Alles wackelt

Biopic Julian Schnabel dreht einen Künstlerfilm über van Gogh. Sein Scheitern ist relativ hübsch anzusehen
Ausgabe 16/2019

Julian Schnabel malt Bilder, entwirft Skulpturen, designt Möbel. Seinen eigenen Künstlerfilm hat er vor zwei Jahren bekommen: Julian Schnabel: A Private Portrait, von Pappi Corsicato. Künstlerbiografien im Kino sind nicht erst seit gestern in Mode. Wer was gilt und es noch zu Lebzeiten schafft, lässt sich dokumentarisch bewundern (nur ein Beispiel, letzte Woche gestartet: Christo – Walking On Water), für die anderen gibt es fiktionale Verklärungen post mortem. Schnabel hat es geschafft. Aber er gehört zu der Art Künstler, die auch selbst noch Künstlerfilme drehen. Basquiat über den New Yorker Maler Jean-Michel Basquiat war 1996 sein erster, jetzt gibt es einen über Vincent van Gogh: An der Schwelle zur Ewigkeit.

Das Sujet ist kein einfaches. Mit den Lieblingszuschreibungen „irre, verkannt, labil, enigmatisch“ entspricht die tradierte Lebenslegende von Vincent van Gogh dem Klischee des an seiner Genialität zugrunde gehenden Künstlersubjekts so vollkommen wie wenige andere. Deswegen macht Schnabel das ja. Der Versuch, sich des Mythos van Gogh anzunehmen, ist eine Herausforderung, an der man eigentlich nur grandios scheitern oder zum Sieger aller Klassen werden kann. Schnabels Film gelingt das Kunststück des Weder-noch. Er ist nicht krachend, sondern echt ganz schön gescheitert.

Unirrer Dafoe

In dem Biopic wird die Zeit kurz vor van Goghs Tod im Jahr 1890 „in Bilder gefasst“, wie man so sagt: seine Flucht aus Paris in den Süden, einem neuen Licht entgegen, seine Zeit in einer Anstalt und schließlich in Auvers-sur-Oise, unweit von Paris, wo er an einer Schussverletzung stirbt. Tatsächlich überzeugt An der Schwelle zur Ewigkeit wortwörtlich durch die Bilder: durch den Fokus auf den Akt des Malens. Immer wieder wird gezeigt, wie Pinsel pastöse Farben auf Leinwände tupfen. Der letzte Van-Gogh-Film, Loving Vincent, versuchte etwas Ähnliches auf andere Weise, indem er aus Zehntausenden in Van-Gogh-Technik gemalten Ölbildern animiert wurde. In Schnabels Film hat man mitunter den Eindruck, dass die unstete, von Geldnöten, Selbstzweifeln und Psychosen geprägte Biografie seines Protagonisten dieser cineastischen Kunstmeditation in die Quere kommt.

Aber Willem Dafoe steckt das gut weg. Er beeindruckt durch die Nüchternheit, mit der er seine Aufgabe angeht – für die er verständlicherweise bei den Filmfestspielen in Venedig mit der „Coppa Volpi“ als bester Darsteller ausgezeichnet wurde. Dafoe setzt auf Traurigkeit statt Irrsinn, Reflexion statt Durchgeknalltheit. Eine noch prominentere Rolle als der amerikanische Großschauspieler übernimmt allerdings die Kamera von Benoît Delhomme. In immerwährender Nervosität wackelt sie selbst bei großen, weiten (und wirklich prächtigen) Landschaftsaufnahmen. Sie schwankt bei Dialogen um die Sprechenden herum, dreht sich, torkelt, kippt, verliebt sich kurz mal in den Dielenboden, wenn sie vor lauter Überschwang oder Bildtrunkenheit auf die Bretter gegangen ist.

Gegen Ende folgen jede Menge inkonsistente Point-of-View-Shots. Die untere Bildhälfte wird eingetrübt, als würde man mit Vincent van Goghs Augen konstant durch einen Tränenschleier in die Welt blicken. Mit demselben Trübe-Tasse-Blick, den Schnabel offensichtlich mit der besonderen Vision des Künstlers von Mensch und Natur gleichsetzt, steht die Kamera dann aber wiederholt neben van Gogh, also neben sich selbst – auch bildlich gesprochen. Ganze Dialoge werden mehrfach wiederholt oder durch Echos überlagert: ein Nachhall im genialisch gequälten Van-Gogh-Kopf, ebenfalls unscharf und konturlos gemacht.

Tatsächlich könnte man behaupten, dieser Film habe keine Kontur. Ob er auf etwas anderes hinaus will als die Schönheit der Natur und der Malerei, bleibt undurchsichtig. Zugegeben, beides zusammengenommen ist schon eine ganze Menge, aber man wird das Gefühl nie los, das war’s noch nicht für den Regisseur Schnabel. Sein Film wirkt wie eine einzige große Suchbewegung – und letztlich wie das Statement, dass es nicht möglich ist, das Genie eines Großkünstlers zu fassen. Sich in dessen Kopf hineindenken und aus ihm herausschauen will Schnabel natürlich trotzdem. Aber so muss man An der Schwelle zur Ewigkeit wohl sehen: Der Künstler findet Frieden in den Bildern, in den Visionen des Lichts. Wenn bloß dieses olle Leben nicht wäre ...!

Info

Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit Julian Schnabel Irland, Schweiz, Großbritannien u. a. 2018, 111 Minuten.

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