Wer über Franz Josef Strauß schreibt, achtet höchstens darauf, dass er nicht außer Atem kommt. Höhepunkte, Tiefpunkte und Skandale gab es bekanntlich reichlich. Gleich zwei Autoren haben jetzt aus Anlass seines 100. Geburtstages stattliche Wälzer vorgelegt. Beide setzen den CSU-Politiker in ein günstiges Licht. Gut so, auf Strauß ist jahrzehntelang so kräftig eingeprügelt worden, dass alles andere langweilig wäre.
Wo aber sind die Unterschiede? Die eine Biografie stammt von dem renommierten Historiker Horst Möller. Sie trägt den Untertitel Herrscher und Rebell. Die andere hat einen Politikwissenschaftler und Journalisten zum Autor. Der Untertitel seines Buchs: Ein Leben im Übermaß. Beide verraten sofort die Perspektiven ihrer Autoren – im Guten wie im weniger Guten. Schlecht sind sie nicht. Etwas zu kurz kommt vielleicht die Unterhaltung, beispielsweise wenn der Professor unermüdlich lange Referate von den langen Reden hält.
Nimmt man die legendären Strauß-Skandale, spürt der Journalist in ihnen das für Strauß Typische auf und setzt es überzeugend ins Bild. Der Historiker untersucht akribisch wie ein Gerichtsmediziner. Das ist verdienstvoll, insofern dieser zumeist herausarbeitet, dass man Strauß mit den meisten Beschuldigungen Unrecht getan hat. Aber heute ist die Erinnerung an die Skandale so tot wie das Mordopfer, da hilft auch sorgfältigste Schilderung nicht. Aber warum ist Strauß das immer wieder passiert? Hier wagt der Journalist mehr Analyse. Und er findet genau den Punkt.
Es war im Jahr 1958. Der Verteidigungsminister hat es eilig und weist den Fahrer seines BMW an, ein Haltesignal zu ignorieren, worauf Hauptwachtmeister Hahlbohm Anzeige erstattet und die Posse beginnt. Die Sache beschäftigt die Justiz, die Gewerkschaft, die Presse (international), die Politik. „Die ganze Justizpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen“ spiele „eine wesentliche Rolle im Kampf gegen die Bundesregierung“, Strauß bringt den Streit bis ins Bundeskanzleramt. Die Erbitterung, mit der Strauß den 24-jährigen Hahlbohm verfolgte, steht der Erbitterung, mit der zumal der Spiegel Strauß verfolgte, in nichts nach. Kurz: Was Strauß geschah, lehrt diese Geschichte, war Strauß selbst.
Beim Historiker Horst Möller aber kommt diese Episode gar nicht vor. Sie ist ja auch für das Welttheater ohne Bedeutung. Dafür steht er dann fassungslos vor berühmteren Ausrutschern des Politikers, etwa der Sonthofen-Rede, in der er – nicht wie es kolportiert wurde, aber so ähnlich – verkündete, der Bundesrepublik müsse es erst viel schlechter gehen, bevor die Union ihr als Retter erscheinen dürfe. Oder der Wienerwald-Rede, in der er Helmut Kohl heruntermachte, wie es kein Freund oder Feind für möglich gehalten hätte.
Ominöses Kreuth
Die Spiegel-Affäre behandeln Möller wie Siebenmorgen so, dass man den Schluss ziehen kann, deswegen hätte der Verteidigungsminister nicht zurücktreten müssen. Wieder ist es der Journalist, der die Inszenierung der dreitägigen Redeschlacht im Bundestag so treffend inszeniert, dass eines klar wird: Ungeschick bei der Aufarbeitung des Vorgefallenen erzeugt schlimmere Fehler, als sie in der Sache selbst angelegt waren.
Auch bei Themen der Zeitgeschichte scheint der Journalist dem Historiker gegenüber einen Vorteil zu haben. Zum Beispiel der Kreuther Trennungsbeschluss. Strauß träumte schon lange von einer bundesweit als vierte Partei auftretenden CSU. Das verhinderten letztendlich die CSU-Mandatsträger aus den Städten und Landkreisen. Es stellt den Historiker Möller offenbar vor ein Rätsel. Der Journalist Siebenmorgen dagegen beobachtet, dass die ominöse Tagung in Wildbad Kreuth gar nicht sonderlich vorbereitet war. Geladen worden waren nur die üblichen Dauerberichterstatter. Das spektakuläre Ereignis wurde kümmerlich bekannt gegeben, weil niemand darauf gefasst war.
Was der Historiker vermeidet und was dem Journalisten peinlich misslingt, sind Ausflüge zum großen Geist. Beide Autoren, die sich nicht scheuen, Helmut Kohl kleinzumachen, um ihren Helden größer aussehen zu lassen, registrieren, dass ausgerechnet diese beiden vom Studium her Historiker waren. Bei Siebenmorgen führt das zu Betrachtungen, die in Bemerkungen münden wie etwa diese: „Ohne den Begriff der Tragik ist für Strauß jedes Geschichtsbild unvollständig.“
Zugegeben: Hier einen Vergleich zu wagen, ist reizvoll. Nur muss man dabei ausgehen von einem gewaltigen Unterschied: Strauß war Althistoriker, Kohl studierte Neuere Geschichte. Bei Strauß kam die Klassische Philologie hinzu, bei Kohl die Politikwissenschaft. Ein Althistoriker arbeitet völlig anders als ein Neuhistoriker – und das nicht etwa deshalb, weil er immerzu das Aufsteigen und Untergehen großer Reiche im Blick hat. Das Studium hat bei Kohl unübersehbar kräftiger nachgewirkt als bei Strauß, der die Hauptregel der griechischen Klassik: „Nichts zu sehr!“, immer und krass missachtet hat.
Strauß hat – und das zeigen beide Biografien erschöpfend – sein politisches Leben als bayrischer Ministerpräsident zur Vollendung gebracht. Zu Recht lobt man die großen Leistungen seines langjährigen Vorgängers Alfons Goppel. Aber auch Goppel und dessen hoch angesehener Vorgänger Hanns Seidel hätten nicht zustande gebracht, was auch mit ihrem Namen verbunden ist, wenn Strauß nicht der CSU vor allem in Bonn zu der Macht verholfen hätte, mit der sie bundespolitische Wohltaten ohne Ende nach Bayern lenken konnte. Auch SPD-geführte Bundesregierungen sahen sich genötigt, den bayernfreundlichen Kurs fortzusetzen, um ihre Genossen in München nicht vollends in die Bedeutungslosigkeit zu schicken.
Den bayrischen Ministerpräsidenten bezeichnet nun Möller als Weltpolitiker. Das sollte niemand dem Historiker anlasten. Hier spricht Möller als Enthusiast. Was ihn treibt, ist die Tatsache der Besuche des Bayern in aller Welt, sogar bei Mao Tse-tung. Er reist nicht nur, er wird auch emfangen.
Möller schließt sein Buch mit einer gewagten Vermutung. Da alle Kritik an seiner Person an seinem singulären Rang nichts ändern könne, hätte wohl Strauß selber solchem Befund „frei nach Platon hinzugefügt: ‚Alles Große steht im Sturm‘“. Das nun freilich ist nach Platon (Politeia) unkorrekt zitiert. Vor allem aber wäre es nicht frei: Es ist exakt das falsche Platon-Zitat, mit dem 1933 Martin Heidegger in Freiburg seine berüchtigte Rektoratsrede beendete. Und das tut man Franz Josef Strauß an, der nun eines gewiss von Anfang an und sein ganzes Leben hindurch war: ein Anti-Nazi.
Info
Franz Josef Strauß – Ein Leben im Übermaß Peter Siebenmorgen Siedler 2015, 768 S., 29,99 €
Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell Horst Möller Piper 2015, 832 S., 39,99 €
Kommentare 5
Stimmt. Er war kein Nazi, obwohl er Diktatoren bzw. Rassisten besuchte, wie er es brauchte. Aber dies hatte andere Gründe. Waffen oder so.
Er bezeichnete Schriftsteller, die ihm nicht paßten, auch schon mal "Ratten und Schmeißfliegen".
Aber am liebsten trank er Champagner aus Tonkrügen und prostete den Leberkäs-Essern zu.
"Vox populi, vox Rindvieh" war seine Devise.
Er war ein Politikunternehmer. Ein Pragmatiker und ein Analytiker durch und durch. Von seiner Bildung, seinem Wissen, seiner Erfahrung her sicher ein Intelektueller, in seinen Schlußvolkerungen und Konsequenzen unterscheidet er sich von den Intelektuellen aber. Weil ihm der Abstand zu den Dingen fehlt, wie es bei Siebenmorgen heißt.
Siebenmorgen hat ein absolut lesenswertes Buch geschrieben.
Natürliuch vom Stoff her, aber auch der Schreibstil- die kompakte+ kompetente Bearbeitung der Themen- machen die Biographie zu einem kurzweiligen Lesevergnügen.
Die Unterscheidung von Strauß und Kohl.: Der eine spricht perfekt Latein der andere perfekt pfälsich, läßt einen schmunzeln.
Was mir aufgefallen ist, das ein Herr R. Augstein mit seinem Magazin sehr gut von Strauß gelebt hat. Was wäre wohl aus dem Spiegel geworden , wenn es F. J. Strauß nicht gegeben hätte. Der Spiegel und Strauß waren ein gutes Geschäftsmodell. Strauß war schlau genug dies zu durchschauen. Vielleicht wurde er ja an den Einnahmen beteiligt.
Im Zusammenhang mit Geld ist bei Strauß keine Spekulation zu abwegigf , um sie nicht für mnöglich zu halten. Wie gesagt, er war ein Politikunternhmer.
@Grenzlicht:
"Der eine spricht perfekt Latein, der andere perfekt pfälsich"..
a) Pfälsich oder pälzisch?
b)Strauß war auch Jäger...
c)Der Provinzler hatte ihn aber ausgetrickst. Bei der Wahl zum Kandidaten 1980 hatte er FJS den Vortritt gelassen, weil Kohl wußte, daß Strauß gegen Schmidt keine Chance hatte und für ihn dann der Weg frei ist. Es gab noch einen anderen Kandidaten der Union, nämlich der nieders. MP Ernst Albrecht. Diesen hatte Kohl auch verhindert, weil er befürchtete, daß Albrecht die abs. Mehrheit holt.
In der "Spiegel"-Affäre hätte Strauß natürlich als Verteidigungsminister zurücktreten müssen.
Ja, man kann sich nur wundern wie weit der Provinzler mit seinem kleinen Politikeinmaleins gekommen ist. Das bestätigt die These, dass die Geschichte, weniger pathetisch - die Umständene oder die Gelegenheit- Staatsleuten eine Bedeutung , weit über deren Verhältnisse zukommen läßt. Kohl war duechschnittlich,
Und er konnte abwarten. Er musste abwarten, denn gestalten konnte er nicht. Ich frage mich bis heute, wer auf die Idee des 10 Punktepla
planes kam.
Strauß hingegen war der Analytiker, der Macher, der Gestalter.
Bei ihm war das Können größer als das Wollen. Bei Kohl war es umgekehrt.
Albrechr wer?