Alles zusammen!

Gedankenexperiment Was wäre, wenn Großkonzerne in Gemeineigentum übergingen? Neun Vorschläge
Ausgabe 35/2020
Alles zusammen!

Illustration: der Freitag

Deutsche Wohnen

Das zweitgrößte deutsche Wohnungsunternehmen hat überhaupt erst Wumms in die Enteignungsdebatte gebracht. Denn bei einem Wohnungsmarkt, der ein paar großen Unternehmen hohe Profite ermöglicht, während immer weniger Menschen sich die Mieten in den Städten überhaupt leisten können: Da klingt Vergesellschaftung für viele Menschen auf einmal ziemlich attraktiv. Umso mehr, als ein Konzern wie dieser ja mit seinen Mieterinnen so umgeht, dass sie gesicherten und erschwinglichen Wohnraum ... äh, dass der Aktienpreis steigt. Erst mal hat die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ viel Zuspruch erhalten, 2021 werden die Berlinerinnen abstimmen können, ob sie Nägel mit Köpfen machen wollen.

Tönnies

Dank der Tönnies Holding ist Deutschland zweitgrößter Schweinefleischexporteur der Welt; der Konzern machte 2019 7,3 Milliarden Euro Umsatz, mit 850 Tonnen Fleisch pro Tag. Pro Kilogramm Schweinefleisch werden 3,3 Kilo CO2 emittiert, Tönnies produziert also Millionen Tonnen CO2 im Jahr, und je größer der Export, desto höher die Emissionen durch den Transport, die dazukommen. Aufgrund prekärer Arbeitsbedingungen werden die Schlachtarbeiter zudem krank. Die Lösung: Auflösung in kommunale Fleischbetriebe für einen kleineren lokalen Fleischkonsum. Schlachter werden zu Laborantinnen umgeschult und ausreichend bezahlt: Sie züchten fortan Kunstfleisch in Petrischalen, CO2-neutral.

Lufthansa

Die Lufthansa gehört bereits zu einem Fünftel der öffentlichen Hand – weil sie sonst bankrottgegangen wäre, wegen Corona. Nur: Wirtschaftsminister Altmaier betonte, dass man der Geschäftsführung auf keinen Fall dreinreden wolle. In der Tat wäre es wohl gar nicht so einfach, ein Verfahren zu finden, das die Unternehmensziele einer wirklich vergemeinschafteten Lufthansa regeln würde: Wie viele Flüge wären überhaupt noch vertretbar, klimatechnisch? Und für wen? Eine Gemeinwohl-Airline müsste wohl mit der Bahn kooperieren, um klimaverträglich die beste Mobilität für alle zu gewährleisten. Und sie könnte in die Entwicklung von Elektroflugzeugen investieren, für Kurzstrecken, oder in mit Wasserstoff fliegende Langstreckenflugzeuge.

Volkswagen AG

VW ist ja eigentlich schon längst ein Staatsbetrieb: 11,8 Prozent des gezeichneten Kapitals gehören dem Land Niedersachsen. Wobei: Das führt eher dazu, dass die Politik den Konzerninteressen folgt, als dass der Konzern sich nach der Politik richtet. Ein vergesellschafteter Autokonzern würde seine Ingenieurs- und Innovationskraft daran ausrichten, eine Verkehrswende hinzulegen, von der alle etwas hätten: keine SUVs mehr (2019: 30 Prozent der verkauften Autos, während E-Autos nur 1,3 Prozent ausmachten), stattdessen elektrifizierte Leichtbaufahrzeuge, die auch nicht länger gepanzert sein müssten, weil sie selbstfahrend und deshalb unfallfrei auf den Straßen kutschieren. Man müsste sie auch nicht privat anschaffen. Stattdessen: Car-Sharing für alle.

Deutsche Bank

„Die gefährlichste Bank der Welt“, titelten Medien, nachdem der Internationale Währungsfonds die Deutsche Bank als „bedeutendsten Träger systemischer Risiken“ bezeichnet hatte. Besser als die Verluste der Banken zu sozialisieren, wie es nach der Finanzkrise 2008 geschah, wäre es doch, eine Großbank schon zu übernehmen, wenn man mit ihr sinnvolle Dinge anstellen könnte; etwa ein am Gemeinwohl sich orientierendes Investment-Banking, Wohnbauprojekte, regionale Erzeugernetzwerke für Obst und Gemüse, bezahlbare Pflegeheime, Behindertenwerkstätten oder Erneuerbare-Energie-Projekte, die bisher wegen mangelnder Finanzierung nicht verwirklicht wurden. All das könnte die Gesellschaft sofort angehen.

Bayer

Mit der Übernahme von Monsanto 2018 ist der Pharmakonzern Bayer AG zum weltgrößten Anbieter von Pflanzenschutzmitteln und Insektenvernichtern geworden. Jedes Jahr landen Tausende Tonnen Bayer-Chemie auf den Äckern. Allein in Deutschland konnten die Unternehmen im Jahr 2018 Mittel für knapp 1,3 Milliarden Euro verkaufen. Besonders bekannt geworden ist der Unkrautvernichter Glyphosat, der 2024 verboten werden soll, weil er Krebs erregt. Ob Bayer nach den Entschädigungszahlungen für die Glyphosat-Kranken noch haltbar ist, muss nach der Vergesellschaftung entschieden werden. Vielleicht sollte sich der Konzern dann ganz dem Gemeinwohl widmen – und Medikamente gegen HIV weltweit zugänglich machen.

RWE

Wer es mit dem Klimaschutz ernst meint, muss RWE der Gesellschaft übereignen. 2018 war der Konzern für ein Viertel aller in Deutschland emittierten Treibhausgase verantwortlich. Der Quasi-Monopolist und größter Emittent der EU will bis 2040 klimaneutral werden – so viel Zeit hat die Gesellschaft nicht. Als deshalb Aktivistinnen im Hambacher Forst Bäume besetzten, um die Erweiterung des Tagebaus im Rheinischen Braunkohlerevier zu verhindern, ließ RWE die Polizei auf die Protestierenden los. Dem Wohl der Allgemeinheit entspräche es, RWE diese Macht zu entziehen und den Beschäftigten gleichwertig bezahlte Arbeitsplätze in der Förderung erneuerbarer Energien anzubieten.

Rheinmetall

Das Geschäft mit dem Krieg ist profitabel: Rheinmetall freute sich, seinen Umsatz 2019 auf 6,3 Milliarden steigern zu können. 2019 war also ein gutes Jahr für den Konzern. Konflikte in Saudi-Arabien und zwischen Türkei und Syrien taten dem Waffenmarkt gut, und über Tochtergesellschaften findet sich immer ein Weg, Rüstungsembargos zu umgehen. Da bewaffnete Konflikte dem Gemeinwohl nicht dienen, wird der Konzern nach seiner Vergesellschaftung keine Rüstung mehr produzieren, sondern Agrargeräte herstellen – vor allem Pflugscharen. Über eine Fusion mit Bayer wird nachgedacht, um die Produktion nachhaltiger Pflanzenschutzmittel mit dem Einsatz smarter Agrargeräte zu verbinden.

Boehringer

Schon die Gewinne von Boehringer Ingelheim, der nach Bayer zweitgrößten deutschen Pharmafirma, wären Grund genug für eine Enteignung: 2,7 Milliarden Euro waren es 2019, erwirtschaftet mit Medikamenten. Mit grausamen Methoden: Laut der Organisation „Ärzte gegen Tierversuche“ testete man in den Boehringer-Laboren ein potenzielles Schmerzmittel an Ratten. Die Tiere wurden danach auf eine heiße Platte gesetzt, der Ischiasnerv wurde abgebunden und eine reizende Substanz in eine Pfote gespritzt. Wie geht man nach der Vergesellschaftung mit Tierversuchen um? Die Gesellschaft muss dann demokratisch entscheiden, ob sie solche Tierqualen dulden will – oder in andere Testmethoden investiert.

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