Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei, der Sozialdemokrat Frans Timmermans aus den Niederlanden oder sogar die dänische Liberale Margrethe Vestager? Am Ende schlugen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitglieder keinen der Spitzenkandidaten bei den Wahlen Ende Mai für die Führung der EU-Kommission vor. Stattdessen tauchte plötzlich der Name Ursula von der Leyen auf. Seither wird über Hinterzimmerdeals, das Spitzenkandidatenprinzip und das anstehende Votum des Europaparlaments zu von der Leyen diskutiert. Zu fragen wäre aber: Macht es überhaupt einen Unterschied, wer Kommissionspräsidentin ist?
Ursula von der Leyen könne Deutschland europäischer machen, hoffen die einen. Sie werde Europa deutscher machen, warnen die anderen. In jedem Fall gilt die noch amtierende Bundesverteidigungsministerin im Gegensatz zu ihrer CDU-Parteifreundin Angela Merkel vielen als leidenschaftliche Europäerin, fußend auf ihrem Geburtsort Brüssel und Äußerungen, in denen sie von einer „europäischen Armee“ und von den „Vereinigten Staaten von Europa“ träumt. Doch das sind beides leere Formeln.
Als leidenschaftlicher Europäer gilt schließlich auch Wolfgang Schäuble. Seine Vision von europäischer Integration aber beruht darauf, Politik Schritt für Schritt durch Regeln zu ersetzen. Eben dazu nutzte Schäuble als deutscher Finanzminister die Eurokrise – europäische Integration bedeutete hierbei, neoliberale Wirtschaftspolitik als ehernes Gesetz zu verfestigen.
Der Euro ist nach wie vor das eine Feld, von dem die Zukunft der EU abhängt, die Migration ist das andere. Was wäre diesbezüglich von Ursula von der Leyen zu erwarten? Wird eine von der CDU-Politikerin geführte EU-Kommission die europäischen Haushaltsregeln strenger durchzusetzen versuchen als ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker, insbesondere in Bezug auf Italien? Würde sie außerdem auf die „verstärkte Konditionalität“ gegen mitteleuropäische Länder setzen, wie Noch-EU-Kommissar Günther Oettinger es fordert, also Mittelkürzungen gegen eine Regierung verhängen, die sich zum Beispiel weigert, mehr Flüchtlinge aufzunehmen? So jedenfalls würde diese Kommission noch mehr als Vehikel zur Durchsetzung deutscher Interessen in Europa wahrgenommen, als dies ohnehin schon der Fall ist.
Viel wichtiger als die Personalie von der Leyen ist die strukturelle Macht Deutschlands in der EU. Das heißt nicht, dass Deutschland immer seinen Willen durchsetzen kann, wie oft impliziert wird. Deutschland ist kein Hegemon, sondern ein Halbhegemon. Im institutionalisierten Kontext der EU heißt das in der Praxis, dass Deutschland mächtig genug ist, die Regeln zu bestimmen, nicht aber mächtig genug, um sie durchzusetzen. Die anderen Mitgliedstaaten dagegen sind nicht mächtig genug, die Regeln zu ändern, wohl aber sie zu brechen. Das war auch zuletzt unter dem Luxemburger Jean-Claude Juncker so, und es wäre unter keinem anderen EU-Kommissionspräsidenten anders gewesen.
Ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob die Nominierung von der Leyens demokratisch sei. Schließlich birgt das Spitzenkandidatenprinzip jenes Versprechen, wonach die Bürger über den Chef der europäischen Exekutive in Wahlen entscheiden können. Doch diese Debatte lenkt von den eigentlichen demokratischen Problemen der EU ab. Denn ob der Spitzenkandidat der größten Gruppe im Europäischen Parlament automatisch Kommissionspräsident wird oder nicht, ändert nichts Wesentliches an der Struktur der EU-Institutionen, die ob ihrer Komplexität und Eigenlogik für jeden Demokratietheoretiker eine Herausforderung sind. Obwohl die Kommission eine Art von europäischer Exekutive sein soll, hat sie auch Machtbefugnisse, die eigentlich der Legislative vorbehalten sind. Das Parlament und der Rat sollen den zwei Kammern eines Parlaments entsprechen. Allein aber, welche das Unter- und welche das Oberhaus sein soll, ist unklar.
Mag die Beteiligung an der Europawahl dieses Jahr von 43 auf 51 Prozent gestiegen sein – die merkwürdige Struktur der EU führt dazu, dass vor allem zwischen nationalen Interessen, etwa im deutsch-französischen Streit über den Euro, und zwischen „Europäern“ und „Anti-Europäern“ debattiert wird. Eine europaweite Debatte zwischen links und rechts, etwa zu Veteilungsfragen, wie man sie von Demokratien auf nationaler Ebene kennt, existiert nach wie vor nicht.
In Europa besteht der Status quo darin, dass einer permanent regierenden Großen Koalition keinerlei Opposition außer der der „Anti-Europäer“ gegenübersteht. Einen Machtwechsel zwischen Regierungsparteien, je nachdem, ob sie Wahlen gewonnen oder verloren haben, gibt es nicht. Kurzum, es fehlt das, was gemeinhin als fundamentale Voraussetzung einer Demokratie gilt: die Möglichkeit, eine Regierung abzuwählen. Solange sich dies nicht ändert, wird die EU eine Scheindemokratie bleiben. Dabei ist nicht von Belang, wer künftig die Europäische Kommission führen wird.
Kommentare 9
Nach dem 14. Juli in Frankreich kann einem Angst und Bange werden. Der Militarismus ist in Europa wieder salonfähig geworden. Die Europäische Armee wird schneller kommen als je die USE. Die kommen nie! Militärische Forschung, weltweit die Nr.1 aller Forschungen, zeigt sich in Europa selbstbewusster denn je. Wenn nichts sonst klappt in der EU, eine Armee schon! Grande Nation, Grande Victoire, Grande Gloire und alles via Grandes Familles. Ob Frau von der Leyen EU-Chefin wird oder nicht, eine quantité négligeable. Die völlig alsche Richtung ist eingeschlagen. Mehr EUMilitarismus!
Ich bin für Völkerverständigung und ein gemeinsames Europa. Ich trete für die Menschenrechte und die UN-Charta ein.
Da ich Russland zu Europa zähle, den Palästinensern auch ein menschenwürdiges Leben zubillige, ein entschiedener Antimilitarist bin und sogar mit Rechten diskutiere, zähle ich zu den Antieuropäern, Putinverstehern, Antisemiten und Neurechten.
Ja so ist sie nun mal, unsere klein(geistig)e Welt.
Willkommen im Club!
vdL passt zum Neomilitarismus wie der berühmte Arsch auf den Eimer. Dass sie sich von den östlichen Frontvasallen der USA auf diesen Tron setzen lässt rundet das schöne Bild ab. Da steckt mehr als nur Gewinninteresse dahinter. Das ist Kriegsvorbereitung.
".....So jedenfalls würde diese Kommission noch mehr als Vehikel zur Durchsetzung deutscher Interessen in Europa wahrgenommen, als dies ohnehin schon der Fall ist."
Alles gesagt, nichts hinzuzufügen.
".....So jedenfalls würde diese Kommission noch mehr als Vehikel zur Durchsetzung deutscher Interessen in Europa wahrgenommen, als dies ohnehin schon der Fall ist."
Das ist keineswegs sicher. Da Frau v.d.L ja mit den Stimmen aller Mitgliedsstaten außer Deutschland nominiert wurde, und wahrscheinlich im EU Parlament von den deutschen Abgeordneten noch nicht mal alle Stimmen der deutschen EVP Abgeordneten kriegt, kann sie sich als Kommissionspräsidentin herausnehmen, auch einmal etwas gegen den Wunsch Deutschlands durchzusetzen.
Im übrigen ist es - wie der Autor ja selbst schreibt - eigentlich für die Ausrichtung der Politik der EU wurst, ob Frau v.d.L. Präsidentin wird oder jemand anderes. Daher bin ich dafür, dass sie morgen gewählt wird, damit die EU wenigstens handlungsfähig bleibt und einen gewählten Ansprechpartner für Putin, Xi und Trump hat. Zu besprechen gibt es da ja genug.
Sehr treffend fand ich die Feststellung: "dass Deutschland mächtig genug ist, die Regeln zu bestimmen, nicht aber mächtig genug, um sie durchzusetzen. Die anderen Mitgliedstaaten dagegen sind nicht mächtig genug, die Regeln zu ändern, wohl aber sie zu brechen."
Ein Verzicht auf Militär steht auf der Welt derzeit überhaupt nicht auf der Agenda. Daher wäre mir eine stärkere europäische Armee als kleineres Übel lieber als ein weiter so in einer NATO mit Türkei, Großbritannien und USA.
In Europa gibt es keine real existierende Demokratie!
Europa ist eine Meritokratie, die sich stringent in Richtung Oligarchie entwickelt.
Jetzt is sie zur Präsidentin von Europa gewählt, und trägt das Erbe des FJS unterm Herzen. Bald wird die EU eine atomare Rüstung vorantreiben, um noch ein allerletztes Mal alles gegen den Iwan in die Waagschale zu werfen. Die Verfügungsgewalt über Iwans Resourcen zu unseren Bedingungen würde uns nochmal 3 Jahrzehnte weiter-so schenken.
Ursula von der Leyen wird die Lehre aus den beiden Weltkriegen über Bord werfen:
Nie wieder Krieg!
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:K%C3%A4the_Kollwitz_Nie_wieder_Krieg.jpeg