Wie bitte, eine Kugel Eis zwei Euro?! Solche Schocks dürften in den Eisdielen häufiger eingetreten sein. Denn die Preise für Lebensmittel sind mindestens ebenso hoch geklettert wie die Temperaturen. Nun ist Eis streng genommen kein Lebensmittel, es ist ein Genussmittel, ebenso wie der Cappuccino, der in den Cafés inzwischen gerne mal 3,50 Euro kostet. Lebensmittel aber sind die Zutaten der Genussmittel: Milchprodukte sind im Schnitt über 30 Prozent teurer als im vergangenen Jahr. Und Zucker, unbestreitbar eine wichtige Zutat in jedem Eis, kostete im April 2023 ganze 70 Prozent mehr als 2022. Aber gab es nicht auch Lohnsteigerungen? Doch! Nur waren die nicht so hoch wie die Preissteigerungen. Die meisten Menschen können sich für ihr Geld weniger Eiskugeln
Gierflation: Alles wird teurer, weil diese Konzerne Gewinn aus der Inflation ziehen
Krisengewinner Warum bleiben die Preise so hoch? Ganz einfach: Die Konzerne hinter Pepsi, Pampers, Mars und Magnum erhöhen ihre Gewinne. Und die Verliererinnen sind wir, die Beschäftigten. Wie sich die Inflation als Erfolgsmodell entpuppt

Ja, aber warum?
Illustration: der Freitag
nicht so hoch wie die Preissteigerungen. Die meisten Menschen können sich für ihr Geld weniger Eiskugeln kaufen als noch 2022.Ist das einfach die Inflation? Der Krieg? Pandemie? Missernten wegen des Klimawandels? Nein, ist es eben nicht, auf jeden Fall nicht nur. Es mehren sich die Anzeichen, dass die Unternehmen die Zeit der Krise ausnutzen und die Preise erhöhen, um einfach mehr Profite zu machen.Dabei geht es natürlich nicht nur um eine Kugel Erdbeereis. Auch Brot, Gemüse, Windeln, Olivenöl oder Pepsi belasten den Geldbeutel. Während die Inflation in den letzten Monaten insgesamt leicht zurückging – im Mai wegen sinkender Benzinpreise und des 49-Euro-Tickets auf 6,1 Prozent –, bleiben die Preise für Lebensmittel auf Rekordhoch. Der Kreditversicherer Allianz SE errechnete, dass Lebensmittel, Alkohol und Tabak im ersten Quartal 2023 europaweit 15 Prozent mehr kosteten als im Vorjahr, in Deutschland seien die Preise sogar um 22 Prozent gestiegen. „Lebensmittelpreise sind aktuell einer der Haupttreiber der Gesamtinflation. Sie machen fast ein Drittel der Teuerung aus und in Deutschland sogar über 40 Prozent – im letzten Jahr war es noch weniger als ein Fünftel“, fasst Andy Jobst von Allianz die Lage zusammen. Der besonders hohe Anstieg in Deutschland sei dadurch zu erklären, dass das Ausgangsniveau wegen des harten Wettbewerbs der Händler und der vielen Discounter zuvor vergleichsweise niedrig war. Auch würden viele Lebensmittel direkt in Deutschland produziert, höhere Energiekosten etwa schlügen also stärker durch als in vielen anderen europäischen Ländern. Der Teuerungssprung des letzten Jahres sei dennoch historisch. Zum Vergleich: In den Jahren 2000 bis 2019 lag die Teuerung bei Lebensmitteln hier knapp unter 1,5 Prozent.Pepsi, Pampers und Unilever schlagen kräftig draufWenn die Inflation zurückgeht – wieso bleiben die Lebensmittel dann so teuer? An den Weltmarktpreisen für Weizen und andere Agrarrohstoffe, die im Frühjahr 2022 wegen der russischen Invasion in der Ukraine in die Höhe geschnellt waren, liegt es jedenfalls nicht. Die sind seither wieder gesunken, auf das Niveau von 2021, also vor Kriegsbeginn. „Seit Mitte Mai 2022 können etwa zehn Prozent der Verteuerung der Lebensmittel in Europa in unserem Inflationsmodell nicht durch die historische Dynamik, Erzeuger- und Energiepreise erklärt werden“, sagt Jobst. „Das ist deutlich mehr als vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg. Damals lag dieser ‚unerklärte Teil‘ bei weniger als drei Prozent.“ In Deutschland könne sogar mehr als ein Drittel des jüngsten Anstiegs nicht mit den traditionellen Risikotreibern erklärt werden.Für die weiterhin steigenden Preise hat Jobst eine ganz andere Erklärung, und die lässt die Unternehmen nicht gut dastehen: Pepsi, Pampers und Unilever schlagen kräftig drauf. Dieser Befund wird inzwischen auch unter Ökonom*innen diskutiert. In den USA ist der Begriff der Greedflation, der „Gierflation“, eine gängige Vokabel geworden. Die Ökonomin Isabella Weber, Professorin an der University of Massachusetts Amherst, spricht von „Verkäuferinflation“, andere von Gewinninflation.Waren solche Diagnosen vor zwei oder drei Jahren noch randständig, sogar Anlass für Spott in den Wirtschaftswissenschaften, sind sie im Lichte der Entwicklungen der letzten Monate in den ökonomischen Mainstream vorgedrungen. Die damalige Vizechefin der US-Notenbank Federal Reserve, Lael Brainard, warnte Anfang des Jahres, nicht steigende Löhne heizten die Teuerung an, sondern eine „Preis-Preis-Spirale“, bei der Unternehmen deutlich höhere Preise aufriefen, als in die Herstellung ihrer Produkte eingingen. Und nun äußerte sich selbst die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, über Profite als Preistreiber während der Inflation besorgt: Manche Wirtschaftssektoren, so Lagarde am 5. Juni im Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments, „haben sich dadurch Vorteile verschafft, ihre entstandenen Mehrkosten vollständig durchzudrücken, ohne ihre Gewinnmarge dabei zu drücken – und einige von ihnen haben die Preise über den reinen Kostenschub hinaus erhöht, der durch die Inflation entstanden wäre“. Der Beitrag der Profite zur Inflation sei nicht genügend Beachtung geschenkt worden, was daran liegt, dass man über Profitmargen nicht so gute Daten habe wie etwa über Lohnentwicklungen. Nun sei es an den Wettbewerbsbehörden, sich diese Verhalten von Unternehmen genauer anzusehen. "Die Verkäuferinflation", jubelt Isabella Weber auf Twitter, „ist jetzt ein Christine-Lagarde-take.“Erst Pandemie und Lieferketten-Probleme, dann KriegDiese Erklärung einer gewinngetriebenen Inflation widerspricht den in Wirtschaftswissenschaften und Politik bisher gängigen Vorstellungen von einer „Lohn-Preis-Spirale“: Darunter versteht man eine Dynamik, nach der die Preise vor allem wegen höherer Löhne steigen würden, denn steigen die Löhne, steigen auch die Herstellungskosten. Eine andere Annahme lautet, dass eine übergroße Nachfrage die Preise nach oben treibe.Dass das Deutungsmuster Gewinninflation jüngst an Popularität gewonnen hat, ist leicht zu erklären: Die hohe Inflation setzte lange vor den letzten Lohnrunden ein, und die jüngsten Lohnsteigerungen halten mit den gestiegenen Preisen nicht annähernd Schritt. Obwohl die Herstellungskosten vieler Produkte wegen sinkender Energiekosten und reparierter Lieferketten wieder gesunken sind, bleiben die Preise hoch.Aber wie kommt diese Gewinn- oder „Verkäuferinflation“ zustande – und wieso haben die Unternehmen nicht schon früher an der Preisschraube gedreht? Die Ökonomin Isabella Weber kommt zu dem Schluss, dass sich das Geschäftsmodell vieler Unternehmen im Zuge der Pandemie verändert hat. Bis dahin hätten diese vor allem auf niedrige Produktionskosten gesetzt, etwa durch Auslagerung und immer billigere Vorprodukte. In der Pandemie sei das Modell in die Krise geraten – lange Lockdowns, gerissene Lieferketten –, also mussten die Profite auf andere Weise gesichert werden: durch höhere Preise. Dabei seien nicht nur die gestiegenen Herstellungskosten auf den Preis aufgeschlagen worden, sondern ein bisschen mehr, damit die Profitrate „stimmt“. Das habe, auch zur Überraschung vieler Unternehmen, sehr gut funktioniert. Als im Zuge des Ukraine-Krieges die Energiepreise in die Höhe schnellten, gab es dann die Gelegenheit, das Manöver zu wiederholen.Mehr Geld verlangen, mehr Geld bekommen – aus Unternehmersicht ein attraktives Modell. Als die Herstellungskosten wieder zu sinken begannen, sahen daher die wenigsten einen Grund, an dem Rezept etwas zu ändern. PepsiCo-Chef Ramon Laguarta lobte vergangenen Herbst die „mutige“ Preispolitik seines Unternehmens und erklärte: „Die Wahrheit ist, dass sich die Investitionen, die wir in den letzten Jahren in unsere Marken getätigt haben, in dem Sinne auszahlen, dass unsere Marken immer höhere Preise aufrufen und die Verbraucher uns dabei folgen.“Die Gewinne kletterten in Europa um 20 Prozent – in der KriseSo kommt es, dass trotz anhaltender Inflation viele Unternehmen ihren Umsatz und auch den Gewinn massiv steigern konnten. Die 40 Dax-Konzerne vermeldeten im Jahr 2022 ein Umsatzplus von 15,5 Prozent – Umsatz bezeichnet aber erst mal nur das Geld, das reinkommt, ohne Abzug etwa der Produktionskosten. Der operative Gewinn, das also, was nach Abzug aller Kosten übrig bleibt, wuchs um 3,4 Prozent. Damit war 2022 für die Dax-Konzerne ein Rekordjahr.Und nicht nur für sie. Die Gewinne der 600 größten europäischen Unternehmen kletterten im Jahr 2022 um etwa 20 Prozent nach oben. Auch Aktionär*innen profitieren von der Entwicklung, denn auch die Dividenden des Jahres 2022 waren rekordverdächtig. Zehn Prozent mehr als im Vorjahr erhielten die Aktionär*innen der 100 größten deutschen Aktiengesellschaften.Und 2023 soll es so weitergehen. Wie die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und das Institute for Strategic Finance errechneten, werden die 750 deutschen Aktiengesellschaften die Ausschüttungen an ihre Anteilseigner*innen noch einmal um neun Prozent steigern. Der Trend gilt weltweit: Für 2023 erwartet das britische Fondshaus Janus Henderson trotz Abschwächung der Weltwirtschaft einen globalen Anstieg der Dividenden um fünf Prozent.95 Prozent der Unternehmen weltweit erhöhten ihre Dividenden oder hielten sie auf Vorjahresniveau. Fast alle Konzerne und ihre Aktionär*innen gehören in Zeiten der Pandemie, des Krieges und der Inflation also zu den Krisengewinnern.Für ein Magnum müssen wir 7 Minuten und 27 Sekunden arbeitenUnd die Verlierer? Sind die meisten Beschäftigten. Obwohl die Bruttolöhne in Deutschland im ersten Quartal 2023 gegenüber dem Vorjahr um 5,6 Prozent wuchsen, können sie die steigenden Verbraucherpreise nicht ausgleichen – das gibt dann einen so genannten Reallohnverlust, der 2022 vier Prozent betrug und nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts 2023 2,3 Prozent. Hier könnten die Gaspreisbremse und das 9-Euro-Ticket der Bundesregierung Wirkung zeigen, in der Eurozone liegt der Reallohnverlust sogar bei sieben Prozent. Eine derart dramatische Verarmung innerhalb nur eines Jahres hat es seit Gründung der Eurozone nicht gegeben.Das Institut der deutschen Wirtschaft hat ausgerechnet, was dieser Reallohnverlust umgerechnet in Eis-Währung bedeutet: Für ein Magnum muss ein durchschnittlicher Beschäftigter in diesem Sommer sieben Minuten und 27 Sekunden arbeiten – das sind 13 Sekunden mehr Arbeit pro Eis als im Vorjahr. Für ein Cornetto sind vier Minuten und 58 Sekunden Arbeit notwendig – ein Jahr zuvor waren es noch vier Minuten und 38 Sekunden. Der Gewinner dieses Reallohnverlusts heißt in diesem Fall: Unilever.Im Supermarkt ist derweil ein Kampf zwischen Handel und Herstellern ausgebrochen. Händler beklagen Gewinneinbußen, weil sie die exorbitanten Produktpreise nicht vollständig an die Kund*innen weitergeben konnten oder wollten. Während die Nahrungsmittelproduzenten in Deutschland die Preise im vergangenen Jahr um 19 Prozent erhöht hatten, erhöhten die Händler nur um 12,6 Prozent. Nun zieht der Handel mit Preiserhöhungen nach – oder lässt es auf den Konflikt mit den Herstellern ankommen.Edeka motzt – und steigert selbst den UmsatzIn den letzten Monaten hat insbesondere die rabiate Auseinandersetzung zwischen dem Edeka-Verbund, dem größten deutschen Einzelhändler, und zahlreichen Markenkonzernen für Schlagzeilen gesorgt. Weil eine Einigung über den Einkaufspreis nicht möglich war, haben inzwischen 17 große Hersteller die Belieferung der Edeka-Gruppe eingestellt, darunter der Pampers-Produzent Procter & Gamble, Mars (das neben Schokoriegeln auch Tiernahrung anbietet), Teile von Henkel, Schwartau, Unilever – und PepsiCo.Edeka-Vorstandschef Markus Mosa prangerte Ende April die „Gier“ der internationalen Lebensmittelkonzerne an, die trotz sinkender Produktionskosten nicht nachlasse. Edeka selbst hat den Umsatz in den Märkten des Konzerns im letzten Jahr übrigens um fast zwei Milliarden Euro gesteigert, das sind 5,6 Prozent. Auch der Gewinn in der Konzernzentrale lag über den Erwartungen und stieg um knapp 45 Millionen auf 396 Millionen Euro. Aber da scheint noch mehr drin zu sein.Andy Jobst von Allianz SE rechnet jedenfalls nicht damit, dass die Preise wieder nennenswert sinken werden: „Ich gehe daher davon aus, dass wir aufs Jahr gerechnet eine durchschnittliche Teuerung bei Lebensmitteln von etwa acht Prozent sehen werden. Danach werden sich die Preise stabilisieren oder allenfalls geringfügig sinken. Einmal erreichte Preisniveaus werden in der Regel beibehalten.“