Alles und nichts gesagt

G20-Gipfel Ein prächtiges Bouquet guter Vorsätze und Phrasen

Selten ist ein Gipfel mit so viel Vorschusslorbeeren bedacht worden. Der G20-Gipfel in Washington sollte die Welt vor dem Desaster einer Großen Depression retten. Kein kleine Aufgabe. Neben den G8-Staaten waren diesmal auch Schwellenländer wie China, Brasilien, Indonesien, Mexiko und die Türkei vertreten (zusammen stehen die zwanzig Nationen für fast 85 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung).

Ein neues Bretton Woods gab es freilich nicht, stattdessen die konventionellen Weisheiten der versammelten Elitenhäupter. Mehr "Transparenz", wie gehabt, beschränkte Boni für Manager, stärker überwachte Hedgefonds, zur Kooperation verpflichtete Steueroasen, eine höhere Eigenkapitalquote bei riskanten Geschäften. Eine Sammlung wohlfeiler Lippenbekenntnisse, die niemandem weh tut, eine Kollektion guter Vorsätze und Phrasen, wie sie Frau Merkel so liebt.

Die maßgebenden Ursachen der Weltfinanzkrise blieben außer Betracht. Weder die ungeheuren Schuldenberge, noch die weltweite Dollarschwemme wurden erwähnt. Ganz zu schweigen von der Spekulations-Springflut, der Kreditklemme, die von den Zentralbanken nach wie vor nicht aufgebrochen wird, der Tatsache, dass die USA die größte Defizitökonomie der Welt ist und auf Kosten aller anderen lebt, und nicht zuletzt der Rolle der Exportweltmeister Deutschland und China, die auf Kosten ihrer Nachbarn Triumphe feiern. Routiniert wird die Misere einer extrem ungleichgewichtigen Weltökonomie klein geredet, als würde man die Dimension der Krise schlicht nicht begreifen. Außer vorvorgestrigen Banalitäten fällt den Merkels, Bushs und Browns zur Weltkrise wenig ein. Woher auch? Ihre Staaten, nicht ihre Weltbilder sind erschüttert. Unbeeindruckt wiederholen sie das Mantra vom "freien Markt", die Lüge von der "sozialen Marktwirtschaft" und orakeln von "Überregulierung" und "Protektionismus". Bis heute haben sie nicht verstanden, dass diese Finanzkrise in einem der am stärksten regulierten und überwachten Märkte der Welt ausgebrochen ist. Auch scheint Merkel und Steinbrück entgangen zu sein, dass sie aus der EU und damit dem am stärksten integrierten und folglich regulierten Wirtschaftsraum der Welt kommen. Als Weltkrisenmanager sind diese Damen und Herren eine glatte Fehlbesetzung.

Schade, dass auch die Wortführer der Schwellenländer nicht den Mut oder Weitblick hatten, Klartext zu reden und etwas zu fordern, das wenigstens im Ansatz revolutionär wäre: Wie eine Transaktionssteuer für die Weltbörsen, vorrangig für den Devisen- und Derivate-Handel. Oder einen universellen Börsenzwang, um dem explosiven Wachstum der völlig unkontrollierten Finanzspekulation im außerbörslichen Handel Einhalt zu gebieten. Wann, wenn nicht jetzt, in der bislang größten Krise des Weltfinanzsystems, sollte man die fatale "Freiheit" der Finanzmärkte wirksam beschneiden? Wann, wenn nicht jetzt, sollte man die Steuerparadiese und Offshore-Banking-Zentren schließen, die nur der Geldwäsche, Steuerflucht und Zockerei dienen. Eine solche Gelegenheit, sich über die medialen Bittgesänge der neoliberalen Seelsorger hinweg zu setzen, kommt so bald nicht wieder.

Brasiliens Präsident Lula da Silva hat die wichtigste Lehre aus diesem Krisengipfel schon gezogen, allerdings nur halbherzig. Vergesst die G8, ohne die G20 geht nichts mehr in der Weltökonomie. In der Tat wird man mehr denn je auf China, Indien und Brasilien eingehen müssen. Daran dürfte auch der IWF nicht vorbei kommen, wenn er sich zum Oberhirten der Finanzmärkte aufschwingen will. Die längst überfällige Neuverteilung der Macht im IWF wie auch in der Weltbank, lässt sich nicht aufschieben, auch wenn sie zu Lasten von Privilegien der USA und westeuropäischer Staaten geht.

Fatal erscheint die in Washington bekundete Absicht, die festgefahrene Doha-Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) blitzartig abzuschließen. Die Doha-Agenda will genau das, was jetzt nicht helfen kann: mehr Liberalisierung der Märkte, weitere Deregulierung der Bilanzregeln, mehr Spielraum für "Finanzdienstleister". Sollten die Schwellenländer ihren neuen Part in der Weltwirtschaft ernst nehmen, können sie dem nicht folgen.

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