Alltag und Fest

Keine ungetrübte Freude Erfurt eröffnet mit "Luther" sein neues Opernhaus - mit dem benachbarten Weimar möchte man konkurrieren und kooperieren

Es gibt einen Stadtteil, es gibt urbanes Leben, es gibt wieder ein Ziel in Erfurt jenseits des mächtigen Domberges. Wo einst in Fabrikhallen des VEB Optima fast 8.000 Menschen beschäftigt waren, wo die Brache der unnötig gewordenen Industriebauten gammelte und ein ganzes Stadtgebiet negativ beeinflusste, betritt man jetzt, den Domberg im Rücken, einen weiträumig geöffneten, kommunikativ gestalteten Platz. Architektur und Theater kommen in der Inszenierung des öffentlichen Raumes einigermaßen glücklich zusammen und nehmen auf, was in der Stadt aufgrund ihrer religiös geprägten Tradition bereits angelegt ist: dass ein Gemeinwohl die Inszenierung von Alltags und Fest braucht.

Erfurts neues Theater, ein Opernhaus, lichtdurchflutet und einladend, ist ein bisschen mehr als ein reiner Musentempel; man kann sich hier wohl fühlen. Drei Stockwerke sind durch eine frei schwebende Treppe verbunden, die es möglich macht, sich auf drei Ebenen dem Zuschauerraum, der wie ein dunkler großer Kessel in den hellen Raum gehängt ist, zu nähern. Das Innere dieses Kunstraumes leuchtet in warmen roten Tönen. Die Sicht ist von allen 800 Plätzen ordentlich, die Akustik optimal. Der in Erfurt geborene Architekt, Professor Friedrich aus Hamburg, nahm die Anerkennung und sogar Begeisterung für den gelungenen Bau sichtlich bewegt entgegen.

Die Freude über das neue Haus ist nicht ganz ungetrübt. Am Hirschgarten, im Zentrum der Stadt, wo es zunächst stehen sollte, klafft eine Baugrube. 60 Millionen Euro hat es gekostet, die konnten aufgebracht werden weil 20 Millionen aus dem Topf der Wirtschaftsförderung des Freistaates Thüringen winkten, aber nur, wenn mit dem Neubau auch eine städtebauliche Innovation vorgenommen und die Brache samt kontaminiertem Boden entsorgt würde. Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst brachte dieselbe Summe auf, die Stadt Erfurt den Rest. Der Etat ist nicht überzogen worden. Um ein dem ehrgeizigen Bau angemessenes Theater von künstlerischem Ruf machen zu können, waren schwerwiegende Entscheidungen nötig. Man trennte sich in hartem Schnitt vom mehrspartigen Stadttheaterbetrieb zugunsten der Spezialisierung auf einen Bereich. Das ist in Erfurt nun das Musiktheater. Ein Schauspielensemble gibt es nicht mehr.

Dieser Preis war hoch, für etliche Erfurter zu hoch. Der Entscheidung vorausgegangen waren ministeriell gelenkte Versuche, zwischen den Theatern Erfurt und Weimar eine Fusion zu erzwingen. Weimar sagte dazu ein klares Nein. Die dichte Thüringer Theaterlandschaft ist letztlich aber nur zu erhalten, wenn sich Kooperationsperspektiven und finanzierbare Modelle entwickeln lassen. Von Erfurt aus erreicht man Weimar in 15 Minuten, Meiningen und Leipzig in einer knappen Stunde. Konkurrieren und kooperieren, so lautet die Vision des Erfurter Generalintendanten Guy Montavon. Er kam vor zwei Jahren, als die Beschlüsse schon gefallen waren. Dann wurde er zum Buhmann, der die Kündigungen auszusprechen hatte, die vor seiner Zeit beschlossen wurden. Beworben hatte er sich, um im neuen Haus, bei einem bis 2008 gesicherten Jahresetat von 18,8 Millionen Euro (10,8 von der Stadt, 6,4 vom Land und 1,6 Eigenbeteiligung) attraktives, zeitgemäßes Musiktheater für Erfurt und Thüringen, für Touristen und Fans zu entwickeln.

Montavon ist am Tag nach der Eröffnung des Theaters und der Uraufführung der von ihm in Auftrag gegebenen Oper Luther 42 Jahre alt geworden. Er brennt für seinen Beruf, hat Visionen und bewegt sich auf dem glatten Parkett des internationalen Musiktheaterbetriebes mit Souveränität. In seiner Heimatstadt Genf hat er Musik studiert. Das Regiehandwerk erlernte er bei Götz Friedrich, als persönlicher Assistent war er mit Jean Carlo Monaco weltweit an 37 Operninszenierungen beteiligt. Bevor er nach Erfurt kam, hat er sechs Jahre das Stadttheater in Gießen geführt, nicht gerade erfolglos. Es könnte gut sein, dass er weiß, was das Publikum will, was gegeben werden muss, dass er aber auch weiß, was er selbst will, und aus diesen Ansprüchen spannendes Theater wird.

Der vorgelegte Spielplan hat zunächst Glanz und internationale Ausstrahlung. Die Gewichtung zwischen den benannten Ansprüchen wirkt gut kalkuliert und die Uraufführung zum Beginn ist so programmatisch wie die Wahl der Regisseurin Karoline Gruber, womit von vornherein eine choralselige Heldenverehrung im Falle Luthers ausgeschlossen scheint. Weitere Uraufführungen sind bereits angekündigt.

Chefdirigent des Philharmonischen Orchesters ist Walter E. Guggerbauer. Im Rahmen der Eröffnung konnte er zeigen, was möglich ist, zumal das Orchester bisher nicht im allerbesten Ruf steht. Da gibt es auch weiterhin Probleme, denn derzeit ist dieser Klangkörper zu klein, Stimmgruppen sind zu knapp besetzt, so werden immer wieder teuer zu bezahlende Aushilfen nötig. Die sollen eigentlich aus Weimar kommen; die dortige Staatskapelle hat hohes Renommee und ist besser besetzt. Montavon hat den Plan, bestimmte Vakanzen des Orchesters zukünftig so zu besetzen, dass der Arbeitsort an beiden Theatern wäre.

Das sieht man in Weimar aber ganz anders. Hier heißt es, die Staatskapelle sei kein Aushilfepool. Da schwebt immer noch der Fusionsplan wie ein dunkler Schatten überm nicht ganz so hellen Theateralltag. Der Weimarer Intendant Stephan Märki und sein Geschäftsführer Thomas Schmidt, wollen am Ideal des Mehrspartentheaters festhalten. Für die Weimarer bleibt es unbegreiflich, wie Politiker es fertig bringen konnten, einen Fusionsplan, der nach ihrer Ansicht eine Übernahme Weimars durch Erfurt zum Zwecke der Repräsentation in der Landeshauptstadt gewesen wäre, öffentlich zu machen, ohne die Theater in diesen Prozess einzubeziehen.

Märki und Schmidt haben nichts dagegen, in Erfurt mit dem Schauspiel zu gastieren. Aber gegen Bezahlung. Montavon argumentiert - mit Unterstützung aus der Landesregierung -, dass diese Produktionen ja bereits gefördert seien.

Da ist noch viel Verständigung nötig, vielleicht aber erst mal eine Denkpause. Die Bühnenmaße jedenfalls sind kompatibel, worauf Ministerin Dagmar Schipanski mit Blick nach Weimar hinwies. Vorerst bekommen die Erfurter Besuch von den Schauspielhäusern aus Dresden und Leipzig.

Ein Schauspielensemble in Erfurt würde zusätzlich 1,6 Millionen Euro kosten. Die sind nicht da, so der Oberbürgermeister, der mit Nachdruck die Erwartung ausspricht, dass die Erfurter Oper zukünftig in der Oberklasse zu spielen habe, das sei ihm lieber als ein Theater, in dem unbedingt alles gemacht werden müsse, was unweigerlich zu "Bonsai-Theater" führe, weil alles in gleicher Weise zu schrumpfen hätte.

Auch da sind die Ansichten in Weimar anders. Der Etat für die dort beheimateten drei Sparten - Musiktheater, Staatskapelle, Schauspiel - beträgt auch nur circa 20 Millionen Euro. Die Existenz des Theaters mit rund 400 Arbeitsplätzen ist durch den Abschluss eines Haustarifvertrages bis 2008 gesichert.

Dass ein Überleben nur gemeinsam gelingen kann und man sowohl konkurrieren, als auch kooperieren muss, ist auch in Weimar angekommen. Märki betont diesbezüglich seine Offenheit. Er kann auf gute Zuschauerzahlen verweisen; sein Publikum ist jung, 40 Prozent Touristen, 30 Prozent aus der Stadt und 30 Prozent aus dem Umland, insgesamt 180.000 Menschen pro Jahr. Solche Zahlen muss Montavon in Erfurt erst erreichen.

Die Uraufführung von Luther war seine Idee. Es ist eine Referenz an Erfurt und Thüringen, soll aber mehr sein als ein Manöver zu Beginn. Die Inszenierung von Karoline Gruber fordert das Publikum, aber auch den Chor, die Solisten und vor allem das Orchester. Der Konflikt des Reformators, der miterleben muss, wie Radikalisierungen und kriegerischer Fundamentalismus eskalieren und Zerstörung bewirken, steht im Mittelpunkt der Inszenierung. Die Regisseurin setzt in gegenwärtige, erkennbare und nachfühlbare Situationen um, wie die Rechtfertigung des Menschen aus Gnade umschlägt in die Rechtfertigung menschlichen Wollens durch Gewalt. Die Menschen dieses Musiktheaters sind allem historisierenden Pathos enthoben. Sie durchleiden ihre persönlichen Reformationen und Transformationen, ungeschützt vor Umwegen, Exzessen und Enttäuschungen.

Klaus Zehelein aus Stuttgart, Deutschlands derzeit erfolgreichster Opernintendant und Präsident des Deutschen Bühnenvereins, begrüßte die "Versammlung der Unzeitgemäßen in diesem Gehäuse der Erinnerung", das ein Raum der Grenzüberschreitung sei, an dem man über Zukunft ungedeckt nachdenken könne, ein Ort, an dem "Zeit nicht vernichtet, sondern gegeben wird."

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