Alles, nur kein Sozialapostel

Russland Präsident Dmitri Medwedjew denkt an eine zweite Privatisierungswelle

In dieser Woche als Präsident vereidigt, will sich Dmitri Medwedjew in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft auf die "vier Großen I" konzentrieren - auf Institute, Infrastruktur, Innovationen und Investitionen, um damit die vier Nationalen Projekte voranzubringen. Dem Wohnungsbau, dem Bildungs- und Gesundheitswesen sowie der Agrarwirtschaft hatte sich bereits Wladimir Putin gewidmet. Dabei wolle seine Regierung, das Privateigentum schützen "und administrative Schranken" beseitigen, so Medwedjew. "Freiheit ist besser als Unfreiheit. Freiheit überall - persönliche Freiheit, wirtschaftliche Freiheit, Freiheit zur Selbstverwirklichung."

Dank solcher Sätze wird Russlands neuer Staatschef allgemein als Liberaler empfunden. Was Medwedjew über Marktwirtschaft und bürgerliche Freiheiten zu sagen habe, klinge "spektakulär in unseren Ohren", so Außenminister Steinmeier, auch wenn man abwarten müsse, was wirklich geschieht. Vorgänger Putin hatte Russlands Wirtschaft einst mit Modernisierungsgelöbnissen bedacht und dem Wohlstand dienen wollen. Tatsächlich aber legitimierte er Jelzins Privatisierungen, indem er sie mit der Begründung, dies sei für "die Rettung Russlands" unausweichlich, staatlicher Kontrolle unterwarf. Das bedeutete freilich auch, zu einem Minimum an sozialer Verantwortung zurückzukehren und die Unternehmen zu vergattern, wieder Steuern und Löhne zu zahlen. Es kam zum Schwur, als der Öl-Magnat Chodorkowski 2004 ins Gefängnis wanderte und der Bevölkerung bedeutet wurde, in Russland gilt soziale Gerechtigkeit nicht länger als Auslaufmodell. Als der Kreml nach dem Chodorkowski-Prozess bis dahin übliche Sozialleistungen "monetarisieren" wollte, erntete er landesweiten Protest.

Putin reagierte damals sofort und präsentierte einen Katalog von Vorschlägen, deren Kern ein Finanzierungsangebot war, um die Ausgaben für die Kommunen um 200 und das Gesundheitswesen um 80 Prozent anzuheben - Dmitri Medwedjew hatte diese Wohltaten als Vizepremier zu koordinieren und konnte Ende 2007 verkünden: 2006 habe der Staat für die "soziale Sphäre" 230 Milliarden Rubel (6,4 Milliarden Euro) ausgegeben - 2008 sollten es nun 300 Milliarden Rubel (8,4 Milliarden Euro) sein. Das war möglich, da ein galoppierender Ölpreis den 2004 eingerichteten Stabilitätsfonds auf phantastische 127,5 Milliarden Dollar anschwellen ließ.

Andererseits galt die allein monetäre Förderung der "sozialen Sphäre" nie als Königsweg - Putin wollte Sozialausgaben des Staates stets durch soziale Verantwortung der Wirtschaft flankiert sehen. Ehemals staatliche Unternehmen sollten wieder in eine soziale Infrastruktur investieren, die sie in den neunziger Jahren im Sog des Marktfiebers aufgegeben hatten. So schlossen etwa 2007 Lukoil und der Gouverneur der Region der Chanten und Mansen ein Abkommen, nach dem der Ölkonzern umgerechnet 38 Millionen Euro für den Bau von Wohnungen und Hospitälern aufzubringen hat, während die Region nur 15 Millionen dazu legt. Ein Rückgriff auf Gemeinschaftsstrukturen, von denen man 1991/92 glaubte, sie durch die Ökonomie des Geldes ersetzen zu können. Seinerzeit wurde versäumt, parallel zur Privatisierung gemeinschaftliches Eigentum zu modernisieren. Es entstanden - um ein Beispiel zu geben - keine Bausparkassen, kein sozialer Wohnungsbau und keine Mietergemeinschaften, um bis dato kollektive Strukturen zu ersetzen.

Sind nun Medwedjews Ankündigungen, sich dem "Abbau administrativer Schranken" zu widmen eine Kampfansage gegen das letzte, noch vorhandene Gemeineigentum? WTO und EU verlangen von Russland ohnehin mehr Freiräume für private Investoren auf dem Wohnungsmarkt und einen Privatisierungsschub bei Dienstleistungen, auch den sozialen. Das Tandem - liberaler Präsident, starker Premier - könnte das durchsetzen, vorausgesetzt eine Mehrheit der Bevölkerung lässt sich den sozialen Schneid so ohne weiteres abkaufen. Zweifel sind angebracht.

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