Allerlei Brillantes

Interview Georg Stefan Troller entkam den Nazis, kehrte nach Europa zurück und wurde mit grandiosen Reportagen zur Fernsehlegende. Jetzt feiert er 95. Geburtstag
Ausgabe 49/2016

Das Wetter in Berlin ist der jetzigen Jahreszeit entsprechend, also ungemütlich. Es ist Sonntagnachmittag, eigentlich Zeit, ein Kaffeehaus aufzusuchen. Der Schriftsteller, Filmemacher und Journalist Georg Stefan Troller ist in der Stadt, um an der Jahresversammlung der Akademie der Künste teilzunehmen. Außerdem richten das Bundesplatz-Kino in Berlin-Wilmersdorf sowie das Zeughauskino diesem Pionier des deutschen Fernsehdokumentarismus eine kleine Hommage aus.

Georg Stefan Troller feiert am 10. Dezember seinen 95. Geburtstag. Wir sind im Büro des Bundesplatz-Kinos verabredet. Es befindet sich in einer Zwischenetage eines stolzen Gebäudes der vorletzten Jahrhundertwende. Die Holzstiege dort hinauf ist steil. Sie wurde nachträglich eingebaut. In Wien würde man das Mezzanin nennen. In Berlin heißt es prosaischer einfach Zwischengeschoss. Einen Lift gibt es nicht. Die Frage steht im Raum, ob wir uns nicht woanders zusammensetzen sollten, da man Herrn Troller diesen Aufstieg vielleicht nicht zumuten kann. Die Befürchtung erweist sich als unbegründet.

der Freitag: Herr Troller, ich bin erleichtert, zu sehen, wie leichtfüßig Sie die Treppen nehmen. Ich bin Jahrgang 1953 und werde seit einiger Zeit damit aufgezogen, dass man für mich in spätestens zehn Jahren eine altersgerechte Wohnung suchen müsste.

Georg Stefan Troller: Ich habe seit 50 Jahren Übung. In dem Pariser Haus, in dem ich wohne, reicht der Fahrstuhl nur bis in die vierte Etage. Da wir zwei Stockwerke höher wohnen, muss ich den Rest von jeher sowieso zu Fuß gehen. Und das geht immer noch gut.

Sie galten lange Zeit als „unser Mann in Paris“. Während der 60er Jahre haben Sie über Ihre Sendungen, am ausgeprägtesten im „Pariser Journal“, Charaktere in die ordentlichen deutschen Wohnzimmer gebracht, die ansonsten gar nicht im Fernsehen vorkamen oder bestenfalls mit Herablassung behandelt wurden. Ich erinnere mich, dass sich einer meiner Französischlehrer ausdrücklich für manche Ihrer Sendungen geschämt hat – was es für unsereinen nur leichter gemacht hat, das „Pariser Journal“ zu lieben. Insgesamt gab es 58 Folgen Ihrer Sendung bis 1971. Immer haben Sie es bewerkstelligt, einen eigenartigen Effekt zu produzieren: einerseits den Pariser Alltag zu verzaubern und zugleich den Mythos von Paris zu entzaubern.

Ich hatte beschlossen, mehr aus dem Bauch heraus als bewusst, nicht das Postkarten-Paris zu zeigen, sondern das Leben seiner Bewohner. Ich lernte von Mal zu Mal. Ursprünglich war die Sendung, als ich sie 1962 bei der Folge acht übernahm, ein buntes Allerlei, eigentlich das, was in der Zeitung unter „Vermischtes“ oder als faits divers firmierte. Später versuchten wir zunehmend eine richtige Zeitung daraus zu machen, ein Journal eben, in dem alle Ressorts vorkommen sollten.

Und die Bezeichnung „Unser Mann in Paris“? Einverstanden?

Sicher nicht. Auch nicht, als ich ein Jahr lang das Amt des Sonderkorrespondenten für das ZDF in Paris innehatte, 1971. Das war, nachdem das Pariser Journal zu Ende war und bevor ich die Reihe Personenbeschreibung initiierte. Ich rede ja schon mitunter von „meinem“ Paris. Leichtsinnigerweise habe ich ja sogar ein Buch herausgegeben, das so heißt. Tatsächlich ging es im Pariser Journal aber darum, mit diesem Paris zu Rande zu kommen, das mich zutiefst beunruhigte, verstörte, empörte. Ich lebte hier – und tue es immer noch – wie alle Ausländer in Frankreich: geduldet, aber unzugehörig.

Leben und Werk

Georg Stefan Troller ist am 10. Dezember 1921 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Wien geboren worden. 1938 flüchtet er von dort, zuerst durch Europa, 1941 nach Amerika. Dort studiert er Anglistik. 1945 kehrt er als US-Soldat nach Wien zurück. Diese Etappe seines Lebens verarbeitet er im Buch Selbstbeschreibung (1988) wie auch in den Drehbüchern für die Film-Trilogie Wohin und zurück (1984 – 1986) von Axel Corti. 1949 erhält Troller ein Fulbright-Stipendium für die Sorbonne in Paris und ist seither in Frankreichs Hauptstadt ansässig. Er arbeitet in den 50er Jahren für amerikanische, britische und deutsche Radiosender als Reporter und übernimmt 1962 das vom WDR produzierte Pariser Journal.

1972 vom ZDF abgeworben, dreht er bis 1993 für die Reihe Personenbeschreibung etwa 70 Filme, darunter Porträts des gerade nach Westberlin übergesiedelten Thomas Brasch (1977), von Leonard Cohen (1985) oder der Versuch über Peter Handke (1992). 30 weitere Dokumentar-, Essay- und Spielfilme entstehen außerhalb der Reihe. Seine letzte Filmproduktion ist Tage und Nächte in Paris (2004), worin er 82-jährig ein „vorläufiges Resumé“ seiner Verwicklung mit dieser Stadt zieht. Georg Stefan Troller hat darüber hinaus mehr als 30 Bücher, literarische Reportagen, Fotobände und Porträtsammlungen publiziert.

Zum 95. Geburtstag zeigen das Berliner Bundesplatz-Kino und das Zeughauskino im Dezember eine Auswahl von 13 Filmen. Dazu erschienen ist eine fantastische, kostenlose Katalogbroschüre der Stiftung Deutsche Kinemathek, herausgegeben von Britta Hartmann und Gerlinde Waz.

Sie schrieben einmal in Ihrem Buch „Selbstbeschreibung“, dass Sie mit dem „Pariser Journal“ das Paris loswerden konnten, das Ihnen in den Eingeweiden rumorte.

Darum ging es. Nicht nur im Pariser Journal, sondern eigentlich immer, wenn ich mich mit Paris auseinandersetzte, was ich ja doch einige Male getan habe, bis hin zu meinem allerletzten Film: Tage und Nächte in Paris. Praktisch heißt das: wenn Alain Delon, dann eben auch ein Bericht über einen Streik. Neben Somerset Maugham auch ein Besuch auf dem Pariser Hundefriedhof. Wenn schon eine Reportage über die Bürgermeisterwahl, dann auch eine Begegnung mit Algerien-Geflüchteten. Insgesamt weniger die Stadt der Liebe als die des verzweifelten Lebenshungers, also auch Verrückte. Versager. Dissidenten. Maoisten. Trotzkisten. Straßenkehrer. Exzentriker. Mädchenaufreißer. Das unbürgerliche Paris, das lebendige. Vorn tat ich harmlos, hinten zeigte ich, was Sache ist. So entstand offenbar meistens etwas Abgerundetes, das immerhin Menschenähnlichkeit aufwies.

Haben Sie in den vielen Personen, denen Sie für Ihre Sendungen begegnet sind, etwas von sich selber gesucht? Sie sagten einmal, dass Sie auf dem Umweg über andere gelernt haben, sich selber auf die Spur zu kommen.

Man muss sich selber einbringen, das ist doch klar. „Hand wird nur von Hand gewaschen. Wenn du nehmen willst, dann gib“, sagte Goethe. Das ist natürlich sorgfältig zu dosieren, denn die Leute, denen Sie begegnen, wollen und sollen natürlich von sich selber reden. Was sie aber vielleicht nicht immer merken, ist, dass das Sich-Öffnen des Gesprächspartners sie erst zum Reden veranlasst. Dass ich das damals für das deutsche Fernsehen erfunden habe, haben mir viele Leute übel genommen.

Inwiefern übel genommen?

Das deutsche Fernsehen ist eine Gründung der Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg. Und speziell die BBC und ihr ausgeprägtes Objektivitätsethos spielten da eine große Rolle. Andererseits weiß man aber auch, dass es gerade in der BBC möglich war, einen Film, der mit einer Anti-Apartheid-Haltung gedreht war, um die Hälfte zu kürzen und daraus ein Meinungsstück für die Apartheid zu machen. Objektivität bemisst sich für deren Statthalter letztlich doch nach Maßstäben, was politisch opportun ist. Irgendwann, sehr schnell, stellte ich fest, dass ich auf dem Objektivticket gar nicht fahren kann.

Auf welchem Ticket sind Sie dann gefahren?

In meinen Augen ist Journalismus, so wie ich ihn für mich buchstabiert und auch jahrzehntelang praktiziert habe, nur unwesentlich anders als Literatur: eine Sache, gesehen durch eine Persönlichkeit mit einem bestimmten Temperament. Der Dokumentarismus, so wie ich ihn für mich entwickelt habe, wollte und konnte deshalb auch nie die Wiedergabe eines Sachverhalts sein, der an-und-für-sich und so-und-nicht-anders existiert. Ich sehe eine Begegnung auf meine Art – ich versuche es jedenfalls, sie auf meine Art zu sehen, denn es ist ja gar nicht einfach, zu sich selber zu kommen. Und was dann rauskommt, ist ein Gesprächsangebot. Man kann die Dinge tumb aneinanderreihen und sagen, na ja, so ist es eben passiert, oder man kann versuchen, eine Form zu bauen, die eine gewisse Spannung vermittelt und den Reiz des Kennenlernens, auch das Eintauchen in ein Thema oder eine Person transportiert.

Können Sie sich vorstellen, dass man Sie, so wie man es von Roland Barthes gesagt hat, vor eine Zigarrenkiste setzt und Sie nach hinreichender Versenkung in den Gegenstand dann so etwas wie eine Mythologie der Zigarrenkiste präsentieren?

Ja, der Barthes konnte so was. Toll, nicht wahr? Das könnte ich sicher nicht, wollte es auch nicht! Mich würde eher der Besitzer oder die Besitzerin der Zigarrenkiste interessieren. Dabei könnte dann die Zigarrenkiste zu einem wichtigen Requisit werden. Aber das müsste sich ergeben. Das dürfte ich mir nicht vornehmen.

Ich erinnere mich an eine Ihrer Personenbeschreibungen, in der es um einen Delfinforscher geht. Mein Interesse für Delfine ist eigentlich nie über „Flipper“ hinausgegangen. Damals, als ich diesen Film sah, kam es mir aber auf einmal so vor, als wäre es ein großes Versäumnis, sich nicht für Delfine zu interessieren.

Das war John Lilly. Im Zweittitel hieß er Delphine und Denkmodelle. Als meine Hauptaufgabe habe ich es immer angesehen, solchen Menschen wie John Lilly zu vermitteln, dass wir in diesem Moment der Begegnung ausschließlich an ihnen interessiert sind und an sonst nichts auf der Welt. Und nicht nur das, sondern dass wir auch fähig sind, sie zu verstehen. Das ist für diese Menschen ungeheuer wichtig. Und dann geht es darum, ihnen plausibel zu machen, dass sie in mir – seien sie Bullenreiter oder Modeschöpfer, Vietnamveteranen oder Delfinforscher, christliche Prediger oder jugendliche Verbrecher – jemanden gefunden haben, der sich mit ihrem Problemfeld auseinandergesetzt hat. Hab ich ja meistens nicht, aber meine Aufgabe als Filmemacher ist es, das zumindest glaubwürdig vorgeben zu können.

Über sich selbst sagten Sie einmal, als wären Sie ein Protagonist Ihrer „Personenbeschreibungen“: „Sieht überall aus wie ein Ausländer, ist Österreicher aus jüdischer Familie, hat amerikanischen Pass, nahm Wohnung in Paris, fühlt sich dem deutschen Kulturraum zugehörig.“ Das Thema Emigration, obwohl bestimmend für Ihre Identität, wie Sie oftmals in späten Jahren betont haben, tauchte lange Zeit in dem öffentlichen Bild, das man von Ihnen hatte, gar nicht auf.

Das ist seltsam, nicht wahr? Vermutlich habe ich mich das erste Mal ausführlich und ausdrücklich darüber geäußert, als man mich einlud, meine Selbstbeschreibung zu verfassen. Wann war das? 1988 oder so. Das hatte ja dann auch zur Folge, dass in dem Buch die Zeit bis zum Beginn meines Berufslebens gut drei Viertel des Umfangs ausmacht, was immerhin 300 Seiten sind. Ich hatte also anscheinend viel nachzuholen.

Erkennen Sie sich also wieder in diesem Emigrantenwitz, der ungefähr so geht, dass jemand fragt: Was ist ein Emigrant …

… und in der Antwort heißt es dann: Ein Emigrant ist erschütternd, zehn Emigranten sind langweilig, 100 sind selber dran schuld? Ja, sicher kenne ich den. Ich kann das noch mit einer Anekdote anreichern: Ich saß einmal beim Chefredakteur eines Senders, das muss Mitte der 60er gewesen sein, als ein Anruf kam und ich ihn sagen hörte: „Oh Gott, ist jetzt schon wieder die Kristallnacht fällig. Das müssen wir ja wahrnehmen!“ Als er aufgelegt hatte, sagte ich ihm: „Wissen Sie eigentlich, dass ich dabei war?“ Das hat ihn verstört, so einen bei sich sitzen zu haben. Er wollte das Thema ja nur „wahrnehmen“, das heißt, es sollte natürlich einen objektiven Bericht geben. Was ich damit sagen will: Es hat keiner, der unter dem Nazi-Terror gelitten hatte, von sich aus darüber gesprochen, und niemand hat einen möglicherweise Betroffenen danach gefragt.

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