Strauß im Januar 1988, da hatte er noch neun Monate zu leben
Foto: imago/bonn-sequenz
Wer über Franz Josef Strauß schreibt, achtet höchstens darauf, dass er nicht außer Atem kommt. Höhepunkte, Tiefpunkte und Skandale gab es bekanntlich reichlich. Gleich zwei Autoren haben jetzt aus Anlass seines 100. Geburtstages stattliche Wälzer vorgelegt. Beide setzen den CSU-Politiker in ein günstiges Licht. Gut so, auf Strauß ist jahrzehntelang so kräftig eingeprügelt worden, dass alles andere langweilig wäre.
Wo aber sind die Unterschiede? Die eine Biografie stammt von dem renommierten Historiker Horst Möller. Sie trägt den Untertitel Herrscher und Rebell. Die andere hat einen Politikwissenschaftler und Journalisten zum Autor. Der Untertitel seines Buchs: Ein Leben im Übermaß. Beide verraten sofort die Perspekti
erraten sofort die Perspektiven ihrer Autoren – im Guten wie im weniger Guten. Schlecht sind sie nicht. Etwas zu kurz kommt vielleicht die Unterhaltung, beispielsweise wenn der Professor unermüdlich lange Referate von den langen Reden hält.Nimmt man die legendären Strauß-Skandale, spürt der Journalist in ihnen das für Strauß Typische auf und setzt es überzeugend ins Bild. Der Historiker untersucht akribisch wie ein Gerichtsmediziner. Das ist verdienstvoll, insofern dieser zumeist herausarbeitet, dass man Strauß mit den meisten Beschuldigungen Unrecht getan hat. Aber heute ist die Erinnerung an die Skandale so tot wie das Mordopfer, da hilft auch sorgfältigste Schilderung nicht. Aber warum ist Strauß das immer wieder passiert? Hier wagt der Journalist mehr Analyse. Und er findet genau den Punkt.Es war im Jahr 1958. Der Verteidigungsminister hat es eilig und weist den Fahrer seines BMW an, ein Haltesignal zu ignorieren, worauf Hauptwachtmeister Hahlbohm Anzeige erstattet und die Posse beginnt. Die Sache beschäftigt die Justiz, die Gewerkschaft, die Presse (international), die Politik. „Die ganze Justizpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen“ spiele „eine wesentliche Rolle im Kampf gegen die Bundesregierung“, Strauß bringt den Streit bis ins Bundeskanzleramt. Die Erbitterung, mit der Strauß den 24-jährigen Hahlbohm verfolgte, steht der Erbitterung, mit der zumal der Spiegel Strauß verfolgte, in nichts nach. Kurz: Was Strauß geschah, lehrt diese Geschichte, war Strauß selbst.Beim Historiker Horst Möller aber kommt diese Episode gar nicht vor. Sie ist ja auch für das Welttheater ohne Bedeutung. Dafür steht er dann fassungslos vor berühmteren Ausrutschern des Politikers, etwa der Sonthofen-Rede, in der er – nicht wie es kolportiert wurde, aber so ähnlich – verkündete, der Bundesrepublik müsse es erst viel schlechter gehen, bevor die Union ihr als Retter erscheinen dürfe. Oder der Wienerwald-Rede, in der er Helmut Kohl heruntermachte, wie es kein Freund oder Feind für möglich gehalten hätte.Ominöses KreuthDie Spiegel-Affäre behandeln Möller wie Siebenmorgen so, dass man den Schluss ziehen kann, deswegen hätte der Verteidigungsminister nicht zurücktreten müssen. Wieder ist es der Journalist, der die Inszenierung der dreitägigen Redeschlacht im Bundestag so treffend inszeniert, dass eines klar wird: Ungeschick bei der Aufarbeitung des Vorgefallenen erzeugt schlimmere Fehler, als sie in der Sache selbst angelegt waren.Auch bei Themen der Zeitgeschichte scheint der Journalist dem Historiker gegenüber einen Vorteil zu haben. Zum Beispiel der Kreuther Trennungsbeschluss. Strauß träumte schon lange von einer bundesweit als vierte Partei auftretenden CSU. Das verhinderten letztendlich die CSU-Mandatsträger aus den Städten und Landkreisen. Es stellt den Historiker Möller offenbar vor ein Rätsel. Der Journalist Siebenmorgen dagegen beobachtet, dass die ominöse Tagung in Wildbad Kreuth gar nicht sonderlich vorbereitet war. Geladen worden waren nur die üblichen Dauerberichterstatter. Das spektakuläre Ereignis wurde kümmerlich bekannt gegeben, weil niemand darauf gefasst war.Was der Historiker vermeidet und was dem Journalisten peinlich misslingt, sind Ausflüge zum großen Geist. Beide Autoren, die sich nicht scheuen, Helmut Kohl kleinzumachen, um ihren Helden größer aussehen zu lassen, registrieren, dass ausgerechnet diese beiden vom Studium her Historiker waren. Bei Siebenmorgen führt das zu Betrachtungen, die in Bemerkungen münden wie etwa diese: „Ohne den Begriff der Tragik ist für Strauß jedes Geschichtsbild unvollständig.“Zugegeben: Hier einen Vergleich zu wagen, ist reizvoll. Nur muss man dabei ausgehen von einem gewaltigen Unterschied: Strauß war Althistoriker, Kohl studierte Neuere Geschichte. Bei Strauß kam die Klassische Philologie hinzu, bei Kohl die Politikwissenschaft. Ein Althistoriker arbeitet völlig anders als ein Neuhistoriker – und das nicht etwa deshalb, weil er immerzu das Aufsteigen und Untergehen großer Reiche im Blick hat. Das Studium hat bei Kohl unübersehbar kräftiger nachgewirkt als bei Strauß, der die Hauptregel der griechischen Klassik: „Nichts zu sehr!“, immer und krass missachtet hat.Strauß hat – und das zeigen beide Biografien erschöpfend – sein politisches Leben als bayrischer Ministerpräsident zur Vollendung gebracht. Zu Recht lobt man die großen Leistungen seines langjährigen Vorgängers Alfons Goppel. Aber auch Goppel und dessen hoch angesehener Vorgänger Hanns Seidel hätten nicht zustande gebracht, was auch mit ihrem Namen verbunden ist, wenn Strauß nicht der CSU vor allem in Bonn zu der Macht verholfen hätte, mit der sie bundespolitische Wohltaten ohne Ende nach Bayern lenken konnte. Auch SPD-geführte Bundesregierungen sahen sich genötigt, den bayernfreundlichen Kurs fortzusetzen, um ihre Genossen in München nicht vollends in die Bedeutungslosigkeit zu schicken.Den bayrischen Ministerpräsidenten bezeichnet nun Möller als Weltpolitiker. Das sollte niemand dem Historiker anlasten. Hier spricht Möller als Enthusiast. Was ihn treibt, ist die Tatsache der Besuche des Bayern in aller Welt, sogar bei Mao Tse-tung. Er reist nicht nur, er wird auch emfangen.Möller schließt sein Buch mit einer gewagten Vermutung. Da alle Kritik an seiner Person an seinem singulären Rang nichts ändern könne, hätte wohl Strauß selber solchem Befund „frei nach Platon hinzugefügt: ‚Alles Große steht im Sturm‘“. Das nun freilich ist nach Platon (Politeia) unkorrekt zitiert. Vor allem aber wäre es nicht frei: Es ist exakt das falsche Platon-Zitat, mit dem 1933 Martin Heidegger in Freiburg seine berüchtigte Rektoratsrede beendete. Und das tut man Franz Josef Strauß an, der nun eines gewiss von Anfang an und sein ganzes Leben hindurch war: ein Anti-Nazi.Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.