Alles gegen die Sekte

Heimsuchung Entgegen der Darstellung der meisten Medien protestierten in Kopenhagen nicht nur Autonome für ein neues Ungdomshuset

Der Schaden erreichte Millionenhöhe, dennoch waren die Reaktionen nach den Ausschreitungen in Kopenhagen am letzten Wochenende bemerkenswert moderat. Selbst der Einzelhandelsverband des betroffenen Stadtteils Nørrebro erklärte nach den Krawallen, die sich an die Räumung eines demonstrativ besetzten Ersatzhauses anschlossen, ein gewisses Verständnis für das Anliegen der Randalierer: ein neues Ungdomshuset.

Entgegen der Darstellung in den meisten Medien war der Kampf um das vor einem halben Jahr abgerissene autonome Jugendzentrum nicht allein auf "Linke" oder "Autonome" beschränkt. An den Demonstrationen hatten ebenfalls viele Dänen aus der Mitte der Gesellschaft teilgenommen, für die das Haus einen geschichtlichen Wert verkörpert und die nicht einsehen wollten, weshalb die Stadt Kopenhagen diesen aufzugeben gedachte.

Das Folkets Hus - später Ungdomshuset (Jugendhaus) - war im Jahr 1897 durch die Arbeiterbewegung als eines von vier Volkshäusern der Hauptstadt errichtet worden, nachdem Mitte des vorletzten Jahrhunderts die staatliche Repression immer stärker zugenommen hatte und Gaststättenbesitzer gehindert worden waren, Sozialisten Versammlungsräume zur Verfügung zu stellen. Das Folkets Hus diente als Treffpunkt, um Demonstrationen zu organisieren, es fanden Fortbildungen, Schulungen und Feste statt. Clara Zetkin und die Frauenkonferenz erklärten hier 1910 den 8. März zum Internationalen Frauentag. Eine der Teilnehmerinnen, die Dänin Nina Bang, sollte später die weltweit erste Ministerin werden. Lenin und Rosa Luxemburg hielten im Volkshaus Vorträge, und eigentlich hätte das Folkets Hus noch um einen Vergnügungs- und Erholungspark für Arbeiter und ihre Familien erweitert werden sollen.

In den fünfziger Jahren wurde das Folkets Hus nicht mehr benötigt. Die Gewerkschaften errichteten eigene Gebäude, die Arbeiterbewegung zersplitterte in einzelne Gruppierungen und das Haus stand lange Zeit leer, bis es schließlich im Jahr 1982 besetzt, zum Ungdomshuset wurde und als Kulturzentrum wiedererstand.

Dass es ausgerechnet die fundamentalistisch-christliche Sekte Fadres Hus sein sollte, die das letzte erhaltene ehemalige Volkshaus erwarb und abriss, hat selbst bei bürgerlichen Dänen Empörung ausgelöst. In allzu bizarrem Gegensatz steht die Geschichte des Hauses, die doch immer für das Mühen um Emanzipation und Menschenrechte stand, zum Weltbild der Sekte. Hass auf Andersgläubige, Schwule, Aufklärung und Demokratie gehören zum von ihr aggressiv verbreiteten Glauben. Eine von Fadres Hus betriebe Schule wurde von staatlichen Aufsichtsbehörden geschlossen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass dort kreationistische Ideologie statt moderne Wissenschaft vermittelt wurde.

Nach dem Abriss verlangten die ehemaligen Bewohner des Ungdomshuset ein neues Haus - unter anderem um weiterhin Kulturveranstaltungen anbieten zu können. Im alten Jugendzentrum hatte man Konzerte zu moderaten Eintrittspreisen organisiert und Bands und Interpreten wie Björk, Nick Cave und Green Day eine Chance zum Auftritt gegeben - bevor diese berühmt geworden waren.

Falls die Kopenhagener Lokalpolitiker erwartet hatten, es würde mit der Zeit ruhig werden um die Ungdomshuset-Bewegung, mussten sie sich am letzten Wochenende eines Besseren belehren lassen. Den Krawallen ging eine Aktionswoche voraus, in der die Aktivisten mit einem bunten Programm an ihre Forderung erinnerten, was von der Bevölkerung durchaus wohlwollend aufgenommen wurde.

Die Bilder von den Ausschreitungen allerdings haben die Dänen schockiert. Schließlich gehören brennende Barrikaden, Vermummte und zerstörte Geschäfte nicht zu den alltäglichen Erscheinungen im Land. Die unweigerlich aufkommende Frage, ob ein berechtigtes Anliegen gewaltsam vorgetragen werden darf, hat als Gewaltdebatte auch die Ungdomshuset-Aktivisten erreicht: "Wir lieben den Stadtteil ja, und es ist sicher nicht optimal, sozusagen in den eigenen Hintergarten zu pinkeln", erklärte eine Sprecherin nach den Ausschreitungen. Die Empörung der Anwohner Nørrebros sei verständlich, man werde sich bemühen, die Proteste und Aktionen künftig in verschiedenen Stadtteilen der dänischen Hauptstadt stattfinden zu lassen, vor allem vor dem Rathaus. Denn es sei ja die Politik, mit der man unzufrieden sei.


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