Alles anders ist normal

Familienmodelle Sobald Familien dem Vater-Mutter-Kind-Modell nicht mehr entsprechen, brauchen sie im Alltag viel Fantasie. Drei Gesprächsprotokolle


Ich bin Hartz-IV-Empfänger und kam vor acht Jahren nach Berlin, um eine eigene Redaktion von Querkopf aufzubauen. Das ist eine linke Obdachlosenzeitung, die auf das ewige Selbstmitleids-Gejammer verzichtet. Für mich alleine wäre meine Wohnung in Neukölln um 400 Euro über dem vom Staat erlaubten Mietsatz von 325 Euro gewesen. Deswegen habe ich 2003 einen Untermieter in meine Wohnung mit reingebracht, den Herrn Thormann.

./resolveuid/0b14933e44b429605cfd834e82504a7eAls ich ihn kennengelernt habe, hat er noch in einem Obdachlosenheim gewohnt und ist im Alkohol versackt. Da habe ich ihn zum Querkopf geholt und mit zu mir in die Wohnung genommen. Das war schon eine Umstellung, aber ich habe das freiwillig gemacht. Anfangs habe ich ihm gesagt, er soll das Trinken in der Wohnung ganz lassen; doch er hat ständig gezittert und so habe ich ihm gesagt: Damit du das in den Griff kriegst, hol dir doch dein Bier an der Ecke, aber lass den Schnaps sein. Das hat sich dann gebessert – aber nur zum Schein. Später wurde ihm die Milz rausgenommen; in den Knast musste er auch, weil er zu oft schwarz gefahren ist. Er lässt die Sachen einfach laufen. Wenn ich mich nicht um ihn kümmere, dann eskaliert es irgendwann.

Nachdem Hartz IV eingeführt wurde, machte das Amt aus unserer Wohngemeinschaft eine Bedarfsgemeinschaft. Lange Zeit gab es keine Probleme. Bis zum vorigen Jahr. Da hat sich das Bezirksamt Neukölln wie aus heiterem Himmel geweigert, die Nebenkosten für Herrn Thormann zu bezahlen. Das haben die gar nicht begründet. Erst als wir nachgehakt haben: Im Mietvertrag stehe nicht, dass Herr Thormann als Untermieter für Nebenkosten und Mieterhöhungen mit aufkommen muss. So könne das Amt auch nicht zahlen. Herr Thormann könne sich aber gerne an das Sozialgericht wenden. Von 2003 bis 2009 war das alles kein Problem gewesen. Meine Nebenkosten hatten sie ja auch übernommen. Anfang des Jahres habe ich einen Antrag wegen den Nebenkosten gestellt, der ist abgelehnt worden. Jetzt gehen wir wirklich vors Gericht.

Die Nebenkosten hat erst einmal der Querkopf übernommen. Das ist Hilfe zur Selbsthilfe. Herr Thormann muss die aus dem Verkauf der Zeitungen zurückzahlen. Er zahlt das in Raten zurück, und das hat er bald auch weg. Hätte ich die Nebenkosten nicht gezahlt, hätten wir beide die Wohnung verloren und wären obdachlos geworden. Nach drei Mahnungen gibt es ja die fristlose Kündigung.

Werner Schneidewind, 59, wohnt in einer Hartz-IV- Bedarfsgemeinschaft
Protokoll: Benjamin von Brackel



"Dass der Junge später Papa zu mir sagt"

Mit der leiblichen Mutter meines Jungen und ihrer Lebenspartnerin bin ich schon seit Jahren befreundet, eine Liebesbeziehung hatten wir jedoch nie. Nach der Verpartnerung mit ihrer Freundin haben die beiden mich gefragt, ob ich nicht Samenspender für ein Kind werden wolle. Für uns alle war klar, dass das Baby neben seinen Müttern auch eine männliche Bezugsperson haben soll. Ich bin regelmäßig bei den dreien zu Besuch, und der Kleine wird von Anfang an wissen, wer sein Vater ist. Sonst hätte ich mir auch nicht vorstellen können, meinen Samen zu spenden. Die Vorstellung, dass später ein fremder Jugend­licher vor meiner Tür steht und sagt „Ich bin übrigens dein Kind“ finde ich schlimm – für ihn wie für mich.

./resolveuid/a708cf288ebca6032977d653c391fcacVor der Samenspende haben wir lange darüber geredet, wie wir alles rechtlich regeln können. Ich bin zwar Anwalt, aber eine Konstellation wie unsere ist im Familienrecht schlicht nicht vorgesehen. Wenn ich mir vorstelle, dass sich auch Laien durch diesen Gesetzeswust durcharbeiten müssen, wird mir ganz anders. Schließlich hat jede rechtliche Konstruktion Vor- und Nachteile. Eine Möglichkeit, die genau zu unserer Situation passt, gibt es nicht.

Wir haben es jetzt so gemacht, dass ich das Kind schon vor der Geburt zur Adoption freigegeben habe, die Vaterschaft aber nicht offiziell anerkannt habe. Das klingt vielleicht seltsam, ist gesetzlich aber möglich. Der Vorteil ist, dass die Partnerin der leiblichen Mutter das Kind als Stiefkind adoptieren kann. Sollte sich unser Verhältnis wider Erwarten einmal massiv verschlechtern, könnten die Mütter von mir keinen Unterhalt einklagen. Nachteilig ist, dass ich das komplette Sorgerecht abgeben musste. Im Moment finde ich das nicht so dramatisch, schließlich verstehen wir uns alle prächtig. Mir ist aber schon wichtig, dass der Junge später einmal „Papa“ zu mir sagt. Abgesehen davon, dass wir eine Beziehung zueinander haben sollen, ist es auch wichtig für den schrecklichen Fall, dass den beiden Müttern einmal etwas zustoßen sollte. Die leibliche Mutter hat zwar in ihrem Testament verfügt, dass der Junge dann zu mir kommen soll, aber bei einem Waisenkind prüft das Jugendamt immer, welche Bezugspersonen das Kind hat.

Ich würde mir wünschen, dass die Gesetze es uns einfacher machen, zu dritt Eltern zu sein. Schließlich übernehmen hier Menschen füreinander Verantwortung, das ist doch nichts, was man kompliziert machen sollte.

Werner Bertingen*, 45, ist Anwalt und Vater eines Sohnes, der bei einem lesbischen Paar aufwächst
*Name geändert Protokoll: Steffen Kraft




Seit sechs Jahren leben meine zwei Kinder und ich in einer klassischen Patchwork-Familie. Janik ist 12 Jahre, Rafael 9 Jahre alt. Beide leben bei mir, meinem jetzigen Partner und dessen 18 Jahre alten Sohn. Dieser Sohn lebt die Hälfte der Woche bei uns und die andere Hälfte bei seiner Mutter, teilt sich die gemeinsame Zeit mit seinen Eltern also gerecht. Mit meinem neuen Partner bin ich nicht verheiratet, weil wir darin im Moment keinen wirklichen Vorteil für uns sehen.

./resolveuid/faf55f028d48ef421e625456d0fd3fc4Der Vater meiner Söhne hat lediglich ein Umgangsrecht. Die Kinder sehen ihn alle 14 Tage am Wochenende und in den Ferien. Zwischen diesen Besuchen besteht gar kein Kontakt, den Alltag meistern wir komplett in unserer neuen Lebenssituation. Anders ist das bei dem Sohn meines Partners: Hier bringen sich beide Elternteile gleichermaßen in den Alltag des gemeinsamen Sohnes ein.

Dadurch gibt es logischerweise auch keine Unterhaltszahlungen, die von einer Seite zur anderen fließen, denn die Kosten sind da gerecht verteilt. So eine Situation ist vom Gesetzgeber aber eigentlich nicht vorgesehen: Normalerweise geht der Staat davon aus, dass das Kind hauptsächlich bei einem Elternteil lebt. Ist dies nicht der Fall, müssen die Eltern es unter sich ausmachen, wer das Kind steuerlich geltend macht und den Ausgleich dann gerecht aufteilen. Einfacher wäre es natürlich, wenn diese moderne Einteilung der Zeit auch vom Gesetz her bedacht werden würde.

Aber auch im Falle meiner Kinder ist die gesetzliche Lage nicht einfach. Es gibt viele Entscheidungen im Alltag, zum Beispiel die Schulanmeldung oder Einverständniserklärungen bei Klassenfahrten, die normalerweise das Einverständnis beider Elternteile bedürfen. Der leibliche Vater meiner Söhne hat aber in unserem Fall nichts mit dem Lebensalltag zu tun und steht weder für die Betreuung noch für erforderliche Unterschriften zur Verfügung. Wenn ich beispielsweise beruflich unterwegs bin, regelt mein jetziger Partner alle schulischen Angelegenheiten der Kinder. Eigentlich dürfte er, was die gesetzliche Lage angeht, aber nicht einmal seine Unterschrift unter eine Klassenarbeit setzen. Als Patchwork-Familie sind wir deshalb oft auf die Toleranz der Schule angewiesen. Der Staat sollte eigentlich ermöglichen, dass konkrete Entscheidungen auch da getroffen werden, wo der Alltag der Kinder stattfindet.

Regine K., 44, lebt mit ihren zwei leiblichen Söhnen mit einem neuen Mann zusammen, der ebenfalls schon einen Sohn hat
Protokoll: Anna-Lena Krampe

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