Was im August 2002 passiert ist, werde er nicht noch einmal erleben, sagt Jochen Hesse. "Das war ein Jahrhunderthochwasser, und ich bin jetzt 50." Was nach statistischem Selbstbetrug klingen könnte, hat eher etwas mit Trotz zu tun. Denn letztlich ist Hesse Realist. Noch einmal will er nicht so kopflos den Naturgewalten ausgeliefert sein, die falschen Sachen retten und Zeit mit dem sinnlosen Hin-und-Her-Räumen billiger Möbeln vergeuden. Wenn das große Wasser irgendwann wieder kommt, dann haben der Wirt und seine fünf Angestellten einen Plan, was aus dem Gasthaus Zum alten Fährhaus in Dresden-Laubegast, direkt am Elbufer, geschleppt wird und was bleibt.
Hesses Geschichte ist eine von unzähligen. Hunderte in Dresden haben vor einem Jahr Ähnliches erlebt
;hnliches erlebt - Zehntausende, wenn man an geflutete Städte wie Pirna, Meißen, Freital, Grimma, Glashütte oder Döbeln denkt. Nach Rekordregenfällen schossen bis dahin kaum bekannte Flüsse durch die Täler und zerstörten oder beschädigten bis zu 30.000 Häuser. Die Bilder vom Schlammchaos gingen um die Welt, wie das der Wesensteiner Familie Jäpel, die auf den wasserumtosten Resten ihres Hauses die Rettung erwartete. Tagelang erzählten Flutopfer auf allen möglichen Fernsehkanälen, wie sie die Katastrophe erlebt hatten. Auch Jochen Hesse stand in seinem zerstörten Gastraum vor einer Kamera und sollte schon wissen, wie es danach weitergeht. Dabei stieg das Wasser noch und erreichte in seinem Hof gerade die Marke von 2,20 Meter.Damals schien vieles verloren. 15 Jahre Arbeit steckten in der Gaststätte. Hesse, der in fünfter Generation auf dem Grundstück wohnt, hatte sein Restaurant noch zu DDR-Zeiten eröffnet und dann erweitert. Bald gab es Angestellte und Stammgäste, die ihren Urlaub in den Seitenflügeln des Anwesens verbrachten und vom Biergarten auf den Strom und das andere Ufer mit seinen Prachtvillen an grünen Elbhängen sahen. Dann aber, mit dem großen Regen im August, kam die Elbe in Hesses Haus. Die 5.000 Sandsäcke, die er mit seinen Angestellten fieberhaft aufschichtete, störten den Strom nicht im Geringsten.Den Schock überspielen Die zweite Zeitrechnung des alten Fährhauses beginnt schon eine Woche nach der Flut. Der Biergarten eröffnet mit Fertigsalaten und einer Ausnahmegenehmigung des Hygiene-Amtes. In diesem Vorgang habe sicherlich auch ein Stück Auflehnung gegen den Strom gelegen, erinnert sich Hesse. "Mit Aktionismus konnte man den Schock überspielen." Es folgt ein Jahr mit Baulärm, Staub und Gestank, das an den Kräften zehrt, auch wenn der Staat für Schäden in Höhe von 600.000 Euro aufkommt. Zwar empfängt das Restaurant wieder seine Gäste, aber ein Seitenflügel des Hofes ist noch immer unbewohnbar, und die Einnahmen der acht Fremdenzimmer fehlen. Die Geschehnisse in den Flutgebieten vom August 2002 gerinnen nur langsam zu Geschichte. Die Bilder gleichen sich landauf, landab. Viele Häuser sind frisch gestrichen, an anderen stehen die Baugerüste noch, weil die Mauern lange austrocknen mussten. In den Tälern kriechen Autos auf staubigen Pisten durch ein Labyrinth von Absperrungen, weil Straßen und Brücken erneuert werden. Besonders tiefe Spuren hat die Flut in manchen Kleinstädten hinterlassen. In die vor einem Jahr überschwemmten Ortskerne kehrt kein normales Geschäftsleben zurück, verkrusteter Schlamm auf den Schaufenstern leerer Läden zeigt bis heute den höchsten Wasserstand jener Tage an.Aber falsch wäre es, beschriebe man die Sommerflut nur als Schlamm- und Tränengeschichte. Gerade diejenigen, die am Schlimmsten betroffen waren, erfuhren eine Hilfsbereitschaft, die man kaum für möglich gehalten hatte. Konvois mit Spenden rollten in die Hochwassergebiete. Vor den gefluteten Häusern standen plötzlich fremde Menschen, die mit aufräumen wollten. "Wenn man die Fotos vom großem Aufräumen betrachtet, sind viele lachende Menschen zu sehen", sagt Ulrike Dreier. Die 27-Jährige gehört zu den Initiatoren des 1. Inselfestes in Dresden-Laubegast, bei dem Mitte August, zum Jahrestag der Flut, bis zu 20.000 Menschen erwartet werden. Seinen Namen verdankt das Ereignis dem Umstand, dass Laubegast vor einem Jahr eine Zeit lang nur noch als Insel existierte. Aber nicht jeder sehnt sich nach Erinnerungen an die Katastrophe, so dass die Veranstalter auch mit dem Vorwurf konfrontiert sind, das Fest bagatellisiere die Verluste, die es gegeben hat. Plätschernde SchaufelräderJochen Hesse zählt es zu seinen Versäumnissen, dass er die Adressen der Freiwilligen auf seinem Hof nirgendwo aufgeschrieben hat. Der Kontakt brach ab, als sie wieder gingen. Weil er sich trotzdem erkenntlich zeigen wollte, klebte er eine große "Ich danke allen Helfern"-Schrift auf sein Auto. Ob sich jemand davon angesprochen fühlte, weiß er nicht. Hesse meint, sollte es woanders zu einem vergleichbaren Desaster kommen, würde er sofort aufbrechen und seine Hilfe anbieten. Das sei er jetzt schuldig. Es ärgere ihn sogar, dass er beim Oderhochwasser 1997 zu Hause saß. "Was die Elbe für Schäden anrichten kann, ist für mich erst seit einem Jahr vorstellbar. Mit welchem Tempo und welcher Wucht sich der Fluss in den Ufervierteln ausbreitete, das war etwas völlig Neues". Brummende Zillen und plätschernde Schaufelraddampfer, diese ganze Romantik, das sei für ihn nur noch ein Teil des Bildes vom Waser und der Stadt. Den Putz in seinen Gasträumen mit den 320 Jahre alten Gewölben hat Hesse vorsorglich gar nicht wieder an die Wände geschmiert.