsame Bewerber außen vor bleiben. Denn Politik bleibt in Kenia ein lukratives Geschäft. Ein Parlamentsmandat zu erringen, kommt dem Gewinn in einer Lotterie gleich. Aufwandsentschädigungen mit eingerechnet, erhalten Abgeordnete der National Assembly ein Drittel mehr als ihre Kollegen im britischen Unterhaus. Auch der Präsident verdient zehn Prozent mehr als der Mann im Weißen Haus. Vor kurzem versuchten die Parlamentarier, sich ein gewaltiges Rentenplus zu genehmigen. Der scheidende Staatschef Mwai Kibaki verweigerte zwar empört sein Plazet, doch hinderte ihn das nicht, den eigenen goldenen Handschlag mit 200.000 Dollar auszupolstern.Aber die Menschen finden ihre Stimme. Als Premier Odinga versuchte, Schwester und Bruder auf die Kandidatenliste seines eigenen Landkreises zu hieven, stimmten die Wahlberechtigten vor Ort mit überwältigender Mehrheit für andere Anwärter. Was nichts daran ändert, dass bei einem Blick auf die Listen noch immer die alten Gesichter und Parteien dominieren.Anfang des Monats führte Raila Odinga in den Umfragen mit 46 Prozent, während auf Kenyatta 40 Prozent entfielen, was andeutet, dass es zu einer Stichwahl um das höchste Staatsamt kommen dürfte. Deren Ausgang ist schwer vorherzusagen. Odinga hat mehr Feinde als Kenyatta, der sich erst seit kurzem wieder an vorderster politischer Front engagiert. Es herrscht jedoch der Eindruck vor, dass Kenias größte ethnische Gruppe, das Volk der Kikuyu, zu viel Staatsmacht verwaltet. Sollte sie Uhuru Kenyatta als Kikuyu noch mehren? Gewinnen wird wohl derjenige, der die tiefsten Taschen hat, um für das Stechen die größte Koalition zu schmieden.Es gibt zudem einen außerordentlich gefährlichen Faktor, der das Votum auflädt. Uhuru Kenyatta und William Ruto, sein Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, sehen sich mit Anklagen des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) konfrontiert. Die Anhörung soll kurz vor einer möglichen zweiten Runde der Präsidentenwahl stattfinden. Was beide belastet, sind mörderische ethnische Säuberungen Anfang 2008, als Kenia in den Abgrund blickte. Wenn die Chiefs seinerzeit nicht beschlossen hätten, ihre Kriegshunde zurückzupfeifen, wäre das Land zerbrochen. UN-Vermittler wurden eingeflogen und arrangierten einen Deal, zu dem auch eine achtsam austarierte Liste von Personen gehörte, die sich der ICC näher ansehen sollte. Ein Kompromiss ergab schließlich die Bildung einer lagerübergreifenden Koalitionsregierung, zitierte aber Führungsfiguren aller Parteien vor das Haager Tribunal.Termin in Den HaagIn Nairobi geht man im Moment davon aus, dass sich die Ankläger des ICC auf einen Handel einlassen, der es zulässt, die Anklagen gegen gewählte Politiker aufzuschieben oder Anhörungen so zu legen, dass sie mit dem Zeitplan der Wahlen harmonieren. Das könnte dazu verführen, am 4. März mit jedem nur erdenklichen Mittel gewinnen zu wollen – in der Hoffnung, die kenianische Bevölkerung und andere afrikanische Führer würden gewählte Repräsentanten gegen die internationale Rechtsprechung in Schutz nehmen und dafür sorgen, dass die Anhörungen wenigstens auf afrikanischem Boden stattfinden.In jedem anderen Land auf diesem Kontinent – ausgenommen vielleicht Südafrika, Nigeria und Ägypten – würde sich dieses Kalkül als Fehlschluss erweisen. Aber Kenia ist für westliche Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen in Ostafrika von solch elementarem Wert, dass seine schuldbeladenen Politiker eine reale Chance haben, unbehelligt zu bleiben. Es ist kenianischen Politikern in den vergangenen 50 Jahren immer wieder gelungen, dem Westen plausibel zu machen, dass man Kenia in Washington und London mehr braucht als Nairobi die dortigen Partner. Mit China als Verbündetem lässt sich diese Position allemal konservieren.
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